Erstellt am: 22. 10. 2013 - 19:01 Uhr
Jim Avignon
Jim Avignon ist natürlich nur ein Künstlername. Als Zwanzigjähriger ist Jim mit seinem ersten eigenen Auto in der Stadt Avignon mit Motorschaden hängengeblieben. Da er nicht auf die Hilfe seiner Eltern angewiesen sein wollte, verdiente er sich das Geld auf der Straße. Mit Straßenkreide kopierte er Dali-Gemälde auf Pflastersteine. Monatelang habe das gedauert, erinnert er sich und romantsich war das keineswegs. "Es hingen nur finstere Typen in dem Zehnbettzimmer der Jugendherberge ab. Ich kam mir eigentlich eher vor wie ein Emigrant im 19. Jahrhundert, der sich mit einem Bündel Sachen in eine neues Land aufmacht und sich erst mal sehr, sehr hart durchschlagen muss. Der dann aber, wenn er es geschafft hat, auch mit einem gewissen Stolz zurückblickt und beschließt, ein neues Leben anzufangen und sich dafür auch einen neuen Namen geben kann."
Dieses neue Leben hat Jim Avignon zu einem der angesagtesten und unkonventionellsten Popartkünstler Deutschlands gemacht.
"Ich hab es nie so gern gemocht, wenn Kunst durch ihre schwere Zugänglichkeit sehr viele Leute außen vor lässt. Mein Stil ist eine Einladung, einfach drauf zu schauen, und zu schauen, ob man was findet, was einem taugen könnte", erklärt er seine Arbeit, die er übrigens nie signiert und teilweise verschenkt oder zu extremst niedrigen Preisen verkauft. Lieber 1000 Bilder um einen Euro als ein Bild um 1000 Euro ist seine Devise.
Sehr schön ist in diesem Zusammenhang auch sein Projekt
zum freundlicher Kapitalismus. Merke: Capitalsim is never friendly.
Eine neue Ebene erschließt sich zu seiner visuellen Kunst mit seiner Musik verbindet.
Sein Album
unpaid work gibts gratis zum Download.
Neoangin nennt er seine Berliner Einmann-LoFi-Elektroband. Wie in der Malerei scheint hier alles poppig leicht - getanzt wird aber am Rand von tiefen Abgründen.
Jim Avignon braucht beides - Musik und Malerei.
Wie bei einem Bauern, der verschiedene Felder mit verschiedenen Sorten von Getreiden und Hülsenfrüchten beackert, müsse er sich nach ein paar Wochen Malerei wieder eine Weile mit Musik beschäftigen. Und umgekehrt.
Multimedial im besten Sinn.
East Side Gallery
Bekannt geworden ist Jim Avignon unter anderem für seine Arbeit an dem längsten erhalten Stück der Berliner Mauer, der East Side Gallery. Dieses über einen Kilometer lange Open-Air Wandbild in Friedrichshain wurde im Frühjahr 1990 von verschiedensten Künstlern gemalt. Eines der Highlights der Gallery ist "der Bruderkuss" zwischen Breschnew und Honecker des russischen Malers Dmitri Wrubel.
Er selbst hat sich immer geweigert bei den Renovierungswellen, die es 1999 und 2009 gab, mitzumachen. Zehn oder zwanzig Jahre später ein Bild nochmal genau zu übermalen findet er "einen totalen Quatsch". Sein Bild war deswegen schon sehr runtergerockt, ausgebleicht, zugetaggt. Also war für ihn die Zeit reif, etwas Neues drüber zu malen.
Dass sich nun einige Künstler darüber aufregen (schließlich ist die East Side Gallery denkmalgeschützt) wundert ihn. Als Künstler erlebe er es täglich, dass er Arbeiten, die ihm nicht gefallen, übermalt.
Die Bedeutung und Erhaltung der Mauer steht für ihn außer Frage. Aber die der Bilder darauf nicht. Viele davon seien nach zwanzig Jahren deutlich von der Zeit überholt worden. Die Straße sei Synonym für Veränderung und Kommunikation. In diesem Sinne würde er auch die East Side Gallery umdefinieren und jährlich neue Bilder draufgeben, von Leuten, "die coole Sachen machen. Und nicht unbedingt diese Arbeiten, die man mehr oder weniger zufällig vor zwanzig Jahren dahin gemalt hat auf alle Tage aufrecht erhalten."
Damals sei von einem sehr improvisierter Zusammenschluss von Leuten gemalt worden. Es sei auch nicht lang über den Inhalt diskutiert worden. "Da waren auch viele Leute dabei, die einfach zufällig gerade einen Pinsel halten konnten und dann eben irgendwas hingemalt haben. In meinen Augen hat die East Side Gallery einfach nicht die politische Bedeutung in ihren Bildern, von der die viele Leute gerne vorgeben, dass sie hätte."
Einer strafrechtlichen Verfolgung steht er gelassen gegenüber. Schlimmstenfalls müsse er das Originalbild wieder darüber malen. Aber bloß weil sich jetzt ein paar Künstler aufregen, sei er noch nicht überzeugt. Und falls er dann in den Knast kommt, habe er wenigstens genug Zeit und Ruhe, um mal länger an seinen Bildern zu malen, lacht er.
Jim Avignon/Edition Büchergilde
Stark wie der Tod
Vor wenigen Wochen erschien der erste illustrierte Roman von Jim Avignon. Dabei handelt es sich um den 1889 erschienen Klassiker "Fort comme la mort" übersetzt "Stark wie der Tod" von Guy de Maupaussant.
Jim Avignon/Edition Büchergilde
Kurz zum Inhalt:
Dem Protagonisten, dem Portraitmaler Olivier Bertin, liegt die Pariser Gesellschaft zu Füßen. Das beste Gemälde dieses überzeugten Single ist das Portrait von Madame de Guilleroy, einer äußerst attraktiven Gattin eines Politikers. Zwischen den beiden entwickelt sich rasch mehr - Madame de Guilleroy ist die perfekte Geliebte - beste Freundin, Kritikerin, Muse und Vertraute. Jahrelang leben sie das perfekte Verhältnis. Bis zu dem Tag, als Annette, die 18 jährige Tochter von Madame de Guilleroy, wieder ins Elternhaus zieht. Annette hat sich zu einer begehrenswerten jungen Frau entwickelt, dem Abbild ihrer Mutter in jungen Jahren.
Der Portraitmaler fühlt sich immer stärker zu Annette hingezogen - und bemerkt gleichzeitig, dass er älter wird. Darunter leidet auch die Mutter. Nichts ist mehr so schön, wie es einmal war.
"Aber in Wahrheit sind sie eigentlich alle nur sehr selbstverliebt und egoistisch. Gleichermaßen auch die Kunstwelt, die dort beschrieben wird. Das kam mir alles sehr modern und genauso auch in die heutige Zeit passend vor. Vor allem auch die Art und Weise, wie die Kunstwelt dort beschrieben wird. Die Vernissagen, die ganzen Künstler mit ihren Eitelkeiten und ihrem Dünkel. Also mir kam das sehr modern vor."
Auch wenn Guy de Mopassoh heuer seinen 120. Todestag feiert, ist der Roman für Jim Avignon aktueller denn je: "Ich hab mehrmals beim Lesen gedacht, was für eine eigenartige Fügung, dass ich genau für dieses Buch ausgewählt worden bin, weil ich tatsächlich die guten wie die schlechten Momente so fast körperlich nachvollziehen konnte, und natürlich kenne ich genauso wie die Sinnkrisen und die Ideenkrisen die Momente, wo es auf einmal losgeht. Und das ist in dem Buch sehr gut beschrieben."
Jim Avignon/Edition Büchergilde
Den Inhalt nur in die Gegenwart zu übersetzten wäre Jim Avignon zu einfach erschienen. Stattdessen wollte er einen Stil kreieren, der sowohl seiner gegenwärtigen Bildsprache als auch der damaligen Zeit gerecht wird. Also hat er lange recherchiert.
"Mir ging es darum herauszufinden: Wie haben die Leute in dieser Zeit ausgesehen? Wie haben sich die Frauen geschminkt? Wie sahen ihre Schminktische aus? Wie ihre Frisuren? Gab es schon Strom auf den Plätzen - gab es in den Wohnungen Strom? Wie sahen die Möbel aus?"
Das Ergebnis sind 26 Farbbilder in dem für Jim Avignon typischen Stil, allerdings mit gedeckten Farben. Die stellen eine eigene zeitlose Welt dar.
"An dieser Welt wird sich nie was ändern. Die Eitelkeiten der Menschen sind so zeitlos, wie seit den griechischen Tragödien beschrieben - daran wird sich nie was ändern."
Im wahrsten Sinne also ein empfehlenswerter Klassiker.