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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

26. 10. 2013 - 00:06

Verschlüssle dich

Beim Elevate wird viel darüber gesprochen, wie wir uns durch Kryptografie gegen die dreisten Schulterblicke der Spionierer wehren. An politische Lösungen glaubt man immer weniger.

Andreas Krisch ist empört. Erst am Montag wurde die EU-Datenschutzreform beschlossen (Erich Möchel hat berichtet), und schon am Freitag der selben Woche wurde bekannt, dass die Umsetzung verschoben wird. Die Briten seien schuld, diese wollen ihre Unternehmen nicht beunruhigen und sind in EU-Angelegenheiten ja bekanntermaßen generell Problemkinder.

Krisch, gemeinsam mit seinem AKVorrat-Kollegen Thomas Lohninger und wenigen anderen sind bei den jährlichen Netzpolitik-Gesprächen am Diskursprogramm des Elevate Festival mittlerweile in der Minderheit. Meist geht es nicht mehr darum, was die Politik tun sollte, sondern wie man sich selbst bestmöglich mit dem tristen Status Quo arrangiert.

"Was ich mir wünschen würde, wäre, dass die europäischen Regierungen geschlossen mit dem Fuß aufstampfen und sagen: Das geht überhaupt gar nicht. Aber ich bin eher skeptisch und habe den Eindruck, dass die Regierungen gerade nicht in unserem Interesse agieren.", sagt etwa Anne Roth im FM4-Interview, deren Partner 2007 als Terrorismusverdächtiger verhaftet worden ist. Roth hat fortan persönliche Überwachung der eigenen Familie erfahren. Es ist eine von mehreren Surveillance-Horror-Stories, die am Elevate erzählt werden, ebenso wie etwa die gebeutelte Lebensgeschichte von Celebrity-Hacker Jacob Appelbaum (unter anderem enger Vertrauter von Julian Assange), der es aus politischen Verfolgungsgründen nicht mehr wagt, in die USA einzureisen und nun in Berlin lebt. Er hat nur noch wenig Nerven für Humor und gute Laune.

Gäste bei einer Paneldiskussion beim Elevate Festival 2013. Im Vordergrund ein Fernseher, auf dem der Hacker Jacob Appelbaum zu sehen ist.

Elevate Festival

Jacob Appelbaum (links, im Fernseher)

Verschleiern und verschlüsseln

Aktivist/innen in politisch repressiv regierten Ländern, Transsexuelle, die soziale Ächtung fürchten, Netzpolitik-Expert/innen, die einfach kein Risiko eingehen wollen: Es gibt viele Gründe, warum der Kampf um politische Lösungen von vielen erst mal eingestellt wird und dem täglichen Zurandekommen, der Sicherstellung des freien Geleits weicht. Bevor irgendwann das System bzw. die Gesetze geändert sind, müssen erst einmal die Symptome technisch behoben werden. Das ist zwar ernüchternd, aber verständlich. Die temporären Lösungen, um den Big Brothers die Jalousien zu schließen, heißen etwa Tor, Cryptocat oder bedeuten den Wechsel vom Internet auf ein lokales Netzwerk oder gar eine guten, alten Computermailbox (BBS).

Theoretischer, dafür aber auch nicht ganz so trist ist da schon die Debatte darüber, was Privatsphäre denn eigentlich genau ist oder beschreiben soll und ob wir schon im Zeitalter der Post-Privacy angekommen seien. Hier werden viele Definitionen und Interpretationen vorgebracht und diskutiert. Der gegen den Strich gebürstete Netzanarcho und Offensiv-Entertainer Johannes Grenzfurthner von monochrom etwa bezeichnet quasi alles (unter anderem die Privatsphäre) als bürgerliche Fantasie und sieht als selbsternannter "alter Neo-Marxist" die Lösung nur in der Auflösung des Kapitalismus und der strengen Hinterfragung von Demokratie. Was aus der Asche der dann doch einigermaßen funktionsfähigen politischen und wirtschaftlichen Kompromisse der Gegenwart noch auferstehen würde, das nicht Chaos, Mord und Totschlag bedeuten wurde, führt Grenzfurthner zwar nicht aus - aber darum geht es wohl auch nicht. Das grundlegende Hinterfragen der in Netzkultur-Gesprächen oft benutzen Begriffe und Phrasen ist trotz der teils apokalyptischen Gedankenspiele wohltuend.

Zuhörerinnen und Zuhörer beim Diskursprogramm des Elevate Festivals. Dahinter ein großes Logo des Festivals in schwarz auf einer weißen Wand.

Elevate Festival

Und Open Everything?

Auch im Bereich der alternativen Lebensführung, die Nachhaltigkeit (schon wieder so ein Schlagwort) und Common-based Peer Production (noch so eine Phrase) predigt, wirkt heute die Euphorie von vor einigen Jahren gedämpft. So notwendig ein Umdenken des ewigen Wachstums- und Raffgier-Gedankens in der Wirtschaft wäre, so aussichtslos ist die Chance, dass mutige kleine Projekte im politischen, unternehmerischen und agrarkulturellen Bereich auch im größeren Rahmen umgesetzt werden und Vorbildwirkung erlangen könnten.

Birgitta Jonsdottir und Katrin Oddsdottir versetzen uns zwar in Staunen, als sie vom selbstbestimmten Vorgehen isländischer Bürgerinnen und Bürgern erzählen, die nach der großen Landespleite 2008 quasi eine kollaborative Bottom-up-Verfassung des Souveräns aus dem Boden gestampft haben. Doch Island ist klein. Und auch, wenn sympathische Selbstversuche, wie die des australischen Filmemachers Sam Muirhead, ein Jahr ausschließlich mit Open-Source-Dingen zu leben, positiv überraschen, ist die große Welt da draußen leider doch eine andere, als die meisten am Elevate sie sich wünschen würden. Die vielen anderen Menschen, vor allem aber der Fetisch der "gesunden Wirtschaft", sie sind träge und weitgehend unbelehrbar.

Katrin Oddsdottir und Birgitta Jonsdottir

Elevate Festival

Katrin Oddsdottir (links), Birgitta Jonsdottir

"Wir sind ein winziger Anteil an Menschen, die der Überzeugung sind, dass es wichtig ist, über's Internet zu reden. Für alle anderen ist dieses Panel hier ungefähr so relevant, wie wenn wir uns über Kühlschränke unterhalten würden", fasst Cryptocat-Erfinder Nadim Kobeissi die Situation am Freitag Abend zusammen. Es ist kein schönes Fazit, aber eines, mit dem man besser umgehen kann, wenn man es mal zur Kenntnis genommen hat. In diesem Sinne: Das Elevate und der endlose Kampf für eine bessere Welt gehen weiter. Zumindest noch bis Sonntag Abend.