Erstellt am: 16. 4. 2014 - 19:22 Uhr
Left Coastin': Teure Mieten in San Francisco
FM4 Left Coastin'
Die dreiteilige Serie über die amerikanische West Coast auf FM4.
Am 24.04. sind
Alexandra Augustin, Christine Scheucher, Stefan Trischler und
Alex Hertel in Los Angeles untewegs!
"Wer in Oakland wohnt ist entweder Hippie, Künstler oder obdachlos", erzählt mir meine Freundin E. als wir in San Francisco in einer Bar sitzen. Die Gegend hier hat in den letzten Jahren einen radikalen Wandel durchgemacht: Junge Menschen "wie wir" können sich das Leben in San Francisco in den Trendbezirken "Haight-Ashbury", in der "Castro" oder dem "Mission District" nicht mehr leisten. Viele zieht es über die Brücke rüber in die Nachbarstadt, ins billigere, als "gefährlich" verrufene Oakland. Was New Jersey für New York City ist, das ist Oakland für San Francisco. Für die paar Hunderter, die man sich so spart, nimmt man die Stunde Fahrzeit in die Stadt hinein gerne in Kauf.
FM4 Alexandra Augustin
Auch ich lebe hier für ein paar Monate in Oakland. In meiner Straße bin ich die einzige weiße, vor meinen Fenster sind Gitter. In der Nacht bellen die Hunde und ballern die Kanonen. Oakland zählt laut "Crime Statistics" zu einer der gefährlichsten Gegenden Amerikas. Knapp 230 Schüsse sind im Februar gefallen. Trotzdem: Die Menschen hier sind zu mir netter und zuvorkommender, als in einem "guten" Bezirk. Die Regeln, wie man sich in Oakland richtig verhält, sollte man aber kennen.
FM4 Alexandra Augustin
Gelandet bin ich hier, weil ich mir das kleine WG Zimmer, das ich mir in San Francisco noch vor drei Jahren gemietet habe, heute nicht mehr leisten könnte. Die Miete für eine Schuhschachtel von 9m2 beträgt nun 1400 Euro pro Monat. Schluck. Und auch in den anderen Teilen der Stadt habe ich nichts Leistbares gefunden. San Francisco gilt mittlerweile als teuerste Stadt Amerikas und hat New York überholt.
Von der Alternativhochburg zur teuersten Stadt Amerikas
Hippies, Lebenskünstler, Homosexuelle: Seit den 1960er Jahren ist San Francisco das Zentrum einer lebendigen (queeren) Kultur- und Musikszene. Doch die Nähe zum Silicon Valley hat die einstige Alternativhochburg in den letzten Jahrzehnten verändert. Feindbild Nummer eins sind gut ausgebildete, junge, meist männliche Mitarbeiter der IT-Industrie. Sie haben Stadt teuer gemacht. In den Straßen der "Mission" in San Francisco ist deshalb heute ordentlich was los: Knapp hundert Demonstranten haben sich eingefunden, um gegen die explodierenden Mieten zu protestieren.
Einst war der Mission District ein schäbiges Viertel mit hohem Latinoanteil. Heute sind es Ingenieure und Programmierer, die hierher ziehen und davon träumen, mit einer genialen Geschäftsidee über Nacht zu Millionären zu werden, so wie einst Steve Jobs. In den mexikanischen Imbissbuden hat es einst die besten und billigsten Tacos der Stadt gegeben. Heute stehen Slow-Food-Delikatessen zu astronomischen Preisen auf den Speisekarten. Das schmeckt nicht jedem. Mitten auf der Straße steht ein Truck. Auf dessen Dach steht Luis, einer der wütenden Bewohner des Bezirks. Er hat ein Mikrophon in der Hand und lässt seinem Zorn freien Lauf:
"Meine Familie und eure Familien haben diese Stadt gebaut! Wir haben die Golden Gate Bridge gebaut! Wir haben die Bay Bridge gebaut! Wir haben das Essen serviert. Wir haben die Häuser geputzt. Wir waren die Arbeiter dieser Stadt. Wir haben dafür gesorgt, dass diese Stadt funktioniert!"
Wer ist schuld?
Das fette Einstiegsgehalt von bis zu 100 000 Dollar im Jahr lockt IT-Experten aus aller Welt an. Im kulturell unterbelichteten Silicon Valley nahe San Francisco wollen die aber nicht wohnen. San Francisco ist ein Schlafzimmer für die IT-Angestellten geworden. Sie pendeln täglich ins benachbarte Silicon Valley, wo Google, Apple, Facebook und Yahoo ihre Headquarter haben. Die bieten ihren Mitarbeitern Shuttlebusse an. Es gibt Leute, die Unsummen für ein Haus in San Francisco ausgeben. Sie kaufen es, delogieren die Mieter und machen es zu ihrem neuen Zuhause.
FM4 Alexandra Augustin
Wer Pech hat, sitzt auf der Straße
In Albany bei San Francisco, einem kleinen Ort am anderen Ende der Bay Bridge nahe Berkeley & Oakland, haben sich Obdachlose eine richtige Lagerstadt gebaut. Die Albany Bulb ist eine Halbinsel. Früher diente sie als Mülldeponie, in den 1980ern wurde sie zugeschüttet. In den Dünen findet man heute Zelte, kleine Holzhütten und Baumhäuser. Ganz am hinteren Zipfel findet man sogar ein "Haus". Ein richtiges - zweistöckiges! - Haus. Gebaut aus Müll von Bobby Anderson und seiner Freundin Danielle. Mit atemberaubendem Blick auf San Francisco. Erst war der Job weg, dann die Wohnung. Und plötzlich stand das junge Paar auf der Straße. Was tun?
"Ich habe bemerkt, wie sehr mir ein Tisch oder ein Sessel zum hinsetzen gefehlt haben. Wenn man sein gesamtes Hab und Gut unter freien Himmel stehen hat, dann motiviert das, sich einen Unterschlupf zu bauen."
Alexandra Augustin/ FM4
Wer die Bewohner der Albany Bulb unterstützen möchte: Informationen gibt es auf sharethebulb.org.
Hier haben sie einen Schlafraum, sogar ein Bad und eine Küche. Ein kleiner Propangasofen dient zum kochen, sogar einen "begehbaren Kleiderschrank" gibt es. Das Sofa und eine alte Matratze haben sie auf der Straße gefunden. Von einem kleinen, wackeligen Balkon aus blickt man direkt aufs Meer und die Golden Gate Bridge.
Left Coastin': Begegnungen an der amerikanischen Westküste: Teil II: San Francisco (17.04.2014, Homebase (19-22 Uhr)
Alexandra Augustin FM4
Doch schöne Ausblick hat sich herumgesprochen. Ein Haus mit Blick auf San Francisco: Dafür muss man in der Bay Area sonst ein paar Tausend Dollar im Monat hinblättern. Immobilienhaie wollen den "Million Dollar View" auf der Müllkippe zu Geld machen und teure Wohnhäuser hochziehen. Es scheint nur mehr eine Frage der Zeit zu sein, bis die Bagger anrücken. Danielle ist darüber sichtlich depremiert:
"Ich habe große Angst. Hier fühle ich mich wohl, hier kann ich mich entspannen. Wenn ich raus muss in die „normale“ Welt geht es mir gar nicht gut. Ich möchte mein Leben hier genießen. Auch wenn ich weiß, dass wir bald hier weg müssen."