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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

23. 10. 2013 - 16:38

Blondes Kind – schwarze Roma

Der Fall eines in einer Roma-Siedlung aufgetauchten blonden Mädchens kursiert derzeit durch Europas Medien. Und aus praktisch allen Artikeln, die ich darüber gelesen habe, fließt schlecht versteckter Rassismus.

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„Wenn du nicht brav bist und dein Mittagessen nicht aufisst, dann kommt Opa Torbalan und holt dich!“ Das sagte meine Oma immer zu mir, als ich ein kleines Kind war.

Ich wusste sogar, wie dieser schreckliche „Opa Torbalan“ (was so etwas wie „Opa Sack“ heißt) aussieht. Ich sah ihn jeden Tag bei den Müllcontainern neben unserem Wohnblock. Er suchte immer nach etwas, was die Leute weggeworfen hatten, was aber doch wieder verwendbar sein kann. Ein krummer, schwarzer Rom mit blutigem, alkoholisierten Blick und einem riesigen Sack auf seinem Rücken, woher – so hab' ich mir das vorgestellt – wohl auch sein Name kam. In diesem Sack versteckte, laut meiner Oma, „Opa Torbalan“ Kinder, die nicht brav waren. Ich war stets brav und hab' mein Mittagessen immer aufgegessen.

Ich habe mich an „Opa Torbalan“ erinnert, als ich gestern auf den ersten Seiten der österreichischen Boulevardpresse über jenes blonde Mädchen gelesen habe, das in einer Roma-Siedlung in Griechenland gefunden wurde. Diese „Nachricht“ ist auf den ersten Seiten von fast allen europäischen Medien zu finden gewesen. Es besteht der Verdacht, dass das Mädchen aus Bulgarien stammt und dass es von seinen leiblichen Eltern für 500 Euro an das Romapaar verkauft worden war. Diese leiblichen Eltern sind unauffindbar.

Allerlei Gerüchte werden über das Mädchen verbreitet. Ein griechischer Geschäftsmann, der in Bulgarien tätig ist, sagte griechischen Medien, dass das Kind aus der bulgarischen Stadt Sandanski stammt, die sich unmittelbar in der Nähe der bulgarisch-griechischen Grenze befindet. Dafür gibt es keinen einzigen Beweis.

Alle Überlegungen zu dem Fall fangen mit dem festen Gegensatz „blondes Kind – schwarze Roma“ an. Niemand fragt sich, was die Eltern einer bulgarischen Familie (von der man annimmt, dass sie besser lebt als die Romafamilie) dazu treibt, ihr Kind zu verkaufen. Aus allen Artikeln, die ich darüber gelesen habe, trieft wenig gut verhohlener Rassismus. Jeder, der diese Pressemeldungen aufmerksam liest, fühlt offen oder zwischen den Zeilen das Bestreben, die Roma-Community zu erniedrigen.

Wir wissen alle, dass Rassismus daraus besteht, dass von einer „Rasse“ angeblich eine Gefahr für eine andere ausgeht. Die „anderen“, die Roma, sollen dann besser da hingehen, wo sie hingehören. Früher waren das schon mal KZs. Heute sind es vor allem Bulgarien und Rumänien, wo die Roma „eigentlich hingehören“. Deshalb werden Staatenlose immer wieder gerne dorthin abgeschoben. Man spricht über eine „Kultur“, die "gefährdet“ sein soll. Es soll auch „Differenzen“ geben, die „unüberwindbar“ sein sollen. Sie sind ja auch unüberwindbar, wenn die Bemühungen zu ihrem Überwinden nur einseitig erfolgen.

Eigentlich gibt es aber auch was Gutes am medialen Aufblasen dieses Falles: Die Gesellschaft in Europa mag vielleicht begreifen, dass es keine regionalen „ethnischen Probleme“ mehr gibt – diese Probleme sind längst gesamteuropäische Probleme. Der eiserne Vorhang existiert nicht mehr. Will man jetzt einen neuen, parfümierten, seidenen Vorhang aufbauen, um die Menschen in Europa zu trennen? Der Sack von Opa Torbalan ist aufgerissen worden, und sein Schreckgespenst wandert durch Europa.