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David Pfister

Rasierklingen, Schokolade, Zentralnervensystem, Ananas, Narzissmus und Ausgehen.

16. 10. 2013 - 07:33

Mein geheimes Leben bei Scientology

Bücher über Scientology-AussteigerInnen gibt es viele. Dieses ist aber deshalb interessant, weil Jenna Miscavige Hill die Nichte des Scientology-Chefs David Miscavige ist.

Die Frau zeigte auf eine Stelle, verlangte aber, dass ich zuerst den Text las. Die unvermeidliche Schlussklausel lautete: "Daher verpflichte ich mich für die nächsten Milliarden Jahre der Sea Organization" (laut Flag Order 323). Bevor ich unterschrieb, blitzten Bilder aus der Kleinen Meerjungfrau vor meinem inneren Augen auf, vor allem die, in denen Arielle das magische Abkommen mit der Meerhexe unterschreibt. Ich wusste, Verträge bedeuteten, dass ich mein Versprechen halten musste, also machte ich mir im Stillen Notizen über das, was ich versprach: dem Kodex folgen, die Sache voranbringen und eine Milliarde Jahre dienen.

David Miscavige ist seit seinem 26. Lebensjahr in der Führungsspitze der Scientology-Kirche und genießt einen berühmt-berüchtigten Ruf. Spätestens seitdem er Trauzeuge bei der Hochzeit von Tom Cruise und Katie Holmes im Jahr 2006 war, ist er einer breiten Öffentlichkeit bekannt und eine große Nummer im Boulevard-Zirkus.

btb Verlag

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Andererseits muss sich Miscavige immer wieder verschiedenste Vorwürfe von Scientology-AussteigerInnen gefallen lassen, die mitunter von psychischen und physischen Misshandlungen berichten. Und nun hat also seine Nichte Jenna Miscavige Hill ein Buch über ihr Leben bei Scientology geschrieben. David Miscavige spielt da natürlich eine große Rolle, genauso wie die vermeintlich ambivalente Rolle der Scientolgy-Kirche.

Als Scientologen glaubten wir daran, dass unsere Seele wenn unser Körper starb, ein neues Leben in einem neuen Körper begann. Unser Gründer L. Ron Hubbard, sagte, dass wir als Geister schon Millionen von Jahren leben würden, mit oder ohne Körper. Das hatte ich geglaubt, seit ich denken konnte. An diesem Tag war ich mehr als bereit, mich für die Sache zu verpflichten, die meinen Eltern so am Herzen lag. Die Sea Org bedeutete ihnen so viel, dass sie mich mit sechs Jahren auf der Ranch untergebracht hatten, um ihre ganze Zeit der Mission der Kirche widmen zu können. Sie sahen mich ausschließlich an den Wochenenden, und das auch nur für ein paar Stunden.

Daher verpflichte ich mich für die nächsten Milliarden Jahre der Sea Organization

Die Lehren der Scientology gründen auf Schriften des amerikanischen Science-Fiction-Autors L. Ron Hubbard. 1950 veröffentlichte Hubbard das Buch Dianetik, in dem er - in aller Kürze auf den Punkt gebracht - Techniken und Philosophien entwarf, die Menschen helfen sollen einen vollkommenen und unsterblichen Geist zu entwickeln.

1954 gründete er, basierend auf seinem enorm erfolgreichen Dianetik-Buch, die Scientology-Kirche. Obgleich die Bezeichnung Kirche und überhaupt der Religionscharakter der Vereinigung in vielen Ländern umstritten ist. Genauso wie die Ziele von Scientology und ihr Umgang mit Kritik und AussteigerInnen.

Das schaffe ich, sagte ich zu mir. Und damit versuchte ich, meinen Namen in Schönschrift zu schreiben, mit der richtigen Verbindung der einzelnen Buchstaben, genau, wie ich es in der Schule gelernt hatte. Ich wollte, dass meine Unterschrift unter diesem wichtigen Dokument perfekt war, aber die Anwerber trieben mich zur Eile an, weil sie noch die Kinder hinter mir in der Schlange registrieren lassen mussten. Daher wurde meine Unterschrift nicht so schön wie erhofft.

btb Verlag

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"Mein geheimes Leben bei Scientology" ist die detailreiche Schilderung des Lebensweges einer jungen Frau von der Geburt bis zur Erwachsenen im innersten Machtzentrum der Scientology-Bewegung. Mit all den Ambivalenzen, auf die man immer wieder stößt, wenn man sich mit Scientology beschäftigt. Da die Autorin kaum einen wütenden Charakter oder eine wütende Sprache gegenüber der Kirche und ihren Onkel pflegt und sogar dazu neigt, krude Erziehungsmethoden zu verteidigen, hinterlässt das Buch einen authentischen und ausgeglichenen Eindruck.

Aber Aufgabe dieses Artikels ist es nicht die Rolle von Scientology zu bewerten. Was diese Autobiografie nämlich abseits des übermächtigen Scientology-Themas auch ist, ist eine Standortbestimmung alternativer Formen von Familie und Erziehung und welche dramatische Entwicklungen es haben kann, wenn Eltern ihre ideologischen, religiösen oder politischen Überzeugungen über das Wohl ihrer Kinder stellen.

"Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht" von Jenna Miscavige Hill und Lisa Pulitzer ist im btb Verlag erschienen. Aus dem Amerikanischen von Ina Bell und Marianne Denkhaus übersetzt.