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Sammy Khamis

Are you serious...

25. 10. 2013 - 16:56

Mia san mia

Wer in München eine Wohnung sucht, braucht Zeit, Nerven und viel Geld. Die Fiktiv-Firma Goldgrund macht aus dem großen Thema Mieten ein kleines erfahrbares Volkstheater.

"München ist schön wenn Du reich bist und wenn Du Geld hast geil, doch such mal ne Wohnung als alleinerziehender Elternteil", rappt der Hiphopper Keno mit seiner Brassband Moop Mama. Das war im März 2013, als Goldgrund das erste Mal die Bombe platzen ließ.

Goldgrund, das ist eine fiktive Immobilienfirma, entstanden in der Münchner Kabarett- und Kleinkunst-Szene um den Veranstalter Till Hoffmann. Das war 2012. Damals war München schon die teuerste Stadt Deutschlands. Seit Jahren hadern die Münchner mit Spekulation auf Bauland. Wenn man den Regierenden in Stadt und Staat glauben darf, dann gab's in München niemals Leerstand, also ungenutzten Wohnraum. Ja wo samma denn? Bei uns doch nicht, hört man den Politiker-Stammtisch poltern. Halthalhalt. Leerstand? Freilich gibt es das. Mitten im Freistaat. Mitten in der Landeshauptstadt sogar. Der erhobene Zeigefinger kommt von der satirischen Immobilienfirma Goldgrund Immobilien Organisation. Leerstand gibt es sehr wohl und sogar mitten in München – und in Häusern, die der Stadt gehören. Das wurde im März in der Müllerstraße gezeigt, wo Goldgrund eine Wohnung im Glockenbachviertel (dem In-Viertel in München) Guerilla-renovierte. Und vergangenes Wochenende auch direkt gegenüber der Staatskanzlei, dem Sitz der Bayerischen Staatsregierung.

Das führten die Goldgrund-Mitglieder Till Hofmann (Kleinkunstveranstalter), Alex Rühle (SZ-Journalist) und zahlreiche prominente Gäste wie Fußballer Mehmet Scholl, Kabarett Ur-Gestein Gerhard Polt, die Sportfreunde Stiller und Komiker Frank Markus Baarwasser am vergangenen Sonntag vor. Da mietete Goldgrund einen Doppeldeckerbus und fuhr einmal quer durch die Stadt. Das Motto lautete: "Die Zukunft Münchens - Wir können nur spekulieren."

Rundfahrt

Laura Freisberg

Rundfahrt mit Goldgrund Immobilien

Warum so viel München?
Weil wir gleich selbst ein paar Immobilien unsicher machen: am 26. Oktober steigt im Muffatwerk das FM4 Fest mit lauter Ösi-Acts!

Heuer dabei: Naked Lunch, Bauchklang, Effi, Francis Int. Airport, Elektro Guzzi und DaviDecks&Drums. Und noch ein Packerl DJs. Alle Details hier!

Mia san Mia, aber reich samma ned

Das Ende der Rundfahrt gleich zuerst. Letze Haltestelle ist im Stadtteil Lehel. Direkt an der Isar gelegen, gleich gegenüber dem Muffatwerk, übersichtlich, schön und alt, ist der Lehel so etwas wie die architektonische Definition des alten München. Teure Restaurants und dazwischen ein paar alte Kneipen. Hier spricht man Bayrisch, viele alte und echte Münchner wohnen hier. Vor langer Zeit auch in der Pilotystraße 8. Hier steht ein Gründerzeithaus, und es steht seit über zehn Jahren leer, fast leer zumindest. Eine ältere Frau wohnt noch hier. Sie hätte gerne Nachbarn, sagte sie der Süddeutschen Zeitung, aber der Eigentümer des Hauses meldet sich nicht bei ihr. Der Eigentümer, das ist die Stadt München.

München gilt als die Stadt für neureiche "Highperformer", wie sie Goldgrund sarkastisch nennen. Marineblau und Perlenohrringe dominieren in der Münchener Innenstadt. Aber reich sind beileibe nicht alle. Wer eine Wohnung, günstig und in guter Lage hat, der klammert sich mit aller Kraft daran. Dafür nehmen Mieter viel in Kauf. Ein Beispiel: In einem Haus in der Parkstraße wohnt eine Freundin seit einem Jahr in einem feuchten WG-Zimmer. Sie zahlt gut 300 Euro Miete. Dass eine Wand auf 5 Metern Länge feucht ist stört sie zwar, aber weniger Miete zahlt sie deshalb nicht. Sie hat Angst, dass sie aus der Wohnung muss. In München stehen für jedes WG-Zimmer 40 Interessenten bereit, die mehr zahlen, auch wenn die Unterkunft mehr von einer Tropfsteinhöhle als von einem Schlafzimmer hat. Würde meine Freundin ausziehen, suchte sie cirka ein Jahr nach einer neuen Bleibe. Ohne Connections, Glück oder sehr viel Geld für einen Makler geht in München wenig. München ist Makler-Land. Wohnungen wechseln fast nie ohne Makler die Mieter. Und das ist teuer. Drei Monatsmieten (im Schnitt) muss man dafür abtreten. München ist geil, wenn Du Geld hast, aber das hatten wir ja schon.

Goldgrund

http://www.goldgrund.org/

"Hier renovieren wir für Sie!"

500 Quadratmeter - Eine Marktlücke in der Stadt

"19 Wohneinheiten zu jeweils rund 500 Quadratmetern." Mit dieser Ankündigung machte sich "Goldgrund" im Jahr 2012 einen Namen. Schöne Wohnungen für noch schönere Mieter. Entstehen sollte dieser Traum mitten in Schwabing, dort, wo sich jetzt noch ein kleiner Park und ein Kinderspielplatz befinden. "Grandios, dieses Konzept. Mittendrin im Schwabinger Leben, umgeben von Künstlern und Studenten, und doch unerreichbar weit weg", jubelte die Lokalpresse sarkastisch.

Aus diesem fiktiven Projekt wurde natürlich nichts, aber bekanntermaßen schreibt die Realität sowieso die absurdesten Geschichten. Und die hat Till Hofmann von Goldgrund auf der sonntäglichen Doppeldeckerbusfahrt durch München verbunden.

Da ist zum Beispiel die Bausstelle von Munich 7. Umgebaut wird seit einigen Jahren ein ehemaliger Turm der Stadtwerke München. Es entstehen Luxusappartements für die finanziellen "Highperformer". Es werden die teuersten Wohnungen der Stadt. Und wer 22000 (in Worten zweiundzwanzigtausend) Euro pro Quadratmeter ausgibt, der kauft natürlich auch gleich die Ruhe von dem ganzen Stadtleben mit seinen Menschen mit. "Es gab ja Irritationen wegen einer Kindertagesstätte", berichtet ein Goldgrundsprecher im Schatten des Munich Seven Turms, "aber wir konnten dafür sorgen, dass es nun absolut ruhig ist." Gott sei Dank.

Ein Hotel für die Stadt. Zwei Hotels für die Stadt!

Weiter ging die Tour in den Norden Schwabings. Dort wird derzeit ein ehemaliges Gelände der Firma Metro umstrukturiert. Es braucht Platz für ein neues Fünf-Sterne-Hotel.. Wohnen kann man schließlich auch woanders. Hier soll Geld verdient werden, man ist ja schließlich in München.

Die Tour führt auch am ehemaligen Frauengefängnis Neudeck im Münchener Osten vorbei. Hier sollte einVorzeige-Sozialprojekt für Langzeitarbeitslose und junge Menschen ohne Ausbildung entstehen. Aber, ja aber, wo sollen denn die Business-Highperformer auf der Durchreise übernachten? Die Frage stellte sich auch das Land Bayern, seines Zeichens Träger der Immobilie. Die Antwort: Wir bauen Neudeck zum Luxushotel um.

"Is s des hier a Besetzung?" - "Viel Erfolg."

Nach der Goldgrund Aktion hat sich ein "Leerstandsmelder" auf facebook etabliert

Das Gründerzeithaus in der Pilotystraße haben die Goldgrund-Aktivisten am Sonntag besetzt. Das Münchner Atomic Cafe hatte eine Bar im ersten Stock aufgemacht, die Obdachlosenzeitung BISS richtete ein Büro ein und Ex-Fußballer Mehmet Scholl gab den handwerkenden Hausmeister. Gerhard Polt spielte den Entmieter und Immobilien-Hai, die Sportfreunde Stiller ein paar schwer erziehbare Jugendliche, Schauspieler der Münchener Kammerspiele und Musiker aus der Stadt waren mit von der Partie. Sogar die Polizei reagierte entspannt. "Is des hier a Besetzung?", war die Frage, nach kurzer Besichtigung wünschte der Beamte „viel Erfolg“.

Goldgrund Immobilien

Laura Freisberg

Die Goldgrund-Makler auf Verkaufstour

Der scheint sich einzustellen, denn der Aufschrei über das leer stehende Haus im öffentlichen Besitz geht quer durch alle Parteien. Dass das Wohnhaus im Lehel leer steht, rechtfertigt sich die Stadt, habe verwaltungstechnische Gründe. Das Haus wurde der Stadt überschrieben, es gehört einer Stiftung. Im Jahr 2002 hat der Stadtrat beschlossen, es zu renovieren. Passiert ist in den folgenden elf Jahren nichts – außer, dass keine neuen Mieter eingezogen sind. Nach der Aktion von Goldgrund meldet sich die Politik zu Wort. Die FDP (Außerparlamentarische Opposition) fordert im "Skandal um die Pilotystraße" ernsthafte Konsequenzen und selbst die in der Stadt regierende SPD gibt sich einsichtig: "Eine Wohnung steht schon seit den Siebziger Jahren leer", kommentierte der regierende Oberbürgermeister Christian Ude. Damit gab Ude den Startschuss für weitere Beschlüsse. Bis Ende November will das zuständige Sozialreferat einen Entscheidungsvorschlag erarbeiten, wie es mit dem Haus langfristig weitergehen soll. Und vierteljährlich, so die rot-grüne Stadtregierung, soll der Stadtrat künftig über Leerstände im Stadtbesitz informiert werden.

München: Nur geil, wenn Du reich bist

Bis das Haus in der Pilotystraße saniert ist, werden sich die Münchner "Highperformer" in ihren neuen Appartements bereits so wohl fühlen, dass sie im Immobilienteil der Zeitung nach neuen Wohnungen suchen. Vielleicht in einem Altbau beim Englischen Garten? München ist halt einfach geil, wenn Du reich bist.

Goldgrund Immobilien-Chefmakler Till Hofmann im Gespräch mit Rainer Springenschmid

Goldgrund Interview Till Hofmann