Erstellt am: 9. 10. 2013 - 18:41 Uhr
Der Zusammenarbeiter
Mysterious Elvis
Der passionierte, nimmersatte, talentierte, versatile, arbeitsame, gutmenschelnde und auch etwas eitle Elvis Costello. Das sind Attribute, die ich in den vergangenen Wochen bei meiner Recherche über den Singer-Songwriter aus London zusammengetragen habe. Sein Name war mir vertraut. Auch wusste ich, dass er pophistorisches Gewicht besitzt. Elvis Costello ist für mich trotzdem bisher ein Schattenmann geblieben.
![© Blues Note Records Elvis Costello und Questlove](../../v2static/storyimages/site/fm4/20131041/elvis1_2_sq-bcf529aeff0409d1f10fe80ae837_body_small.jpg)
Blues Note Records
Der Rockstar mit den eher schleißig sitzenden Anzügen existierte höchstens als enigmatische Figur im Nippesregal meiner Popwahrnehmung. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht weil ich mich als gebürtiger Elvis-P-Fan nicht mit angeeigneten Elvis Cs abgeben wollte. Oder waren es bloß aneinander vorbeilaufende Musikinteressen, die sich über die Jahre einfach nie kreuzen wollten? Ganz costellofrei verlief mein Leben allerdings dann auch wieder nicht. „Veronica“, der gemeinsame Hit mit Paul McCartney (1989), der vielen Mädchen dieses Jahrgangs eben diesen Namen eintrug, war mir durchaus vertraut. Selbst die zackigen New-Wave-Gassenhauer „Pump It Up“ oder „Radio Radio“ aus der Frühzeit mit den Attractions kannte ich von diversen Studentenparties - freilich ohne sie je direkt mit dem Namen Elvis Costello in Verbindung zu bringen. Auch „Spectacle“, seinen TV-Musik-Talk, der in den USA im Sundance Channel lief, verfolgte ich gelegentlich und dann war auch die kleine Gastrolle in der HBO-Serie "Treme", wo Costello den in New Orleans viel bewunderten Costello spielte. Aber all das führte nie zum Impuls des Sich-Näher-Damit-Beschäftigen-Wollens. Also Recherche. Und die Erkenntnis, dass ich tatsächlich etwas verpasst hatte.
Zum Nachhören ein FM4-Homebase-Spezial zu The Roots von Trishes, Natalie Brunner und meiner Elviskeit.
Trishes über die feinsten Musikvideos von The Roots und Questloves neue Autobiografie "Mo Meta Blues". Also Recherche. Und ich sagen, i
Elvis Costello Website
In den mittleren Siebzigerjahren hieß der Mann mit dem klingenden Künstlernamen noch Declan Patrick MacManus. Der Sohn eines Musikers arbeitete in einem Büro in London, trug zum grauen Anzug große Brillen und probierte es zunächst ein bisschen mit Folk und Pub-Rock. 1977 dann der erste Hit für das freche Indie-Label Stiff Records im Fahrwasser des Punk-Booms. Costello gab den postpunkerten Rock’n’Roll-Geek mit gelegentlichen Ausflügen in die Welt des New Wave, New Rocksteady und New Soul und schaffte es neben den Talking Heads oder den jungen Police in die Plattensammlungen gescheiter Popfreunde.
Was dann geschah, ist schlicht ausufernd: Costello fraß sich durch die verschiedensten Musikstile wie eine nimmersatte Heuschrecke. Jazz, Country, Klassik, nichts war vor ihm sicher. Auch krallte er sich mehr oder weniger berühmte Musikerkollegen en masse. Gäbe es einen Eintrag für die meisten Kollaborationen im Guinness Buch der Rekorde, Elvis Costello würde vermutlich die ersten drei Plätze belegen. Ein Auszug aus der kreativen Namensliste, die sicher über seinem Bett hängt und noch lange nicht abgehakt ist: Burt Bacharach, Fall Out Boy und Sofie von Mutter. Sic! Viele Fans konnten da nicht mehr mit. Auch einige KollegInnen, die ich zu Costello befragt habe. Die meisten sind beim Album „The Juliet Letters“ (1993) getürmt, einer Zusammenarbeit mit dem klassischen Streicher-Ensemble Brodsky Quartet. Sagen wir mal so, es ist verständlich.
Wise Up Ghost and other Stories
Und jetzt sitzt mir ein gut gelaunter und sehr auskunftsfreudiger Elvis Costello gegenüber. Anlass ist das soeben erschienene Album „Wise Up Ghost“, das er gemeinsam mit The Roots aufgenommen hat. Das Album wurde in fiebrigen Sessions zum Großteil live eingespielt und zeigt die darin Involvierten in Höchstform. Costello wütet, ächzt und flüstert sich durch 15 Songs zwischen Funk, Rock und Dub. Mit „If I Could Believe“ hat er die herzerweichendste Ballade seit seiner Zeit mit Burt Bacharach aufgenommen, wie mir ein Costello-Kenner versicherte.
Questloves The Roots rollen ihm Beats, Bläsersätze, funky Keys und schwere Bassläufe zu, als ob das Mutterschiff über dem Aufnahmestudio gekreist wäre. Obwohl Costello erstmals ein Album mit einer Hip-Hop-Formation produziert hat, versuchte er sich dankenswerterweise nicht als Rapper. Vielmehr übernahm er die Technik des Sampelns. Dafür genügte allerdings ein Bleistift. Costello zitiert auf „Wise Up Ghost“ gleich mehrere seiner alten Song-Lyrics, die er in neue Texte eingepasst hat. Viele Popschreiber hören eine moderne Stax-Platte zwischen Soul-Pein und Gesellschaftskritik. Mich erinnert „Wise Up Ghost“ vom Sound her über weite Strecken aber auch an die von Damon Albarn mehr oder weniger begrabenen Gorillaz.
Das Interview
Wir sitzen im Office seines Platten-Bosses Bruce Lundvall an der 5th Avenue im Flat Iron Disctrict von Manhattan. Lundvall hat 1985 das legendäre Jazz-Label nach dessen Eingliederung in Capitol Records neu und gut aufgestellt. Das Office sieht aus wie ein Jazz-Museum. Gerahmte Legenden und goldene Schallplatten an der Wand. Ein upright piano in der Ecke. Costello fühlt sich sichtlich wohl. Wir Österreicher sind, wie immer bei solchen Anlässen, die Letztgereihten des Tages. Elvis durchbricht trotzdem locker die müde Routiniertheit. Der Eindruck, der bereits am Vortag beim gemeinsamen Konzert mit The Roots in Brooklyn entstanden ist, sollte sich in den folgenden knappen aber ausführlichen 20 Minuten bestätigen: Elvis Costello ist als Musiker, als Star, als Grammy-Gewinner ein fast kindlich nerdiger Musikfan geblieben. Hier einige Auszüge aus dem Interview:
![© Christian Lehner Elvis Costello 2013](../../v2static/storyimages/site/fm4/20131041/_MG_5993 Webformat_body.jpg)
Christian Lehner
Elvis Costello über The Roots
The Roots lieben es, im Genre-Wald zu wildern und sie sind Workaholics - so wie ich. Sie sind auch die Hausband der Late Night Show von Jimmy Fallon auf NBC. Sie spielen dort mit vielen Gästen zusammen. Vor drei, vier Jahren war ich dran. Ich kannte sie, sie kannten mich, aber wir hatten keine Ahnung, wie sehr wir uns gegenseitig schätzen. Die Typen kannten fast alle meine Platten! Eine Zusammenarbeit war also unausweichlich. Sie warfen den Köder aus, wie sie es formulierten, und ich schnappte einfach zu.
Über die Aufnahmen von „Wise Up Ghost“
Wir sind ohne Konzept und ohne Plattenvertrag ins Studio gegangen. Niemand wusste davon. Der Aufnahmeraum hatte keine Fenster, nicht einmal eine Uhr. Wir wussten also nie, wie spät es ist, hatten aber alle Zeit dieser Welt! Wir haben uns nicht lange mit dem Studioprozedere aufgehalten, sondern legten einfach los. Das funktioniert nur mit klasse Musikern.
Über das Sampeln alter Costello-Songtexte
Zunächst wollten wir einige meiner alten Stücke neu einspielen. Aber dann hatte ich eine andere Idee: Wir durchforsteten meinen Katalog nach ähnlichen Themen. Ich wollte herausfinden, warum ich bestimmte Dinge gesagt habe. Aus den gesammelten Versen sind Collagen und schließlich völlig neue Songs entstanden.
Über die zum Teil tieftraurigen bis zornigen Lyrcis von „Wise Up Ghost“ und das Verwenden älterer Songtexte wie „The River in Reverse“ (2006) oder „Shipbuilding“ (1982) als Kritik an den aktuellen Verhältnissen
Heute wie damals scheint die Welt aus den Fugen geraten. Das Vetrauen der Menschen wird missbraucht. Viele fragwürdige Dinge werden in unserem Namen getan. Man lügt uns ganz offen an. Das sind jetzt keine großen Neuigkeiten, aber ich denke, man muss immer wieder darauf hinweisen und zwar so lange, bis sich etwas ändert. Das Album heißt „Wise Up Ghost“, also „Erfrische den Geist“ und nicht „Leg dich hin zum Sterben“. Es ist vom festen Glauben getragen, dass wir - trotz all der uns umgebenden Spaltung und Manipulation – besser sind, als sich die Welt gerade darstellt. Die größte Gefahr ist meiner Meinung nach die Angst. Sie macht uns anfällig für den Populismus.
Über den Tod seines Vaters und die Auswirkungen auf das Schreiben
Ursprünglich sollte das Album nicht von mir handeln. Aber das Leben hatte anderes vor. Mein Vater ist gestorben. Der Verlust eines Elternteils ist für jeden Menschen eine schwerwiegende Sache. Plötzlich standen neben den Themen aus den Nachrichten und der Politik persönliche und private Gedanken zum Tod. Ich habe diese Verse dann in bereits bestehende Texte integriert und sie ein wenig umgeschrieben. Ich kannte meine Kollaborateure (The Roots, Anm.) persönlich natürlich nicht so gut, aber die Vertrauensbasis stimmte. Anders hätte ich mich gar nicht öffnen können.
Über den passionierten „Zusammenarbeiter“ Elvis Costello und seine zahlreichen Kollaborationen
Ich bin neugierig! Wenn ich die Gelegenheit habe, mit Paul McCartney oder Burt Bacharach zusammenzuarbeiten, sage ich sicher nicht Nein. Das sind Menschen, deren Musik ich ein Leben lang bewundert habe. Das ist immer bereichernd. Ich spreche hier nicht von Geld, sondern von Erfahrung. Und vielleicht kommt etwas Wunderbares dabei raus. Ich kann noch immer kaum glauben, dass ich mit den Paul und Burt insgesamt jeweils 12 Songs aufgenommen habe!
Über seinen geeky Look in den Siebzigerjahren
Man muss damit auskommen, was einem die Natur geben hat. Von Anfang an war klar, dass ich kein zweiter Robert Plant bin. Bevor ich es mit der Musik probierte, habe ich in einem Büro gearbeitet. Brillen trage ich seit ich 17 bin. Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen, wenn man in einer Rock’n’Roll-Band spielen will. Mir blieb also gar nichts anderes übrig, als diesen langweiligen Look etwas schriller zu gestalten und zu meinem Markenzeichen zu machen. Zuerst war da bloß ich, dann wurde es zum Image, mit dem es sich mittlerweile hervorragen spielen lässt.
Über Costellos Faible für die afroamerikansiche Musiktradition und die Beweggründe seines sozialen und musikalischen Engagements (u.a. mit Allen Toussaint) im Post-Katrina New Orleans
New Orleans hatte historisch einen extremen Überschlag verschiedenster Kulturen. Die Musik, die wir alle lieben, hat dort ihre Wurzeln. Das ist ein Fakt. Natürlich spielte dabei die Hautfarbe eine entscheidende Rolle, schon deshalb, weil viele Menschen sonst gar nicht dort gelandet wären. Nichts hat die amerikanische Kultur mehr beeinflusst als dieses große Verbrechen der Sklaverei. Meine Vorfahren kommen aus einer Stadt, die vom Handel mit Menschen gelebt hat. Wir alle kennen die Geschichte von der Entstehung des Rock’n’Roll, der Kreuzung von Rhythm And Blues und Hillbilly. Je weiter diese Dinge in der Vergangenheit zurückrutschen, desto mehr Gechichte haben wir, aus der wir schöpfen können.
Was wir heute erleben, ist eine bessere Transparenz dieser Fundamente. Im Internet sind die obskursten Musiken in vormaligen Minimalauflagen zu finden. Es sind unzählige musikalische Schatzkarten, die sich da auftun. Macht uns das zu besseren Musikern? Nicht unbedingt! Aber diese Archive sind schon eine tolle Sache.
Über die Unmöglichkeit des Aufhörens
Mit der Musik aufhören, das geht nicht. Aber natürlich kann die Welt entscheiden, dass es keinen Platz mehr für dich gibt und dass du nicht mehr von deiner Musik leben kannst. Und ja, ich habe die letzten paar Jahre manchmal daran gedacht, mit dem Veröffentlichen neuer Musik aufzuhören. Es ist anstrengend und verschlingt so viel Zeit. Ich habe ja auch eine Verantwortung mir gegenüber und gegenüber meiner Familie. Ich spielte also mit dem Gedanken, etwas kürzer zu treten und ab und zu Konzerte mit meinem bestehenden Repertoire zu bestreiten. Aber dann kommt eine Band wie The Roots daher und schon sitze ich wieder in einem Aufnahmestudio!