Erstellt am: 20. 10. 2013 - 13:19 Uhr
Was man mit den Händen tun soll
Bei Wohnungspartys gibt es Gäste der Kategorie "Darf ich noch einen Freund mitbringen?" - Die stehen dann meistens blöd rum und rauchen sehr viel, weil sie niemanden kennen und noch nicht betrunken genug sind, um Gespräche anzuzetteln. Sie wünschen sich insgeheim Stricknadeln oder eine Geige herbei, weil sie nicht wissen, was sie mit ihren Händen tun sollen.
Ich erinnere mich an eine Party, bei der ich ein mitgebrachter Gast war. Ich stand blöd in der Küche rum, rauchte sehr viel und wünschte mir insgeheim eine Töpferscheibe herbei, weil ich nicht wusste, was ich mit meinen Händen tun sollte. Doch irgendwann war ich betrunken genug, um mit der Gastgeberin ein Gespräch anzuzetteln.
"Was machst du eigentlich so?"
Worüber wir uns zuerst unterhielten, weiß ich nicht mehr. Allerdings kann ich mich noch erinnern, dass mich etwas an der Party irritierte. Es war so ruhig, obwohl schätzungsweise achtzig Menschen zugegen waren. Und es wurde nicht getanzt, obwohl die rhythmischen Klänge, die aus zahlreichen Boxen dröhnten, doch wenigstens irgendwen hätten verlocken müssen. Gerade, als eine gefühlte Vorahnung sich langsam zu einer vagen Idee verdichtete, sah ich durch die Tür zwei Girls im Vorraum, die sich gestenreich austauschten, ohne dabei ihre Münder zu bewegen. Dass es sich um Bauchrednerinnen handelte, war eher unwahrscheinlich, also stellte ich der Gastgeberin jene entsetzliche Frage, die es eigentlich tunlichst zu vermeiden gilt: "Was machst du eigentlich so?"
marc carnal
Ihre Antwort erlöste mich von meiner Irritation: Sie arbeitete als Gebärdensprachdolmetscherin. Ein guter Teil der Feierlaunigen setzte sich aus Klienten und Kollegen zusammen. Man möge mir die Vokabel in diesem Kontext verzeihen, aber ich war sprachlos, dass ich so lange nicht bemerkt hatte, wie viele Anwesende sich schon die ganze Zeit Kraft ihrer Extremitäten unterhalten hatten.
Gehörlose Menschen wissen auf Partys immer, was sie mit ihren Händen tun sollen. Sie sprechen damit eine Geheimsprache, die Unkundige zu faszinieren weiß. Mich faszinierte die rätselhafte Welt der Gebärdenkommunikation jedenfalls spontan derartig, dass ich die arme Gastgeberin mit Fragen löcherte, die sie wahrscheinlich schon tausendfach beantwortet hatte: Ob es landeseigene Sprachen, Dialekte oder gar Lieder gebe und ob man in Gebärdensprache flüstern oder gar singen könne, wollte ich von ihr wissen. Sie bejahte jeweils.
Mein rasendes Interesse an der Welt der Gebärden war nicht allzu nachhaltig. In meiner bierseligen Begeisterung ließ ich mich zur Ankündigung hinreißen, die Sprache lernen zu wollen. Doch hätte ich alles, was ich mir schon betrunken vorgenommen habe, auch umgesetzt, wäre ich heute gleichzeitig weltberühmt, steinreich, im Gefängnis und tot.
Krenhobel
Gleichwohl erfreute ich mich hernach immer wieder an den Gebärdensprachdolmetschern, die im Fernsehen die Nationalratssitzungen übersetzen. In einem kleinen Fenster am unteren Bildrand sind sie dazu gezwungen, die teilweise bizarren Reden der Abgeordneten für Gehörlose in Gesten zu übertragen. Einmal sagte der Abgeordnete Bruno Rossmann:
"Die Kontrolle wurde einem Komitee übertragen, dem Österreichischen Koordinationskomitee, zu dem mir immer nur ein Vergleich einfällt: Der Krenhobel. Weil dieses Österreichische Koordinationskomitee hat noch nix zustande gebracht."
Schwach war der Vergleich, denn seit wann steht das Reiben von Meerrettich sinnbildlich für eine mangelhafte Leistung? Doch stark war der Dolmetscher, der die Geste für Krenhobel im wahren Wortsinn aus dem Handgelenk schüttelte.
orf
Wenn Sie sich fragen, warum ich bei Nationalratssitzungen mitschreibe, dann fragen Sie sich ruhig, ich frag mich schließlich auch so einiges, zum Beispiel, warum mir tatsächlich schon zwei einander unbekannte Frauen erzählt haben, dass sie einmal ein Bon Jovi-Konzert versäumten, weil sie im Stau steckten. Es wäre schon bemerkenswert, überhaupt zwei Menschen zu kennen, die auf ein Bon Jovi-Konzert wollen, aber zwei zu kennen, die ein so schlimmes Ereignis aus demselben Grund verpassten, sind wirklich erstaunlich.
Das erzähle ich einerseits, weil ich das sehr gerne erzähle, aber auch, um zur Tatsache überzuleiten, dass ich auch bereits zwei Gebärdendolmetscherinnen kennenlernte. Letzten März war ich Herr Stermanns Ratepartner in der "Salon Helga Berufberatung", bei der es gilt, den ungewöhnlichen Beruf eines Gastes zu erraten. Wir schafften es eine Stunde lang nicht zu erraten, dass die Unbekannte im Studio Gebärdensprachdolmetscherin war. Unsere Frage, ob sie einen typischen Frauenberuf ausüben würde, bejahte sie nämlich, was uns auf eine falsche Fährte lockte. Aber so ist es, die Gebärdensprache scheint vorwiegend Frauen zu elektrisieren. Trotz konzentrierter Überlegungen habe ich noch keine Erklärung dafür. Ich kann mir auch nicht erklären, warum ich noch keinem Stuntman, keinem Bürstenbinder und keinem Vogelfänger, aber schon zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen begegnet bin.
Deep Throat, Pangasiusfilet
Man sollte die Regieanweisungen des Schicksals nicht als Zufälle missinterpretieren und sie vielmehr befolgen. Deshalb verschoss ich mich in die Vorstellung, eine Lesung simultan in Gebärdensprache dolmetschen zu lassen.
Es war gar nicht so einfach, eine Fachkraft zu finden, die meine Aufsätze über sich ergehen lässt, die sie immerhin dazu zwingen, Vokabeln wie Deep Throat, Pangasiusfilet, Diabetiker-Hot-Yoga oder Krenhobel zu übersetzen.
Gebärdensprach-gedolmetschte Lesung aus dem Gesamtwerk
Donnerstag, 24. Oktober, 20 Uhr
Eintritt frei!
Doch die selbst mit Superlativen nicht annährend zu beschreibende Sarah Schröer ist eine Heldin und gewillt, diese herausfordernde Aufgabe zu bewältigen.
Deshalb darf ich vorfreudig eine Lesung ankündigen, die für Hörende wie Gehörlose kurzweilig sein möge und zu der alle relevanten Informationen von Ihnen aus gesehen rechts zu finden sind. Das ist dort, wo der Daumen links ist.
gebaerdenwelt.tv