Erstellt am: 21. 10. 2013 - 10:58 Uhr
Dirty Wars - Amerikas schmutzige Kriege
"The world is a battlefield", sagte Donald Rumsfeld, seines Zeichens Verteidigungsminister unter George W. Bush. Diesen Satz scheint sich Barack Obama zu Herzen genommen zu haben, denn der "Mr. Institutional Law Professor and Nobelpieceprice Winner", wie ihn Jeremy Scahill fast abfällig nennt, hat den "War on Terror" globalisiert und modernisiert. Drohnenangriffe und nächtliche Razzien machen heute den Kampf gegen den internationalen Terrorismus aus.
Wie es dazu kam, dass der liberale Demokrat Obama die Prämissen seines konservativen Vorgängers Bush übernahm und sogar ausgeweitet hat, das zeigt Jeremy Scahill in seinem neuen, 720 Seiten dicken Buch "Schmutzige Kriege - Amerikas geheime Kommando Aktionen."
"Barack Obama versucht seine Kriege als clean, also als sauber darzustellen. Seine Drohnenangriffe und die Einsätze der Spezialeinheiten von Navy Seals und den Delta Forces sind aber keineswegs cleaner", stellt der Autor gleich zu beginn des Interviews klar. Im Krieg gegen den Terror ist staatlicher Terror erlaubt.
EPA
Für den 39-jährigen Scahill sind George W. Bush und sein Vize Dick Cheney "class A warcriminals". Der Unterschied zu Obama bestehe darin, "that he puts the stamp of legitimacy on torture and murder."
Drohnen, Folter & Mord
Seit 2004 sollen allein in Pakistan über 2200 Menschen durch Drohnen getötet worden sein. Der Großteil nach 2008, also während der ersten Amtszeit Barack Obamas.
Als sich Barack Obama 2009 von den Methoden der Regierung Bush abwenden wollte, traute Jeremy Scahill dieser Rhetorik nicht. "Seine Reden und seine Berater waren die selben wie unter Bush", meint der Journalist bei der Vorstellung seines Buches vergangene Woche in München. "Damals schon konnte man erahnen, dass Obama keine Friedenstaube sein wird." Nach spätestens drei Kapiteln in Scahills Buch ist man davon überzeugt.
Drohnen gegen Unschuldige
Kunstmann
Einem Mann - Anwar al Awlaki - räumt der Autor gleich mehrere Kapitel in seinem Buch ein. 1971 in New Mexiko geboren, verurteilte er die Anschläge des 11. Septembers. Zu dieser Zeit war Awlaki bereits ein einflussreicher muslimischer Geistlicher in den USA. "Awlaki ist eine Metapher für alles, was nach dem 11. September geschehen ist", meint Jeremy Scahill. "Awlaki ist, war Amerikaner. Ab 2001 war er immer wieder Gast in amerikanischen TV- und Radiosendungen und er hat den Einmarsch der USA in Afghanistan als legitim bezeichnet." Doch mit dem Krieg gegen den Irak änderte sich die Einstellung Awlakis. Die Ausweitung der Kriege haben ihn radikalisiert, so Scahill. Nach Einschätzung des Autors war Awlaki der Überzeugung, dass aus dem "War on Terror" ein "War on Islam" wurde.
Awlaki ging in den Jemen, das Geburtsland seiner Eltern. Dort rief er per Youtube und in verschiedenen Blogs zum heiligen Krieg auf. Zu dieser Zeit "fingen die USA an einen Mann zu verfolgen, der ein Produkt der amerikanischen Politik war."
Barack Obama war "besessen" diesen Mann auszuschalten, weshalb er in einem Anflug "königlicher Allmacht entschied im Fall Awlaki als Richter, Geschworene und Henker" zu agieren. Anwar al Awlaki, der nie Mitglied der Al-Kaida war, oder einen Terroranschlag verübt hat, sollte ein für alle Mal "ausgeschaltet werden", fasst Scahill zusammen. Am 30. September 2011 erteilte Barack Obama den Befehl Anwar al Awlaki durch eine Drohne zu töten. Zwei Wochen später starb auch Awlakis 16-jähriger Sohn Abdulrahman al Awlaki bei einem Drohnenangriff im Jemen. "Diese gezielten Hinrichtungen Unschuldiger sprechen Bände. Die USA haben die Kontrolle über ihr Hinrichtungsprogramm verloren", stellt Jeremy Scahill nüchtern fest.
Schmutzige Kriege - Jemen, Somlia und Pakistan
Jeremy Scahill nimmt die Leser mit in die abgelegenen Schauplätze der schmutzigen Kriege. Jemen, Somalia und Pakistan sind die Orte, die heute als Hotspots des globalen Terrors gelten. Zumindest in den Augen der USA. Kleine mobile Einsatztruppen führen dort gezielte Anschläge durch oder unterstützen repressive Regierungen oder Paramilitärs. Die Legitimation der Einsätze liegt in der Unterschrift des amerikanischen Präsidenten.
Vor allem eine Truppe behandelt Scahill umfassend in seinem Buch "Schmutzige Kriege", das JSOC - das Joint Special Operations Command, eine, wie Scahill sie nennt "international killing machine". Im Trailer zum Dokumentarfilm "Dirty Wars" spricht ein Informant und ehemaliger JSOC-Agent davon, dass mit der Einsatztruppe ein "Hammer erschaffen wurde, der bis zum Ende aller Zeiten nach einem Nagel sucht."
Hörtipps heute
- Interview mit Jeremy Scahill in FM4 Reality Check (12-14 Uhr)
- Buchrezension in FM4 Connected (15-19 Uhr)
Für Jeremy Scahill ist das "JSOC so etwas wie das AllStar-Team des US-Militärs. Entstanden ist es in den 1980ern als kleine Elite-Einsatztruppe des Weißen Hauses. Nach den Anschlägen am 11. September haben Verteidigungsminister Rumsfeld und Vizepräsident Cheney die Jungs wieder von der Leine gelassen. Diese kleine Einheit, die nur im Notfall aktiviert werden sollte, wurde zur Strategie der USA. Heute, unter Präsident Obama, ist diese Truppe in 100 Ländern der Welt aktiv." In der Regel verdeckt und sehr brutal.
Wer Jeremy Scahill glänzend recherchiertes und treffend übersetztes Buch liest, der wird sich gerade in den packend erzählten Teilen des Buches selbst kneifen müssen, um "Schmutzige Kriege" nicht für einen Spionage-Roman aus den 70ern zu halten. Spannend und atemlos geschrieben gibt der Autor einen verstörenden Einblick in eine Welt, die in ihrer Gesamtheit für die USA zum Schlachtfeld geworden ist.