Erstellt am: 20. 10. 2013 - 17:47 Uhr
Gravity
- Alle Songs zum Sonntag auf FM4
- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
Die Unterscheidung zwischen den Kategorien "Song" und "Track" ist eine - zu Recht - oft bemühte, mittlerweile aber in nicht wenigen Fällen eine überholte. Alles geht ineinander, alles ist möglich, fließt und löst sich auf. Jedoch zu beobachten, wie sich die Haltung zu derlei Gegenüberstellung im Lauf einer Künstlerkarriere verändern und verbiegen kann, spendet nicht selten Anlass zur Freude. Oder bereitet Nährboden für Spekulationen oder eventuelle Einsichten.
Der kalifornische Musiker Alexis Georgopoulus war vor seinem Solo-Unternehmen Arp in der weird rasselnden und klopfenden (und übrigens sehr guten) Combo Tussle unterwegs, die sich vor allem und fast ausschließlich auf New Yorker Früh-80er-Bands wie die No-Wave-Funker Liquid Liquid oder ESG und den spröden Dub einer englischen Band wie A Certain Ratio beruft. Georgopoulus hat seinen Künstlernamen von der legendären Synthesizer-Firma ARP entliehen. Oder doch vom großen Dadaisten Hans Arp, der Schelm?
Arp
Auf seinem 2007 beim verlässlichen norwegischen Label Smalltown Supersound erschienenen Debütalbum "In Light" hat Arp fast ausschließlich Geräte ebenjenes Fabrikats zur Klangherstellung verwendet und so Pionieren der elektronischen Soundforschung gehuldigt: Tangerine Dream, Cluster, Popol Vuh. Fröhliches Dröhnen, sensibles Brummen, Ambient, kosmisches Zwitschern. Gesungen wurde hier nicht, Minimalismus und Monotonie waren Prinzip. Für sein zweites Album hat Arp sich dann doch ein erweitertes Instrumentarium ins Studio geholt, Gitarren, Bass, und sich verhalten einer Idee von Rockmusik genähert - jedoch immer noch nach allen Seiten offen und in alle Richtungen verblasen, mäandernd und im besten Sinne nicht auf den Punkt kommend.
Mit dem gerade erschienenen dritten Album namens "More" muss jetzt wohl, so sagt die Logik der Weiterentwicklung, die "Pop-Platte" kommen. Schon die ersten Töne des Eröffnungsstücks "High-Heeled Clouds" beschwören hier abermals große Geister der Musikgeschichte: Verschlafen galoppiert ein Klavier, eine Stimme sprich-säuselt von einem verträumten Verliebtsein und vor unserem Auge manifestiert sich ein in Pastellfarben gemaltes Bild, das Brian Eno und John Cale beim gut gelaunten Flanieren durch einen mit Sicherheit französischen Park zeigt.
So beruft sich das gesamte Album "More" vor allem auf die vier "Pop"-Platten, die Eno zwischen 1974 und 1977 aufgenommen hat. Hier war Raum für feingliedrige Lovesongs, avantgardistische Kunstlieder und kurze Eruptionen Richtung Rock und Glam ebenso wie für elektronische Abenteuer. In diesem eng gesteckten Rahmen bewegt sich Arp nun mit voller Absicht, ab und an gibt es kurze Schlenker in Richtung Bowie, eben auch zu dessen Krautrock/Eno-Phase, oder Minimal Music - ein Stück ist gleich ausdrücklich dem großen Komponisten Charlemagne Palastine gewidmet. All das ist ein stimmiger, in sich ruhender Kosmos - in dem ab und zu dann eben doch kleine Störer auftauchen dürfen und es unerwartet krachen darf.
Aus der hier dargelegten Ästhetik hat auch James Murphy mit seinem LCD Soundsystem große Teile seiner Magie bezogen - er hat eben noch Postpunk, No Wave und den Funk der zu Beginn erwähnten Acts in den Mix miteinbegezogen. Es ist also irgendwie gar nicht verwunderlich, dass Murphy gerade zeitgleich mit Erscheinen des neuen Albums von Arp sich auf alte Stärken besinnt und neben der eh sehr guten und sehr vorhersehbaren Zusammenarbeit mit Arcade Fire seinen schönsten Streich seit langem vorlegt: Seinen Remix von David Bowies "Love is Lost", in dem sich der Minimalismus von Steve Reich und der ewige Glam von Bowie zu einem giftig-schönen Mantra, einem Dancetrack aus einer Parallelwelt vermischen.
Arp
Genauso wenig wie Murphy je versucht hat, seine Vorbilder zu verschleiern, hat dies Arp im Sinne. Hier wird nicht kopiert und nicht probiert einen Trend zu reiten: Auf "More" und vor allem "High-Heeled Clouds", dem vielleicht im Wortsinne "schönsten" Song der Platte, wird sich verbeugt und die allerprächtigste Hommage an die Wand gekleistert. Eigene Töne, Worte, Farben findet Arp dennoch. In die Mitte von "High-Heeled Clouds" schleicht sich ein verschmitzt-linkisches Gitarrensolo, eine Orgel quietscht zunächst psychedelisch, danach gewitzt alleinunterhaltermäßig. Am Ende steht nur noch Rauschen und Brummen und ein irgendwo im Universum verhallender zärtlicher Krach. Nach drei Minuten in der Umarmung eines süßlichen und perfekt gebauten Popsongs befinden wir uns wieder im freien Fall.