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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

14. 10. 2013 - 18:00

Ein richtungsweisendes Urteil

Vier ehemalige AbfallberaterInnen haben auf Anstellung bei der Stadt Wien geklagt und gewonnen. Ihr Ziel haben sie trotzdem nicht erreicht. Was bedeutet das für andere Scheinselbstständige in Österreich?

* alle Namen von der Redaktion geändert.

"Ab ersten November bin ich bei der Stadt Wien angestellt", sagt Verena* von der Initiative Abfallberatung. "Ich werde händisch ausgefüllte Formulare in den Computer übertragen, auf drucken gehen, das ausgedruckte Dokument verpacken und verschicken. Das mache ich dann dreißig Stunden die Woche."

Verena ist eine jener ehemaligen AbfallberaterInnen, die sich gegen unfaire Behandlung von ihrer Arbeitgeberin, der Stadt Wien, wehren. Die AbfallberaterInnen haben jahrelang auf Werkvertragsbasis am Telefon Fragen zum Thema Mülltrennung beantwortet, in Schulen und Kindergärten Unterricht gegeben und Vorträge zu Müllvermeidung gehalten. Dann sollte die Abteilung der Magistratsabteilung 48 von dreißig auf zehn Personen gekürzt und die zehn zu schlechten Bedingungen angestellt werden. Bis auf wenige, die die schlechteren Verträge angenommen haben, haben die AbfallberaterInnen daraufhin beschlossen, bei der Stadt Wien auf Anstellung zu klagen. Das war im Juli 2012. Nun gibt es seit 1. August 2013 Urteile in zwei Fällen, in zwei weiteren hat die Stadt Wien Einsicht gezeigt, da die Lage ähnlich ist. Das Gericht hat festgestellt, dass bei den Klagenden ein aufrechtes Dienstverhältnis zur Stadt Wien bestanden hat.

Dieser Text erscheint auch in der November-Ausgabe der an.schläge

Versetzt und herabgestuft

"Bei mir ist es wie bei meinen KollegInnen", erzählt Ulli*. "Wir sind in andere Abteilungen versetzt worden. Wir waren überrascht, dass wir nicht weiter als AbfallberaterInnen arbeiten." Das ist deshalb möglich, weil es bei der Stadt Wien eine Vertragsbedienstetenordnung gibt, laut der Angestellte jederzeit versetzt werden können.

Auch sonst passen die neuen Tätigkeiten nicht auf das Profil, das die AbfallberaterInnen mitbringen: "Ich bin zum Beispiel als Arbeiterin eingestuft, dabei bin ich Akademikerin", sagt Ulli. "Laut Gehaltsschema habe ich nicht einmal Maturaniveau!" Dementsprechend niedrig ist auch das Einkommen, ca. 1000 Euro im Monat verdient sie - auch deswegen, weil ihr eine 30-Stunden-Anstellung zugewiesen wurde.

Die jetzt angestellten Ex-Abfallberaterinnen werden daher erneut gerichtlich gegen die Stadt Wien vorgehen, diesmal in Form einer Leistungsklage. "Da geht es um die Feststellung: Wie viel haben wir gearbeitet, wie viel steht uns zu, von der Einstufung, von unserer Ausbildung her."

Graffito "In Trash we trust"

FM4/Ute Hölzl

Und das von einer Stadtverwaltung

An dem Fall ist auch pikant, dass eine öffentliche Dienstgeberin, noch dazu eine sozialdemokratisch ausgerichtete, so mit ihren MitarbeiterInnen umspringt. Die Mitglieder der Initiative Abfallberatung vermuten, dass es für so große Institutionen leichter ist, sich so etwas zu erlauben, als für einzelne Prtvatunternehmen: "Da sitzt der große Apparat der Stadt Wien, die alle ihre Finger überall drin haben, in den Institutionen, in der Gewerkschaft, in der Gebietskrankenkasse und anderen Sozialversicherungsträgern. Und die schauen, dass sie das aussitzen können", sagt eine Unterstützerin.

Denn Umgehungsverträge, ähnlich denen bei der Stadt Wien gebe es bei vielen Institutionen und in vielen Branchen. "Wir wollen ein Bewusstsein schaffen, dass man sehr wohl dagegen vorgehen kann, dass es Gesetze gibt und dass Gerichte dem Gesetz entsprechend Urteile fällen."

Drängen auf Vergleich

Wenn es überhaupt zu einem Urteil kommt. Denn viele, die klagen, stellen fest: RichterInnen, AnwältInnen aber auch RechtsberaterInnen von der Gewerkschaft kennen sich oft schlecht aus. Sie raten von der Klage ab und drängen auf einen Vergleich. Das hat Manuela Kohl erlebt. Sie war bei einer Forschungseinrichtung tätig, nicht angestellt, und wollte ihre Ansprüche einklagen. "Ich habe ein halbes Jahr nach Prozessbeginn festgestellt, dass das nicht so einfach ist", erzählt sie. "Ich habe mich dann für Jus inskribiert und bin tatsächlich ein halbes Jahr vor dem Urteil mit dem Studium fertig geworden." Hätte Manuela Kohl sich nicht selbst eingearbeitet, wäre sie im Prozess übervorteilt worden, sagt sie. "Ich glaube, die meisten einigen sich mit Vergleich, weil das alles so komplex ist. Mein Richter hat eineinhalb Jahre lang auf einen Vergleich gedrängt. Ich habe immer dagegengehalten und gesagt, ich will das durchziehen."

Mittlerweile schreibt Manuela Kohl an einer Dissertation zum Thema "Rückabwicklung von Scheinselbstständigkeit". Für das Forschungsprojekt hat sie den Theodor-Körner-Preis der Arbeiterkammer erhalten. Die Arbeit soll Wissen bündeln: "Einerseits als Handbuch, wo alle Prozesse niedergeschrieben werden. Andererseits gibt es auch einige Unklarheiten, z.B. Unterschiede im Steuerrecht und im Sozialversicherungsrecht. Den Grund dafür herauszufinden, ist der wissenschaftliche Anteil der Arbeit."

Keine Zahlen

Manuela Kohl möchte auch erheben, wie viele Menschen in Österreich überhaupt bei Scheinselbstständigkeit auf Anstellung klagen und wie die Erfolgsaussichten sind. Bisher gibt es keine Zahlen, am Arbeitsgericht werden Streitigkeiten nicht nach Themengebiet erfasst. Auch bei der Sozialversicherung gibt es keine Statistik. "Ich habe mit der SVA jetzt vereinbart, dass sie mir Zahlen sammeln. Auch mit der Arbeiterkammer möchte ich sprechen, ob die dokumentieren, in welchen Angelegenheiten, die Menschen zu ihnen kommen. Momentan kann man nur vermuten."

Mülltonnen und Graffito "In Trash we trust"

FM4/Ute Hölzl

Nur ein erster Schritt

Die Arbeiterkammer war es auch, die die Inititative Abfallberatung unterstützt hat. Diese haben auch sehr viel Eigeninitiative bewiesen: Eineinviertel Jahre haben 30 Ex-AbfallberaterInnen und eine Handvoll Unterstützerinnen daran gearbeitet, dass es überhaupt zu diesem ersten Urteil gekommen ist. Die Mitglieder der Initiative haben mit telefonieren, Eingaben machen, Texte schreiben etc. teilweise 15 bis 20 Stunden pro Woche aufgewendet, erzählt Verena: "Welcher Arbeitsaufwand da dahinter steckt, welche Energien notwendig sind, um einfach nur Recht zu bekommen, das ist absurd! Und jetzt stellt sich heraus, das ist nur ein erster Schritt!"

Die neuen Verträge mit der Stadt Wien sind unbefristet. Verena vermutet, dass die Stadt einfach darauf wartet, dass die unzufriedenen Ex-AbfallberaterInnen von selber gehen. "Wie lange muss ich händisch ausgefüllte Formulare in den Computer übertragen? Wenn ich freiwillig gehe - hat dann die Stadt Wien gewonnen? Für mich ist die Frage - bei den jetzigen Schikanen - wann habe ich gewonnen?" Diese Frage können sich die AbfallberaterInnen noch nicht beantworten.

Vorbildwirkung

Umgehungsverträge werden jedenfalls immer mehr. Dass man sich wie die AbfallberaterInnen in eine Anstellung einklagt, ist aber eher unüblich, meint Manuela Kohl: "Es besteht ja das Risiko, dass das Arbeitsverhältnis dann zerrüttet ist." Die meisten Klagenden würden sich nachträglich nur entgangene Sozialversicherungsbeiträge oder Feiertags- und Urlaubsentgelte zurück holen.

Manuela Kohl möchte, dass ihre Arbeit zu mehr Wissen über das Thema beiträgt. Und zu mehr Mut: "Ich hätte gerne, dass sich mehr Leute wehren. Bei mir in der Forschungsabteilung gab es eine zweite Scheinselbstständige, die hat nichts unternommen. Das finde ich schade, denn die DienstgeberInnen setzen darauf, dass sie damit durchkommen!"

Auch die AbfallberaterInnen kämpfen nicht nur für sich selbst, sagt Ulli: "Die Arbeiterkammer spricht von einem richtungsweisenden Urteil für alle Scheinselbstständigen in Österreich. Das ist schon schön!"