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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 10. 2013 - 10:00

The daily Blumenau. Weekend Edition, 19/20-10-13.

Alle jammern über die Unausweichlichkeit der großen Koalition. Warum aber gibt es sie und wer trägt die historische Schuld daran?

Noch immer recht neu; der Versuch das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen.
Mit Items aus diesen Themenfeldern.

Bei den deutschen Nachbarn gilt sie als das große Schreckgespenst des Stillstands, furchtbare Angst haben Experten, Staatsrechtler und Medien vor ihr: der großen Koalition.
Dass die letzte GroKo unter Merkel/Steinmeier zwar auch keine Sternstunde deutscher Geschichte war, in Summe aber etwa (konservativ geschätzt) das Zehnfache dessen bewegt hat, was die letzte CDU/FDP-Koalition auf die Beine stellte, wird gar nicht in Abrede gestellt - es geht den Deutschen viel mehr ums demokratische Prinzip, die Kontrolle durch politische Abwechslung, ein angloamerikanischer Ansatz - logisch: die deutsche Demokratie ist nach 1945 ja von den USA und dem UK neu aufgesetzt worden.

In Österreich ist das mit der großen Angst vor dem Stillstand völlig gleich - alles andere aber ganz anders: hierzulande wird recht bewusst übersehen, was so eine GroKo des Stillstands eigentlich produziert, solange sie so ungeschickt ist, ihre Misserfolge (keine Bildungsreform, kein Lehrerdienstrecht, nichts zu Kranken- / Pflege- / Pensions-System etc.) deutlich besser auszustellen als die meisten der überwiegend mit 100-prozentiger Zustimmung (auch der Opposition) beschlossenen Gesetze, sehen die Medien keine demokratische Notwendigkeit. Da die beiden Groß-Parteien, auch wegen dieser Minderleistungen hierzulande eh nur noch gemeinsam knapp über 50 Prozent haben, ist die GroKo auch keine Gefahr fürs demokratische Prinzip (dessen Achtung in Österreich aber eh schlecht ausgebildet ist) im Parlamentarismus (der hierzulande auch schwach ausgeprägt ist). In Österreich ist die Demokratie nach 1945 nämlich von Österreichern aufgesetzt worden.

Der Grund, warum alles in Österreich über die Fortführung von Rot-Schwarz motschkert, ist die de-facto-Unumgänglichkeit der großen Koalition, ihre durch eine Art Staatsvertrag festgeschriebene Existenz, die nur für den Fall einer Alleinregierung (früher gab's das) und für jeweils schlimm gescheiterte Allianzen mit den Nationalen (eher irrtümlich) kurz ausgesetzt wurde.

Anders als in Deutschland, wo es natürlich auch das Gleichgewicht der Kräfte, Arbeitgeber und Gewerkschaften gibt, ist die Sozialpartnerschaft in Österreich permanenter Controller, Macht-Faktor mit Veto-Recht. Wenn die Sozialpartner (Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer, Arbeiterkammer, ÖGB) sich querlegen, wird es nicht passieren. Die Zeit der letzten Ausnahme - unter der irrlichternden Schüssel'schen Wenderegierung - hat dafür gesorgt, dass diese Grundregel wieder umso heftiger gilt. Die Sozialpartner sind auch wieder deutlich enger zusammengerückt.

Diese Machtfülle dieser Parallel-Regierung ist ungewöhnlich, ihre Existenz aber historisch gut begründet. Die Sozialpartnerschaft war ein Pfeiler in der Gründung der 2. Republik, aber nicht als Schutzwall gegen Nazi-Gefahren. Die Sozialpartnerschaft ist die Basis dafür, dass sich die beiden Groß-Parteien, die beiden politischen Kräfte (Sozialdemokraten und Christdemokraten), die Österreichs 1. und auch 2. Republik geprägt haben und prägen, überhaupt noch über den Weg trauen. Eine Art Rückversicherung.

Die ÖVP, Rechtsnachfolgerin der Christlichsozialen Partei Österreichs (CS), konnte in den Vierzigern recht glaubwürdig das Bild der roten Gefahr malen - rundherum kippten vormalige Sozialdemokraten ansatzlos in Volksdemokratien, dazu hatten die Älteren noch einzelne 1918er-Versuche Räterepubliken (noch so ein Feindbild) zu errichten im Hinterkopf: für alle Konservativen sind das Horror-Szenarios. Allerdings: nur Szenarios, nichts Reales.

Die SPÖ, Rechtsnachfolgerin der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) hatte da mehr als ein politisches Schreckgespenst und eine historische Ahnung anzubieten: sie war - ebenso wie alle anderen Parteien, die da verboten wurden - Opfer der gerne verdrängten faschistischen Episode, die Österreich 1933 bis 1938 durchlaufen hat. Ihre Funktionäre wurden direkt aus den politischen Gefängnissen des Austro-Faschismus in die KZs der Nazis transportiert.

Die CS unter Führung des Bundeskanzlers Dollfuß putsche sich unter Ausschaltung des Parlaments zur Macht, etablierte als Vaterländische Front eine faschistische Dikatur nach Mussolini-Vorbild, versuchte es durch den Begriff des Ständestaats und durch die Einbeziehung der eilfertig kollaborierenden katholischen Kirche zu legitimieren, ließ politische Gegner verhaften oder hinrichten und hatte ein Terror-Regime errichtet, dass zwar nicht an den deutschen und auch nicht an den italienischen Nachbarn heranreichte, in seiner antidemokratischen Praxis aber mehr als überzeugend war. Der Austro-Faschismus war eine lupenreine gruselige Diktatur mit allen Zutaten; eine, die von einer vormals demokratischen Partei im schnellen Umschalt-Modus problemlos über die Bühne gebracht wurde.

Nun ist es schwierig eine Demokratie mit einer Staatspartei zu errichten, die historisch bewiesen hat, dass sie so eine Demokratie nicht übermäßig lang durchsteht, und dann gern die erstbeste Chance für die Errichtung einer Diktatur nützt. Genau diese Wiederholung sollte also 1945 die eigentliche Kontroll-Regierung der Sozialpartnerschaft verhindern, die auf eine sorgfältige Ausgewogenheit der Kräfte achten und entsprechende Vorzeichen früh erkennen sollte.

Diese Vorsicht ist durchaus nachvollziehbar. Die österreichischen Christlich-Sozialen sind (soweit ich das aus einem Proseminar noch richtig in Erinnerung hab) die einzige europäische CS-Partei, die jemals eine Diktatur zu verantworten hatten. Insofern ist auch die gern zitierte Einmaligkeit der österreichischen Sozialpartnerschaft nur folgerichtig.

Natürlich ist die heutige ÖVP über solche Gedankenspiele und eine politische Praxis ihre Vorgängerpartei verdachtserhaben.

Trotzdem sollten wir, wenn Medien und Öffentlichkeit wieder über die GroKo jammern, aber den Grund, die Ursache nicht vergessen.
Das alles sollte vor allem die ÖVP nicht vergessen, wenn sie über die GroKo jammert. Schließlich wird sie eigentlich wochentäglich daran erinnert - ziert das Porträt von Dollfuß doch immer noch ihre Club-Räume.