Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Zwanzig Jahre Tindersticks"

Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

22. 10. 2013 - 19:37

Zwanzig Jahre Tindersticks

Ein Besuch in Frankreich bei Stuart Staples und seiner Frau, der Künstlerin Suzanne Osborne.

Das trifft sich gut, denk ich mir. Von Bordeaux aus, wo ich eine Woche lang bin, ist es nicht so weit in Richtung Herz von Frankreich, in jene Gegend, die Limousin heißt. Dort lebt seit sieben Jahren Tindersticks-Mastermind Stuart Staples samt seiner Familie - der bildenden Künstlerin Suzanne Osborne und den vier geinsamen Kindern.

Weil die Tindersticks gerade mit einem Album zwanzigsten Geburtstag feiern, lade ich mich zwecks Interview einfach ein zu den Stapleses nach La Souterraine, jenen Ort etwa fünfzig Kilometer nordöstlich von Limoges.

Bahnhof von Limoges

CC-BY-SA-2.0 / karine c. / flickr.com/tornad3

Limoges, der Bahnhof

Nein, ein TGV fährt von Bordeaux nicht ins Limousin, bloß ein aquitanischer Regionalzug, was dann für die nur etwa 180 Kilometer ganz schön lange dauert. Aber macht ja nichts, obwohl ich am selben Tag, nach getaner Stuart-Staples-Interview-Arbeit, wieder aus dem Limousin zurück nach Bordeaux will. Gar nicht so einfach, vorallem nicht, wenn man nicht den 7.00 morgens Zug nehmen will. Aber es wird ja wohl ein Bus fahren von Limoges nach La Souterraine, denk ich, schon ahnend, dass man ohne Auto hier nicht so gut dran ist. Und tatsächlich: Es gibt keinen Bus, zumindest nicht, ohne dass ich mehrere Stunden warten müsste. 50 Kilometer per Taxi? Nun ja, Interview absagen oder Taxi fahren, so sieht´s aus. Oder Stuart Staples bitten, mich abzuholen. Nein, geht nicht, weil außer zwei, drei kurze Interviews, die ich mit ihm geführt habe, kenne ich ihn nicht.

Ich entscheide mich also für die Taxi-Variante. Das schlägt zwar ordentlich auf die Geldbörse, funktioniert aber reibungslos. Nach einer kurzen Autobahnfahrt stehe ich schon vor dem Stapels-schen Anwesen, einer Art kleinem "Vierkanthof" gleich am Rand des Zentrums von La Souterraine.

La Souterraine, Frankreich

haywirephotoblogspot

La Souterraine - fast wie in England

Ich rufe Stuart Staples am Handy an, damit er mir die Tür, die fest verschlossen zu sein scheint, öffnet. Doch da kommt, noch bevor ich mit ihm rede, eine freundliche junge Frau um die Ecke, sagt hallo und öffnet die Tür: Suzanne Osborne, die Frau von Stuart Staples. Gleich hinter der Tür, Stuart himself und ein netter großer Hund, welchen das Paar Staples-Osborne rasch in den Hof verbannt. Trotz in den Hof hin offener Tür, bleibt das Tier folgsam draußen.

"Sorry, der Garten ist etwas ungepflegt", entschuldigt sich Suzanne Osborne. Die Blumen, all die Pflanzen, soviel Arbeit. I know, I know, sag ich, selbst schon an einem Garten gescheitert. Das Zwergkaninchen im kleinen Freigehege buddelt eifrig Löcher in die Wiese des Staples´schen Innenhofs. Es gehört dem jüngsten Kind des Paares Staples-Osborne. Die Tochter hatte genau an dem Tag ihren sechsten Geburstag, als man von England nach Frankreich übersiedelte. Die ältere Tochter ist jetzt 20 und studiert in Strasbourg. Sie wollte erst zurück nach England, um dort eine Uni zu besuchen, erzählt Suzanne Osborne, aber dann hat sie sich gesagt, warum in England soviel Geld zahlen für eine Uni, wenn es in Frankreich auch gute gibt und man dann nach dem Abschluss nicht verschuldet ist.

Das zweitälteste Kind der Familie ist 18 und möchte dem Vater in die Musikfußstapfen folgen. Der junge Mann lebt in einer Wohnung im Ort und ist jetzt mit auf Tour mit den Tindersticks. Mal als Roadie ein wenig Einblick bekommen, meint Suzanne. Das drittälteste Kind ist 15 und hat soeben eine Lehre in einem Haubenrestaurant ergattert. Das ist zwar anstrengend, aber eine Tätigkeit, bei der man kreativ sein kann. Erst haben sie den jungen Mann ja abgelehnt, obwohl er in der engeren Auswahl war, dann entpuppte sich jedoch der, der die Stelle eigentlich bekommen hatte, doch nicht als passend, und man rief zuhause bei Suzanne und Stuart an, ob ihr Sohn denn noch Interesse an der Stelle hätte. Hatte er.

Stuart (Staples), Tindersticks-Sänger, gemalt von seiner Frau S. Osborne

Suzanne Osborne

"Stuart" - von Suzanne Osborne

Ich spreche Suzanne und Stuart meinen Respekt aus, vier Kinder großzuziehen, die Übersiedlung in ein Land mit fremder Sprache, das Niemals-Aufgeben beim Musikmachen etc. und gehe mit Stuart Staples nach hinten, vorbei am buddelnden Kaninchen, in den Teil des Gebäudes, der früher ein Schuppen gewesen sein muss.

Rauf über die hölzerne Treppe und nach oben ins Studio von Stuart Staples. Er nennt es Le Chien Chanceux - der glückliche Hund. Licht gibt es hier, Luft, Raum zum Atmen. Es ist still hier. Aber der Ort lebt, fühlt sich "real" an; er ist schön, aber nicht voll dieser Steifheit, die am Land gelegene Aufnahmestudios wohlhabender Künstler oft ausstrahlen. Im Haushalt Staples/Osborne ist alles echt und nicht gekünstelt künstlich.

Stuart A. Staples

Stuart A. Staples

Stuart Staples erzählt im Interview, auf dem Studiosofa sitzend, er hätte nie bereut, dass er hierher gekommen ist, obwohl es nicht geplant war, dass er einmal in Frankreich wohnen würde. Die Tindersticks hatten immer ein Publikum in Frankreich. Die dunkle Melancholie der Band kam hier eigentlich besser an als zuhause in Großbritannien, von Anfang an in den 90er-Jahren.

Ja, und klar, in London, in der weiten urbanen Wüste, die die Stadt oft ist, hatte man bloß ein winziges Homestudio. Der Platz für die sechsköpfige Familie war doch etwas beengt. Kinder, sagt Suzanne Osborne, sollten Platz haben. Sie selbst ist in England am Land aufgewachsen, und sie wollte das auch ihren Kindern letztlich ein wenig bieten. Das mit Frankreich, bekräftigt Suzanne, hat sich mehr oder weniger zufällig ergeben, nachdem man in England nach einer Bleibe am Land gesucht hatte.

Die Malerei, die bildende Kunst von Suzanne Osbourne war durch die Kindererziehung ebenfalls etwas ins Hintertreffen geraten. Seit man in Frankreich lebt, ist alles lockerer, und ein Studio hat Suzanne hier im Haus auch. Die Arbeit der Absolventin einer renommierten Londoner Kunstuniversität hat man immer wieder auch auf Tindersticks-Plattencovern gesehen.

Zum 20jährigen Jubiläum der Band - von Beginn an dabei neben Stuart Staples: Neil Fraser und David Boulter - haben Stuart und Suzanne jetzt in größerem Stil zusammengearbeitet: Stuart schrieb erstmals für ein gemeinsames Buch seine Texter nieder, und Suzanne wählte passend dazu Teile aus ihrem Werk "A Year In Small Paintings - Skies, Sept 2010 - Sept 2011" aus. "Singing Skies" nennt sich diese Zusammenarbeit der beiden, die kürzlich etwa auch in Berlin und in Brüssel im Rahmen einer Ausstellug zu stehen war.

Auszug aus "Singing Skies" - Stuart Staples/Suzanne Osborne

staples/osborne

Auszug aus "Singing Skies"

Claire Denis, die französische Regisseurin - eine langjährige Freundin von Staples/Osborne - schloss sich mit einer Videoinstallation zur bildenden Kunst von Suzanne Osborne und der Musik von Stuart Staples an. Claire Denis und die Tindersticks kennen sich bereits seit Mitte der 1990er Jahre, als die Band den Soundtrack zum Claire-Denis-Film "Nenette Et Boni" machten. Es folgten weitere Arbeiten für die Regisseurin und Drehbuchautorin aus Paris. Auch für ihren neuen Film, "Les Salauds", zeichnen Stuart Staples und Co verantwortlich.

Ich frage Stuart, ob das, und das Komponieren von Musik für Theater-Produktionen - etwa für eine kommende Ausstellung in Belgien zum Thema Erster Weltkrieg - etwas ist, was er in Zukunft verstärkt machen möchte? Ob denn einmal die Zeit kommen wird, wo er nicht mehr auf Tour gehen möchte, wo er hier in Frankreich, mitten am Land, sitzen möchte - Pfeife rauchend, mit dicken Socken an den Füßen und so?

Ja, sagt, er, noch sei die Zeit zwar nicht gekommen, wo er nicht mehr touren möchte, aber elektronische Musik interessiere ihn jetzt sehr - was etwa am "Les Salauds"-Soundtrack gut zu hören ist. Von seinem ältesten Sohn hat er da Einiges gelernt, schmunzelt Stuart Staples. Da sind wir wieder bei den Kindern, und wie großartig es doch ist, wenn man welche hat. Ja, wenn das gut funktioniert, sage ich, und im selben Moment fällt mir ein, was Suzanne vorhin sagte: "You have to make it work."

A New Energy Happened Between Us

Albumcover UK Band Tindersticks Across Six Leap Years

cityslang

Across Six Leap Years von den Tindersticks ist bei City Slang erschienen.

Im Frühjahr trafen sich die Tindersticks in London, im legendären Abbey Road Studio, und nahmen einige ihrer Songs aus zwanzig Jahren neu auf, live, als Band, im Room Two der Abbey Road, den Stuart Staples für den perfekten Ort hält, ein Album live einzuspielen. Dafür "geprobt" haben die Tindersticks schon zuvor - bei Konzerten im Libanon. "Ja", sagt Stuart Staples, "man hat uns dort gebeten, ob wir denn nicht Konzerte spielen möchten. Erst schien das logistisch betrachtet eher schwierig, klappte aber dann gut. Es war eine wirklich tolle Erfahrung", sagt er, und es wäre faszinierend gewesen zu sehen, wieviel dort gebaut wird, dass soviele der Häuser, die in Schutt und Asche lagen, wieder aufgebaut sind.

Ein Song wie "Say Goodbye To The City" - vom 2003er Tindersticks-Album "Waiting For he Moon" - kommt in der neuen Version ganz ohne Streicher daher. "That song has reached a height I would have never thought", sagt Stuart Staples. Damals haben sie sich für die Streicheraufnahmen extrem viel Zeit genommen, jetzt kommen Details des Songs zum Vorschein, die erst gar nicht da gewesen schienen. Stuart Staples: "The original version, when we recorded that, I think, we looked for excitement in the string arrangements and things. Now, stripped away, you get to hear all the edges and the strange shapes of the spaces that you could never hear before."

Bahnhof La Souterraine FRankreich

flickrcom

La Souterraine, Bahnhof

Wir könnten noch stundelang reden, aber der Zugfahrplan ruft. Schnell noch ein paar Schlückchen Wein von der Flasche die Stuart Staples nach getanem Interview öffnet.

In Wien spielen die Tindersticks diesmal leider nicht. Er wollte unbedingt, verteidigt sich Stuart Staples, aber es klappte mit den Terminen einfach nicht. Na macht ja nichts - Barbican in London, Olymia in Paris oder das Barcelona Jazz Festival, das sind ja alles keine schlechten Termine. "Santé" sagen wir und die Weinglässer klingen. Dann fährt mich Suzanne zum Bahnhof. Im Haus gegenüber dem von Stuart Staples und Suzanne Osborne bewegten sich die Vorhänge, eine alte Frau schaute aus dem Fenster. Sie sagte etwas rüber zu Suzanne. Ich bring sie nur schnell zum Bahnhof, antwortet diese, eh klar, auf Französich, auf mich deutend: "Je la prends a la gare! Dann bin ich eh wieder da!"