Erstellt am: 19. 10. 2013 - 14:28 Uhr
Europa müsste schreien
"Die Gedanken sind frei - Angst ist Alltag für Roma in Europa",so heißt eine Plakatausstellung, die gerade in Linz zu sehen ist. Offensiv und pointiert kritisiert die Künstlerin Marika Schmiedt die Situation für Roma in der EU, vor allem die Roma Politik Ungarns.
Im April schon waren die Plakate auf einem Baustellenzaun in der Linzer Altstadt zu sehen - allerdings nur zwei Tage, zuerst zerrissen von einer Passantin, dann entfernt von der Polizei. Die Ausstellung jetzt im Foyer vom Alten Rathaus zu zeigen ist auch ein klares Statement der Stadt Linz, die nun auch mit einer Flut von Protestbotschaften konfrontiert ist.
Das hat eine wahre Protestflut ungarischer Nationalisten ausgelöst, auch der ungarische Botschafter hat sich bei der Stadt Linz beschwert, denn in Linz sind die Plakate momentan im alten Rathaus zu sehen.
Marika Schmiedt über ihre Ausstellung:
"Diese Ausstellung soll als Spiegel der verbreiteten aber
durchschnittlich nicht wahrgenommenen Rassismen dienen und mit der Geschichte der Verfolgung der Roma in Verbindung gebracht werden. Pogrome in Europa existieren nach wie vor lebensbedrohende Zustände sind allgegenwärtig und obwohl die Situation für Roma eine soziale und politische Situation hervorruft, die an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert, hat sich die Mehrheit zum Schweigen entschlossen. Meine Collagen die im Sinne der Confrontage agieren, versuchen das
Schweigen zu durchbrechen und den Rassismus zu enthüllen und gleichzeitig der fortschreitenden Diskriminierung entgegenzuwirken."
Marika Schmiedt
Die Ausstellung die noch bis Sonntag in Linz zu sehen ist, hat für Proteste für heftige Reaktionen gesorgt, wie geht´s ihnen damit?
Diese Proteste, die reißen nicht einfach nicht ab. Ich bin tagtäglich mit Mails oder per Facebook oder mit Kommentaren auf meinem Blog konfrontiert, die diese Ausstellung thematisieren. Von wirklich saublöd bis bösartig. Von – was schon bekannt ist – ich würde das ungarische Volk beleidigen, das Volk verhetzen und Lügen über das Land verbreiten. Wie soll´s mir damit gehen? Es ist zum Teil unangenehm und zum Teil einfach lästig, dass man sich mit so was beschäftigen muss. Dieser Wahnsinn, diese Umkehrung: nicht die Verhältnisse werden thematisiert, sondern meine ekelhaften Plakate.
Haben sie damit gerechnet, dass die Ausstellung solche Reaktionen hervorrufen wird?
So massive Proteste ehrlich gesagt nicht. Ich bin es zum Teil schon gewöhnt, von der ersten Ausstellung, die in Linz zu sehen war. Aber jetzt hat es noch einmal eine andere Dynamik. Ich hab zum Beispiel an einem Tag 1.700 Klicks auf meinem Blog gehabt, wovon 1.300 aus Ungarn waren.
Gibt es aus Ungarn eigentlich auch positive Reaktionen?
Zum Teil, von Menschen, mit denen ich auf Facebook befreundet bin, die in Ungarn leben. Aber es gibt sehr wenig Positionierungen, zum Beispiel auch von Leuten, von denen ich es mir erwarten würde, von Roma, die in Ungarn leben, die sich aber öffentlich nicht positionieren können, weil sei einfach Angst haben. Das spiegelt diese Realität nochmal.
Diskriminierung, Rassismus, Schikanen, gewalttätige Übergriffe, damit sind Roma in Europa immer wieder konfrontiert – in einem Interview meinen Sie, viele Leute wissen davon, sie sind kurze Zeit betroffen, aber es gibt keine Veränderung.
Es gibt tagtäglich neue Belege dafür, was abgeht in Europa. Es gibt irgendwie kein Unrechtsbewusstsein mehr oder die Leute sind irgendwie schon so abgestumpft und vergessen das Allerwichtigste, dass im Grunde genommen alle betroffen sind. Weil solche Repressionen, die wirken sich nicht nur auf eine Gruppe aus, das betrifft letztlich alle.
Und zumeist wird halt diese Umkehrung betrieben, wie bei meinen Plakaten. Zum Beispiel in Schweden. Was ich so unerhört finde ist dieses Roma-Register. Da konzentrieren sich die Leute jetzt darauf, den Verräter in der Polizei zu finden, der das an die Öffentlichkeit gebracht hat, anstatt die Existenz von solchen Registern zu thematisieren.
Marika Schmiedt
Was läuft ihrer Meinung nach verkehrt?
Das hat zum Teil auch echt mit einer Verdummung der Gesellschaft zu tun. Ich drücke das so aus, weil ich das so empfinde. Wenn man sich nur das letzte Jahr anschaut, was da ständig, tagtäglich abläuft – eigentlich müsste ganz Europa schreien. Es gibt immer nur kurzfristigen Protest oder einen Aufschrei, das dauert aber auch irrsinnig lang, bis etwas in den Österreichischen Medien ist und da gibt nur ein paar wenige, die immer wieder darüber berichten. Ich weiß es auch nicht. Natürlich hat es auch damit zu tun, dass jeder mit seinem Eigenen beschäftigt ist, weil es immer schwieriger wird.
Sie waren ja auch selbst in osteuropäischen Ländern, um für einen Film zu recherchieren und zu drehen – in einem Roma Slum in Belgrad. Wie erleben sie dann dort die Situation im Vergleich zu dem wie auf einem europäischen Level die Roma Politik verhandelt wird?
Belgrad, das ist exemplarisch für ganz Europa. Das sind entsetzliche Verhältnisse. Das können wir uns gar nicht vorstellen unter solchen Bedingungen leben zu müssen. Keine sanitären Anlagen, Nichts. Zum Teil Blechhütten, Papphütten. Leute, die Mauern haben, also ein gemauertes Haus, die sind schon in einer privilegierten Situation. Generationen von Roma in Belgrad haben sich ausschließlich von Essensresten aus der Mülltonne ernährt, die Sterberate ist natürlich extrem hoch. Und das ärgert mich dann so, wenn immer wieder diese Bildungsdebatte auftaucht. Weil, solange man Menschen zwingt, in solchen Verhältnissen zu leben, wo soll denn da ein Bewusstsein entstehen für eine Notwendigkeit zu Bildung, beziehungsweise sind die Voraussetzungen überhaupt nicht gegeben.
Marika Schmiedt
Ihr Beitrag ist die Arbeit, die sie machen – aber was wäre ihre Idee, was muss sich ändern, was wäre wichtig?
Ich hab keine Lösung parat, ein wesentlicher Schritt wäre, dass erstens einmal Roma für sich selbst sprechen. Weil es nach wie vor so ist, dass immer für Roma gesprochen wird. Roma müssen Forderungen stellen… die Dinge beim Namen nennen. Und der Mehrheitsgesellschaft kann ich nur raten, das noch einmal zu reflektieren, das es wirklich alle betrifft. Aber, ich habe keine Lösung parat, das sehe ich auch nicht als meine Aufgabe. Ich kann die Welt nicht verändern, ich kann nur meinen Beitrag leisten – und mein Beitrag ist der, dass ich es einfach aufzeige, weil es mich ärgert, ich will es nicht unkommentiert stehen lassen.
Was ist ihr nächstes Projekt?
Ich würde gern ein Buch machen, mit den Unterlagen die ich im Laufe der Jahre recherchiert habe, zu meiner Familie, die im Konzentrationslager umgekommen sind. Und das würde ich gern mit dem Heutigen verknüpfen. Und, weiter aktivistisch tätig sein, Ausstellungen machen.
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