Erstellt am: 17. 10. 2013 - 14:51 Uhr
Das Stuwerviertel wird "entdeckt"
Es ist der derzeit größte Universitätsneubau Europas und der größte Unibau Österreichs: Der Neue Campus der Wirtschaftsuniversität im Wiener Prater. Seit cirka drei Wochen hat die neue Wirtschaftsuniversität ihren Betrieb offiziell aufgenommen, laufen dort Vorlesungen und Seminare und sind die insgesamt 25.000 Studierenden und 5000 WU-Bediensteten dort im Einsatz.
FM4/Irmi Wutscher
"Wie eine Privatuni"
Ein Lokalaugenschein am neuen WU Campus im Wiener Prater
Aber nicht nur für die Wirtschaftuni selbst ist dieser Umzug eine große Umstellung, auch für das Stadtviertel, in das sie gezogen ist. Der 2. Bezirk in Wien, auf einer Insel zwischen Donaukanal und der Donau gelegen, ist einer der geschichtsträchtigsten Bezirke in Wien und mit 96.000 EinwohnerInnen auch einer der größten. Der Bezirk hat viele unterschiedliche Gesichter, von der hippen Gegend mit Berlin-Flair am Donaukanal und um den Karmelitermarkt, über riesige Stadtentwicklungsgebiete auf dem Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs bis zum Prater und seinen teils zwielichtigen Vergnügungen.
Die neue WU liegt unmittelbar am Prater, der einerseits das größte Grünareal Wiens, als auch ein Vergnügungspark ist, und mitten im zweiten Bezirk. Den zweifelhaften Ruf, den sowohl Prater als auch das angrenzende Stuwerviertel immer hatten, den soll die Gegend mit dem WU-Zuzug jetzt verlieren und interessanter als Wohngebiet werden. Woran kann man die Veränderungen im Stuwerviertel festmachen? Ich habe mit Roman Seidl, Experte für Stadtplanung und Bewohner des Stuwerviertels, gesprochen.
Roman Seidls Artikel "Zielgebiete des Wiener Stadtentwicklungsplans" über die Aufwertung des Stuwerviertels in dérive - Zeitung für Stadtforschung.
Sind hier schon Änderungen zu spüren, dass die WU am 4. Oktober eröffnet hat?
Roman Seidl: Änderungen gibt es im Viertel schone lange. Zuerst wurde die U2 verlängert, dann ist die Nordbahnhof-Bebauung gekommen. Die WU ist noch ein Steinchen mehr in einer längeren Veränderungsgeschichte. Das Stuwerviertel war immer so eine Insellage und hat sich jetzt im Charakter verändert. Von einem Viertel, das eher am Rand war vielleicht sogar stigmatisiert, wo viele Migranten gelebt haben und nach wie vor leben, zu einer interessanten Wohngegend. Vorher war hier einer der letzten Orte in Wien, wo es Substandard-Wohnungen und damit billigen Wohnraum gab. Somit Wohnraum für Migranten oder Leute, die sich die besseren Lagen nicht leisten können.
Und woran merkt man diese Änderungen?
Was man gemerkt hat, ist, dass zunehmend Häuser saniert werden und wurden, Teilweise sind auch Häuser leer gestanden, das heißt da haben auch Leute gewartet mit dem Vermieten. Teilweise gab es auch Eigentumsumwandlungen - also lauter solche Dinge, die typisch sind für die Hoffnung, dass die Immobilienpreise steigen.
Die Mieten sind auch gestiegen - aber sie sind in ganz Wien dramatisch gestiegen. Das ist keine Entwicklung vom letzten halben Jahr. Jedenfalls war es hier einmal eine günstige Wohngegend und ist jetzt keine mehr.
Dann gab es noch verschiedene Artikel in den Medien, dass das Viertel jetzt entdeckt wird. Als wäre da vorher nichts gewesen und als hätte da vorher niemand gewohnt. Plötzlich ist da was und das ist toll und schick.
FM4/Irmi Wutscher
Siedeln sich jetzt schon Kaffeehäuser, Lokale oder bestimmte Geschäfte an? Sieht man etwas abgesehen von der Renovierungstätigkeit?
Der sichtbarste Ort ist eigentlich der Vorgartenmarkt, würde ich sagen. Der hat eigentlich immer eine Randexistenz gespielt, dem ist es auch nicht gut gegangen. Und der hat sich total verändert. Lange Zeit hat man das gar nicht gesehen, der Markt wurde lange renoviert, es war alles immer zugeklebt. Jetzt ist er wieder offen und blüht auf. Mittlerweile haben sich Lokale und Geschäfte von Bio-Ketten angesiedelt, ein wenig wie am Brunnen- oder am Karmelitermarkt. Also dieser Ort hat sich schon relativ stark verändert, so commercial gentrification-mäßig.
FM4/Irmi Wutscher
Was hat die Verdrängung der Sexarbeit von der Straße mit der Aufwertung der Gegend zu tun. Gibt es Verbindungen zwischen den zwei Sachen?
Die gibt es ganz sicher! Die Sexarbeit hat sicher dazu beigetragen, dass dieses Viertel nach außen hin einen sehr eigenen Ruf hatte. Nach innen war das immer ganz anders. Für BewohnerInnen, ich wohne ja auch schon lange hier, war das immer so eine Art Dorf, ein Viertel mit eigenem Charakter. Für die war das überhaupt nicht so, wie das von außen gesehen wurde, als schäbige Gegend. Sondern für die war das eine sehr angenehme Wohngegend.
Und gerade so Gentrifizierungsgeschichten sind immer mit Re-Branding verbunden. Um etwas besser verkaufen zu können, mass man das Ganze symbolisch umdeuten. Deswegen werden Künstler als Mediatoren von Gentrifizierung gesehen, die ganz gut darin sind, Dinge neu zu erfinden.
Dass hier jetzt um die 25.000 WU-Studierende herumlaufen, das merkt man im Stuwerviertel nicht. Oder glaubst du werden sich hier noch Mittagslokale oder ähnliches ansiedeln?
Ich glaube nicht, dass es unmittelbar eine Gastro-Szene geben wird, weil der Campus schon ein bisschen isoliert ist. Es wird aber durch die WU natürlich attraktiver als Wohnlage für Studenten, aber auch für Leute, die auf der WU arbeiten. Das wird sicher noch mehr werden und dann vielleicht folgen die entsprechenden Geschäfte und Lokale nach.
Rund um die neue WU in Wien: Eine Spezialstunde mit Irmi Wutscher in der Homebase am 17. Oktober 2013
Wird es hier bald aussehen, wie rund um den Karmelitermarkt oder wie am Brunnenmarkt?
Ich find‘s schön zu sagen ‚Wird es sein wie da‘, weil das die Standardisierung von solchen Prozessen aufzeigt. Es zeigt, dass es auch fad wird bzw. einen Verlust von Identität bringt. Ähnlich wie am Karmelitermarkt wird es nicht, der ist in einer ganz andere Lage, näher am Stadtzentrum, und mittlerweile die teuerste Wohngegend im zweiten Bezirk. Auch Ottakring ist dann doch anders in seinem Charakter. Ich glaube nicht, das man dann sagen kann: Das sieht hier aus wie sonstwo.
FM4/Irmi Wutscher