Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Extra Edition, 12-10-13."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 10. 2013 - 15:42

The daily Blumenau. Extra Edition, 12-10-13.

Was nach dem Ende der WM-Träume bleibt: the Good, the Bad and the Ugly. Fußball-Journal '13, nach der Niederlage in Schweden.

Noch recht neu; der Versuch das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen. Mit Items aus diesen Themenfeldern. Heute, klar, mit einer Nachbearbeitung des Schweden-Länderspiels, dem WM-Aus und den Folgen.

The Good

Österreich ist wieder auf der Landkarte. Sowohl auf der, auf der man ernstgenommen wird, als auch auf der wo die spielerischen Qualitäten des Kontinents eingezeichnet sind.

Einzelnes ist wunderbar: den WM-Halbfinalisten an den Rand drängen zu können, Schweden auswärts taktisch zu dominieren, einen Gegner wie Irland spielerisch zu überwinden. Ein Linksverteidiger, der in der Rolle als Mittelfeld-Motor, als Achter mit Benefits nach vorne und hinten aufgeht, seine Spiel- und Platz-Intelligenz verströmt. Ein falscher Zehner mit Dynamik und Potential, eine gediegene Auswahl in der Offensive, Korsettstangen in jeder Formation.

Und vor allem: das ist innerhalb kürzester Zeit aus dem reinen Nichts (der Ära Constantini) entstanden, nachdem schon in den Jahren/Jahrzehnten davor langsame und verstaubte Fußball-Lehrer älterer Schule, ahnungs- und interessenslose Blender oder Blüffer innerhalb eines verlotterten Verbands ohne Sinn und Struktur das Nationalteam systematisch runtergewirtschaftet hatten.

Marcel Koller heißt der Chef dieses Konzepts, Fritz Schmid ist die Seele dahinter, die Statt- und Standhalter sind Thomas Janeschitz und Willy Ruttensteiner. Und es war Rettung in letzter Not, die letzte Lampe für den Fluchtweg ins 21. Jahrhundert, den ein österreichischer Trainer (aus vielen Gründen, nicht nur der der Qualität) niemals gefunden hätte.

Österreich ist (noch) nicht Belgien; aber auch nicht (mehr) Serbien.

Das war der Titel eines Fußball-Journals von vor genau einem Jahr. Und es stimmt immer noch. Ebenso wie Belgien oder Serbien hatte Österreich einen dringenden Neuaufbau nötig. Und wo sich das serbische Team wegen eines katastrophal strukturierten Verbands, hypernationalistischer Trainer, einer hohen Fluktuation aus dem übervollen Spieler-Pool, zu radíkalen Schnitten etc. in allen erdenklichen Anfängerfehlern verrannte, wich der ÖFB dank des Koller-Kurses den Fallen geschickt aus.
Belgien hingegen baut schon länger und bereits konzentrierter auf - bereits das ideenlose Constantini-Team spielte gegen den Kern der heutigen Überraschungs-Mannschaft - und ist damit das Vorzeige-Entwicklungs-Team Europas: eine junge Legionärs-Mannschaft voller Esprit und Talent.

Belgien wurde klarer Gruppen-Erster; Serbien ist Dritter, war aber bereits seit Längerem ohne jede Quali-Chance.
Österreich ist genau dazwischen: noch nicht so weit wie Belgien, aber deutlich weiter als die Serben. Und so spielte der Gruppen-Dritte (das ist zumindest recht fix) bis zum letzten Weekend um die Quali-Chance mit.

Das ist mehr als zu Beginn der Campaign zu erwarten war; das ist ein besseres Abschneiden als in allen Vorab-Projektionen seriöser Analysten.
Vor zwei Jahren war Österreich noch hinter der mittlerweile in die Krise gerutschen Türkei und Belgien Vierter, und schaffte keinen Sieg gegen die Top 3. Diesmal wurden Schweden und Irland immerhin einmal besiegt. Das sind allesamt klare Fortschritte.

Das Beste am Guten ist also die Option auf die Zukunft, darauf das nächste Belgien werden zu können. Die Chancen stehen gut, wenn man die nächste Legionärs-Generation, wenn man Holzhauser, Schöpf, Sallahi, Ritzmaier, Stojanovic, Spendlhofer, Wimmer, Gregoritsch oder was da noch so nachkommt, in ein sich intensiver ineinander fügendes Team integriert. Für die Euro '16 in Frankreich ist alles geritzt.

Gut ist auch die allgemeine Akteptanz des Koller-Wegs, selbst unter den Prohaskas der Branche, den inhaltlich vorgestrigen Seilschaftlern - aber auch nur weil die instinktiv spüren, dass er greifen wird.

The Bad

Natürlich ist Kollers Projekt lang-, zumindest mittelfristig angelegt. Trotzdem wäre, auch kurzfristig, mehr möglich gewesen. Und etwas mehr Wagemut in den entscheidenden Situationen hätten wohl sogar noch die Erfahrung von zwei echten Play-Off-Spielen gebracht.

Die überzogene Vorsicht, der mangelnde Mut sind auf eine unheilvolle Allianz zurückzuführen, vor der man sich auch weiter in Acht nehmen muss: da wären einmal die Quasi-Kindheits-Traumata der Spieler, die von katstrophalen Coaches teilverdorben wurden, ehe sie ins Rettungs-Camp Koller kamen. In Krisen-Momenten kommen diese verschütteten Erinnerungen hoch und wirken sich (noch) aus; selbst bei Alaba. Dann ist da die noch immer zu verhaltene Vorsichtl-Grundeinstellung des ÖFB, in dem immer noch zuviel Gigi Ludwig und zu wenig moderner Geist steckt. Und dann ist da noch das Schweizerische in Marcel Koller. Er ist zwar strategisch und taktisch jedem österreichischen Coach überlegen, schafft es aber manchmal nicht, das innerhalb eines Spiels umzusetzen. Er ist ein lauer Wechsler und Zauderer.

Dass er gestern gegen Schweden nach dem Ausgleich auf Remis spielen wollte, anstatt den Weg der 1. Halbzeit, die voller Druck und Siegeswillen war, taktisch fortzusetzen, und damit das symbolische Los!-Zeichen für Ibrahimovic gab, ist nicht sein erster Coaching-Fehler. Koller muss besser werden, den Mut, den er vor und nach dem Spiel an den Tag legt, auch während des Spiels abrufen.

Schlecht ist auch, entgegen aller Versprechen und einzelner Bemühungen, die Absprache innerhalb der Nationalteams. In der U21 herrscht, typisch Werner Gregoritsch, autoritärer Wildwuchs, die U20 hat man aufgelöst, die Nachwuchs-Arbeit setzt erst mit der U19, dem Jahrgang 95 an. Die Jahrgänge dazwischen, die fürs A-Team schon kurzfristig interessant werden können, werden vernachlässigt.

Niemand kümmert sich um den systematischen Aufbau in Problem-Positionen, etwa der des Rechtsverteidigers. Dass Garics immer noch konkurrenzlos ist: ein Armutszeugnis. Ein wirklich funktionierender Verband (der DFB etwa, oder, ja schon wieder, und immer wieder, und zurecht: die Schweizer) hätte schon vor Jahren (und dieses Problem schwelt ja schon länger) all seine Coaches angewiesen spezielles Augenmerk zu legen, auf entsprechende Fähigkeiten zu achten, zu fördern, umzuschulen.
Der ÖFB tut weiter, was er schon immer tat: er verlässt sich auf seine Jahrzehnte-Talente. So wie die Cordoba-Truppe oder die Herzog-Polster-Generation, als ohne Zutun von irgendjemandem, einiges zufällig zusammenkam, so soll es auch jetzt mit der Alaba-Generation klappen.

Ein echter Verband zeichnet sich aber dadurch aus, dass er das Level seiner Nationalmannschaft auch in Phasen ohne zufällige Talente-Ballung aufrecht halten kann. Alles andere ist keine Arbeit, sondern fettärschig dazitzen und sich die Gunst der Stunde anrechnen lassen. Darin ist der ÖFB seit den 60ern, als man das letzte wirklich gut entwickelte Team nicht zur WM nach Chile schickte und somit das Loch riss, aus dem wir uns heute noch befreien müssen, sehr sehr gut.
Aus diesem alteingeführten Modus muss sich der träge Verband befreien - auch das dauert sicher noch eine Weile.

The Ugly

Es gilt einen Notstand auszurufen: die Mainstream-Medien sind in Sachen Sport in einer Verfassung, die jeder Beschreibung spottet; sie strotzen vor Inkompetenz, ergötzen sich im billigsten Hurrapatriotismus, flüchten sich in populistischen Entrüstungs-Gestus, betreiben bewusst Klientel- und Interessenspolitik, fahren Kampagnen und tun alles - außer Journalismus.

Das fällt jetzt so radikal auf, denn in der erstmals ein wenig anspruchsvolleren Ära Koller wäre nämlich erstmals so etwas wie Sachkenntnis erforderlich; dass ein Fußball-Journalist etwa ein Spiel lesen kann. Bislang konnten sich Reporter (egal für welches Medium) mittels Kontakten (Tratsch, Home-Stories, Blabla) und durch den Griff ins kleine Floskel-Buch über den Tag retten. Das ist jetzt vorbei: die neue Trainer-Generation, die neu Spieler-Generation verlangen dem österreichischen Sport-Journalismus ab, dass es ein 4-2-3-1 von einem 4-1-4-1 unterscheiden kann; und zwar auf den ersten eigenständigen Blick, nicht erst durch den zufälligen richtigstellenden Hinweis eines Experten in der Pause. In Österreich berichten Menschen über Fußball, die das Spiel weder verstehen noch lesen können. Das ist im Fernsehen augenfälliger als im Printbereich. Aber: setzen Sie sich einmal auf die Pressetribüne und schauen sie dem Schreiber des Mediums ihres Vertrauens während des Spiels über die Schulter. Mehr als Wasserstandsmeldungen und populistische Ergebnis-Rhetorik ist da nicht. Warum etwas wie zustandekam, wird als großes Mirakel verkauft (so ist er halt, der Fußball...) oder, billig, ultrapopulistisch, an einfachen Sündenböcken festgemacht (beliebt: der Referee oder Arnautovic), und je nach Ergebnis und Interessenlage, so zurechtgedreht, dass es dem Medium, seiner Kampagne, seinen Partnern und anderen Fähnchen im Wind zupass kommt.

Das ist wie gesagt alles Mögliche, aber kein Journalismus.

Wo in der Liga durch die schiere Anzahl der Matches, die Tatsache, dass sie wenige Zuschauer haben und es den meisten egal ist, noch verschleiert werden kann, wie wenig Ahnung da reportiert, wird es bei Länderspielen besonders deutlich sichtbar.
Ein paar Sprüche, populistische "Noten"vergabe und oft nicht einmal die richtige taktische Formation beschreiben können, das ist in Zeiten der technischen Statistik-Hilfsmittel und der idiotensicheren Aufklärungs-Blogs einfach nur schandbar.

Aber auch hier geht es unm den Weg des geringsten Widerstands: auf in die chauvinistische Aufputsch-Maschinerie, die ein diffuses Wir-Gefühl bedient, nebenbei noch auf der populistischen Anti-Ausländer-Orgel dudelt und sich dabei jegliches Nachdenken erspart.

Vor allem Österreichs Host-Broadcaster, egal für welches Ereignis, gerieren sich wie die Kriegsberichterstatter in Kraus' "Letzten Tagen der Menschheit".

Es gibt für diesen Notstand unter Österreichs Mainstream-Sportjournalismus keinerlei Ausrede: die entsprechenden Fachseiten und -Magazine existieren, einzelne Best-Practice-Beispiele leben einen anderen besseren Ansatz ja vor.
Aber auch hier herrscht ein Geist, der dem im alten ÖFB ähnelt (kein Zufall, dessen Dominator ist ein ehemaliger Boulevard-Journalist dieser ganz alten Schule...). Die Zeiten haben sich interrnational aber geändert. Jeder einzelne Provinz-Schreiber in Fußball-Deutschland hat mehr Kenntnisse und weniger falsche fixe Ideen als der heimsiche Boulevard und der scheinbare Qualitätsjournalismus zusammengenommen.

Ich verlange nicht, dass man etwa vor einem Länderspiel einen Theseaufstellt und zugleich einen Wunsch präsentiert - und dass dann am Matchtag beides eintritt - seriöse Beschäftigung mit dem Spiel sieht so aus: abseits.at zieht das etwa über die Rolle von Dragovic auf. Ballverliebt.eu lobt den schwedischen Coach für seine Umstellungen.

Ebenso wie den ÖFB nur die Radikalkur Koller aus dem Sumpf ziehen und in Richtung 21. Jahrhundert mitnehmen konnte, kann es nur eine Radikalkur der/für die Medien sein, die Österreich von Status des 3.Welt-Medienlandes befreit, in dem Jounalismus in erster Linie aus der Wiedergabe jedes einzelnen Schas jedes Wichtigen, jedes Geldgebers und jedes Mächtigen besteht und in dem eigenständiges Denken schlicht und ergreifend verboten ist - wo Selbstzensur nach dem Motto "ich will ja dem Sport nicht schaden" regiert.

Österreichs Fußball-Jornalimus lebt in einer selbsterdachten Diktatur der Sport-Funktionäre, in der sich Schönschreiberei mit radikalem "Aufhängen, das Xindl"-Genörgel abwechselt. Dazwischen gibt es nichts.

Dazwischen fände aber das Leben, auch das sportliche, auch das des Fußballs, statt. Dies abzubilden, die eigentliche Aufgabe des Journalismus wiederzubeleben, das gilt es mit aller Macht klar und deutlich zu machen, öffentlich, und als Publikum einzufordern und durchzusetzen.

Nicht dass sich das Team Koller nicht auch mit der Notstands-Mediensituation für 2016 qualifizieren wird - aber es wäre um ein vielfaches erhellender, wenn dieser Prozess auch so erzählt werden könnte, wie er tatsächlich stattfindet und nicht im nach Bubenumkleide miefenden Narrativ des heimischen Mainstream-Sportjournalismus.