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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

13. 10. 2013 - 17:22

Digitale Hippies

Der Song zum Sonntag: Glasser - "Shape"

"Ring", das Debütalbum von Glasser, war 2010 eine der in der öffentlichen Wahrnehmung ein bisschen nachlässig behandelten schönen Platten des Jahres. Die unter diesem wunderbaren kalten, schon nach scharfen Kanten und Zerbrechlichkeit klingenden und so auch gut passenden Künstlernamen operierende Musikerin und Sängerin Cameron Mesirow hat da gezeigt wie man die Symbiose von weirder Folklore und elektronischen Science-Fiction-Fantasien gleichermaßen elegant wie ruppig modellieren kann.

Vor allen Dingen am Rechner zusammengebastelt und aus Samples delikat aneinandergeschnitten, dominierte auf "Ring" der Rhythmus: Es rumpelte und klapperte, es schepperte und polterte. Ab und an rasselte es. Handclaps und Fingerschnipsen, diverses Klopf- und Schlaginstrumentarium, Trommelwirbel, Tribal Drums, Marschrhythmen, zu deren Donnern man in den Krieg für eine bessere Welt zieht. Meist klang das hinsichtlich des Klangmaterials aufrührerisch und wild und roh, war aber stets in das Format des mit kühlem Bick und strenger Hand geformten Popsongs eingepasst. Darüber thronte die ätherisch sich dehnende und wendende Stimme von Frau Glasser.

Glasser

Glasser

Glasser

Mittlerweile ist die ursprünglich aus Los Angeles stammende Musikerin nach New York gezogen und so soll das gerade erschienene zweite Album von Glasser namens "Interiors" auch maßgeblich von der Architektur, der Kunst, dem Design der großen Stadt beeinflusst sein. Von der Kälte der Metropole, der Isolation, genauso natürlich auch von der kulturellen Vibration und der Schmelztiegelhaftigkeit. "Interiors" – das meint eben nicht nur die schicken Tische und die geilen Objekte, die wir in unseren Lofts herumstehen haben, sondern zielt auch auf die Frage ab, wie denn der Gemütszustand in uns drinnen gerade so möbliert ist. So als Menschen.

Das Stück "Shapes" war die erste Vorabsingle zum neuen Album von Glasser und eröffnet "Interiors" jetzt auch. Die Single gibt vor, dass weiche Veränderungen in die Welt von Glasser gezogen sind. Wo das Album "Ring" ein edel in höchster Präzision umfallender Porzellan-Schrank war, ist "Interiors" jetzt ein Quecksilberstrom, der sich weihevoll an der schwarzen Oberfläche eines schräg gehaltenen Ipads hinabschlängelt. Er zittert gefährlich, er funkelt doch so schön! Alles ist hier ein Gleiten und ein Schweben. Die Beats klingen deutlich "elektronischer" und eher vom digitalen Dancefloor abgehört als vom meditativen Gruppen-Trommelworkshop.

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Glasser singt aber eben genau nicht vom metallenen Moloch Metropolis, von bösen Maschinen und der Zerstörung durch die Roboter: Das Design der Zukunft wird im Sound transportiert, der Text ist Naturpoesie, handelt von Landflucht und der mit voller Absicht gewählten Rückkehr in eine Pose vorindustrieller Naivität. Immerhin im Geiste. Wobei die ausdrückliche Erwähnung des einen freilich immer auch das abwesende Gegenteil impliziert. Nicht zuletzt durch diese Gegenüberstellung "Kindlichkeit/Unschuld vs. Computermusik und Technologiegläubigkeit" rückt Glasser ihrer großen Schwester im Geiste, Björk, ein wenig näher . Coole Esoterik, ein modernes Besingen der Magie der Steine.