Erstellt am: 25. 10. 2013 - 12:13 Uhr
Ohne Geld
- Elevate Festival, bis 27. Oktober 2013 in Graz. Und auf FM4.
Er nenne sich Elf Pavlik und komme zuletzt aus diversen Städten in Europa. Aufgewachsen sei er nahe dem Baltischen Meer, sagt der junge Mann mit dem langen Pferdeschwanz und schaut einen direkt und aufgeweckt an. Jetzt sei er in Graz, genieße die Gesellschaft von Freunden und arbeite an einer Software. So weit, nur ein bisschen poetisch. Doch Elf Pavlik lebt seit Mai 2009 ohne Geld. Ohne eigenes Geld, muss man korrekterweise feststellen.
"Ja, ich lebe ohne Geld. Ausnahmslos. Weder gebe noch nehme ich Geld oder besitze welches", sagt Elf Pavlik. Bei seiner letzten bezahlten Arbeit hätte er in San Francisco gelebt und Software für ein Start-up geschrieben. Nach einer kurzen Versuchszeit in den USA und der Rückkehr nach Europa entschied sich Pavlik definitiv gegen den Gebrauch von Geld. Warum denn das?
Du brauchst kein Geld, wenn du kreative Wege findest, an Ressourcen und Dienste zu kommen, sagt Pavlik. Er habe über Geld nachgedacht, es hätte nicht nur eine negative Wirkung auf unsere Kultur, sondern auf den Umgang mit Menschen. Dieses System funktioniere nicht für alle. Die einen würden zum Vorteil der anderen übers Ohr gehauen. Geld diskriminiere Menschen. So wolle er nicht leben. Darum begegnet er dem Finanzsystem auf seine Weise. Elf Pavlik hat seine eigene Art, sich auf andere Menschen zu beziehen.
"Ich muss niemanden überreden, mich zu unterstützen. Die Menschen sagen: Hey, ich will deine Arbeit unterstützen, wie kann ich helfen?", erzählt der 30jährige. Zudem brauche er keine extra Karotte vor seiner Nase als Motivation für Arbeit. Er brauche jedoch gewisse Bedingungen, um sich auf das Programmieren konzentrieren zu können. Drei Essen am Tag, gern selbst gekocht. Gemüse würde er gern selbst anbauen, aber momentan geht seine ganze Zeit für digitale Arbeit drauf. Also bekommt er Kost und Quartier für seine Leistung? So will Pavlik das keinesfalls sehen. Elf Pavlik bringt sich ausschließlich in Projekte ein, die er für sinnvoll und dem Gemeinwohl dienlich erachtet.
Radio FM4 / Maria Motter
Arbeit ohne Geld - ja, bitte
Als Softwareentwickler sieht er sich aber auch nicht. Er spezialisiere sich darauf. "Manchmal koche ich, manchmal fahre ich Auto oder Fahrrad, ich möchte in keiner kleinen Kategorisierungsbox landen", sagt Elf Pavlik. Kommt er ganz bewusst ohne eigenes Geld aus, um seine Fähigkeiten zu erweitern und um stets etwas zu haben, das er Menschen im Gegenzug anbieten kann? "Dass ich vielseitig sein will, hat damit wenig zu tun. Jede und jeder von uns hat viele Talente, aber nicht immer gibt man Acht darauf. Manchmal sagt jemand nebenbei: "Ich koch' sechs Mal in der Woche zuhause", so Pavlik.
Praktisch von Kindheit an kaufe einem jemand etwas, würde jemand angestellt. Irgendwann erscheine das normal. Doch das wolle er nicht kultivieren, nicht davon abhängig sein und auch nicht, dass andere davon abhängig sind.
Elf Pavlik ist gewaschen, gekampelt und hat schöne Zähne. Begegnet man ihm im Alltag, deutet nichts darauf hin, dass er im materiellen Sinne arm ist. Wie zahlt Pavlik den Zahnarzt oder eine Gesundheitsversicherung? Er bleibe einfach gesund. Überhaupt sei jemand ohne Geld nicht automatisch arm: "Wenn du dich einbringst und Beziehungen hast, in denen man sich gegenseitig unterstützt und schätzt, bist du alles andere als arm."
Je länger man sich mit Elf Pavlik unterhält, desto größer wird die manipulative Kraft von Geld in seinen Beschreibungen.
Radio FM4 / Maria Motter
Wie frei ist jemand ohne Geld mitten im Kapitalismus?
Wie frei ist jemand wie Elf Pavlik, der ohne Geld auskommt und dennoch ständig auf andere Menschen angewiesen ist? "Ich empfinde es als befreiend. Ich fühle mich sehr frei. Meine Entscheidungen treffe ich aufgrund meiner Einstellung zur Welt, meinen Gefühlen und Leidenschaften und im Bewusstsein, wie die Dinge einander beeinflussen", erklärt er. Als er noch für Geld gearbeitet habe, hätten ihn die Intentionen der Auftraggeber kaum interessiert. Und was wäre schon Abhängigkeit? "Ob du Geld verwendest oder nicht – um unabhängig zu sein, müsstest du alleine in einen Wald ziehen. Ziehst Du die Lebensmittel, die du isst, selber? Nähst du deine Kleider? Betreibst du die öffentlichen Verkehrsmittel und wenn du Fahrrad fährst, bin ich mir ziemlich sicher, dass du das Rad nicht gebaut hast, ebenso wenig wie das Haus, in dem du wohnst", sagt Pavlik.
Wie anstrengend ist das? Wo und wieviel Privatsphäre geht sich aus, wenn Elf temporär im Zuhause Fremder wohnt? "Bei Zufallsbekanntschaften übernachte ich nicht. Üblicherweise reise ich wohin, um mit anderen an einem Projekt zu arbeiten, also komme ich gleich in ein Umfeld, in dem man auf gewisse Gemeinsamkeiten vertrauen kann", erklärt er. Ab und zu hat er ein Zimmer für sich. Ungestört zu sein habe momentan keine Priorität. Hungern musste er noch nie in seinem Leben. Mit Vater und Bruder aufgewachsen, hat er heute ein anderes Verständnis von Familie. "Ich möchte jede und jeden als Schwester oder Bruder anerkennen", sagt er, "Ich habe nicht soviel Kontakt mit meinen Blutsverwandten".
Zählt er die Nächte, die er unter freiem Himmel oder auf Bahnhöfen zugebracht hat? Wenn das Wetter es zuließe, wäre eine Nacht im Freien was Schönes. Aber nicht aus der Not heraus, sondern weil er Lust dazu hätte. Dass er seinen Schlafplatz für den Abend nicht wisse, komme aber kaum vor. Wenn ihm jemand etwas widerwillig anbietet, findet er das nicht ansprechend.
Wenn Elf Pavlik tschechischen Bauern für Gemüse seinen Fotoapparat anbietet, weil er in Eile ist, ist es klassischer, einfacher Tauschhandel. Das wäre ein Kompromiss, erklärt Elf Pavlik: "Wir sind in einem Übergangsstadium. Noch reichen unsere Möglichkeiten nicht aus, um uns aufeinander zu beziehen und zu teilen und einander gegenseitig zu unterstützen."
Radio FM4 / Maria Motter
Phase oder Lebenseinstellung?
Hat Elf Pavlik nicht auch mal Lust, einfach in ein Geschäft hineinzugehen und für das, was er gerade braucht oder haben möchte, Geld auf den Tisch zu legen und fertig? Auf Frustration müsse er nicht mit seltsamen Konsumangewohnheiten reagieren, ist seine Antwort. Er wisse, was er brauche. Zudem reise er mit leichtem Gepäck.
Reisen birgt ein Problem. Denn Elf Pavlik lehnt das Konzept Nationalität ab. Er kann sich nur im Schengen-Raum der Europäischen Union bewegen. Möbel besitzt er keine. "Less is more", schmunzelt Pavlik. Und wenn er einen neuen Rechner benötigt? "Mein Laptop ist alt. Gestern ging einiges nicht, Daniel Erlacher vom Elevate Festival hat mir angeboten, er könne mir vielleicht mit einem neueren aushelfen, aber das Gerät funktioniert ja noch. Ich spiele keine Computerspiele, und ich brauch' ihn auch nicht zu meiner persönlichen Freude, sondern als Arbeitsgerät".
Auf seinem Laptop leuchtet ein "Gib und Nimm"-Aufkleber wie auf seinem Ebookreader und dem Telefon. Denn Elf Pavlik ist längst nicht der einzige, der heute freiwillig ohne eigenes Geld lebt. Die deutsche Heidemarie Schwermer lebt seit siebzehn Jahren ohne Geld und beschreibt ihren Lebensstil kurz und bündig als "Gib und Nimm": Jeder Mensch gebe, was ihm Freude mache, und bekäme, was er brauche. Das wäre im Idealfall kein berechnender Tausch, sondern ein "Fluss der Ausgewogenheit".
Würde Elf Pavliks Lebensstil für eine ganze Gesellschaft funktionieren? "Ob eine Gesellschaft ohne die Verwendung von Geld auskommen könnte? Ja, ich sehe da keinerlei technische Einschränkung", antwortet Pavlik. Generell wäre die erste Frage: Möchte ich dieser Person helfen? Die Zweite: Habe ich Kapazitäten? Nein, korrigiert sich Pavlik selbst, es ginge nur um die Kapazitäten. Er arbeitet an der Entwicklung eines Spektrums an alternativen Systemen, wie Menschen Ressourcen und Dienste organisieren könnten ohne Geld. Zum Beispiel über Wunschlisten im Netz, anhand derer einander Menschen finden und mit Ressourcen aushelfen könnten. Elf Pavlik will eine horizontale Solidarität unter den Menschen.