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Pia Reiser

Filmflimmern

8. 10. 2013 - 15:16

Auf Knall und All

Houston, wir haben sowas von ein Problem: Im ziemlich fantastischen Thriller "Gravity" kämpft sich Sandra Bullock durch diese verdammten, unendlichen Weiten des Weltraums.

Diese unendlichen Weiten, von denen Captain Kirk stets in seinem Logbuch schwärmte, man hat auf sie immer nur einen kurzen Blick erhaschen können. Sowohl in allem aus der "Star Trek"-Welt als auch in den meisten anderen im Weltraum angesiedelten Filmen herrscht derartiges Rambazamba, dass man die Weiten gar nicht sieht, weil dauernd ein Photonenstrahl, ein Asteroidenschauer oder ein Alien durchs Bild fetzt. Als ich am Wochenende endlich dazukomme, "Star Trek into Darkness" nachzuholen, erscheint mir das All wie eine amerikanische High School, ein Ort, der mich schön langsam langweilt, der immer gleich aussieht und in dem ich mich auskenne, ohne je dort gewesen zu sein. All, das ist doch das, wo's immer kracht. "Gravity" stellt das alles auf den Kopf und das auch noch wortwörtlich, denn der Thriller ist völlig losgelöst vom Science-Fiction-Genre, das den Weltraum bis jetzt beinahe exklusiv für sich beansprucht hat.

warner

Oscar-Buzz

Es ist immer wieder erstaunlich zu beobachten, wie sehr ein Kinopublikum von Stille irritiert wird. Zu Beginn von "Gravity" herrscht nämlich absolute Ruhe. Die Erde aus 600 Kilometer Entfernung nimmt gut zwei Drittel der Leinwand ein, rechts herrscht tiefschwarze Dunkelheit. Das Publikum kichert. Es wird gleich noch weiterkichern, denn von rechts, also mitten aus der Dunkelheit, dem dunklen Nichts, nähert sich jemand in einem Raumanzug, ein leises Klacken und Krachen verrät, dass wir einem Gespräch via Funk lauschen. Der Herr im All ist Kowalski (George Clooney), der schon so routiniert im schwerelosen Raum manövriert, dass er Zeit für Anekdoten und Schmähs hat. Wie der Sound hier von kaum hörbarem Gemurmle zum Dialog wird, ist eine der vielen unaufdringlichen Raffinessen, die "Gravity" auf der "Sound"-Ebene leistet. Ich sage mal: Oscar.

George Clooney in "Gravity"

warner

Sexy gibt's im Weltraum nicht

Und apropos Oscar, da ist ja auch Kowalskis Kollegin Dr. Ryan Stone, gespielt von Sandra Bullock, um die in den letzten Wochen ein ordentlicher Oscar-Buzz entstanden ist. Die meisten kennen Bullock wohl als Komödien-Darstellerin, das ist manchmal super ("The Heat") und manchmal eher furchtbar ("All about Steve"). Doch seit Beginn ihrer Karriere war Bullock nie auf ein Genre festgelegt. Von "Demolition Man" über "Speed", "The Net" oder "Murder By Numbers", Bullock war nie nur die freundliche und austauschbare Rom Com Madame. Ihre Rolle in "Gravity" wird vor allem in der amerikanischen Presse als Befreiungsschlag für weibliche Stereotypen im Kino gefeiert. Ein Befreiungsschlag, der sich auch in der Inszenierung des weiblichen Körpers niederschlägt, der - das liegt natürlich auch am Raumanzug - sich fast sämtlichen Inszenierungen im Mainstream-Kino entgegenstellt. Sexy gibt's im Weltall einfach nicht. Nacktheit nur ein bisschen, doch wenn sich Dr. Stone aus dem Raumanzug schält, dann trägt sie nicht Spitzenslip und Push-Up-Bh (wär eh unpraktisch im Weltraum, aber Hollywood hat ja schon öfter Vergleichbares geliefert), sondern einen tarnfarbenes Wifebeater-Unterleiberl und schwarze Unterhosen, die so aussehen wie die, die der englische Fußballer mal für den schwedischen Moderiesen "entworfen" hat.

warner

Going back to Houston... ja, schön wärs!

Angstmachende Stille

Bevor "Gravity" aber die Antwort auf die Frage lüftet, was man unterm Raumanzug trägt, raubt es einem ein paar Mal den Atem. Bei Reparaturen an einem Weltraumteleskop, die Stone und Kowalski durchführen, kommt es zu einem spektakulär inszenierten Unfall, der Kontakt zur Erde bricht ab, das Shuttle ist zerstört, Kowalski und Stone sind verloren in der Schwerelosigkeit. Regisseur Alfonso Cuaron erweist sich vor allem in den Anfangssequenzen als exzellenter Choreograf, der den Raum auflöst. Oben, unten, rechts, links, das alles hat die Bedeutung verloren, wir schweben mit Bullock und Clooney in dieser angstmachenden Weite und Stille.

Grandios spielt Cuaron die beiden Räume, diesen schier unfassbaren Weltraum und den geradezu winzigen Raum des Raumanzuges, der den beiden das Überleben ermöglicht, gegeneinander aus. Lautlos driftet die Kamera ein paar Mal durch das Visier des Helms in den Anzug hinein, wir hören den Atem lauter und das Herz klopfen. Die Klaustrophobie des Raumanzugs (und der Spaceshuttles) versus die Endlosigkeit des Alls machen einen großen Reiz des Thrillers aus, sie reiben ebenso aneinander wie die thematisch großen Themen, die sich um Wissenschaft und Glauben drehen.

Sandra Bullock in "Gravity"

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Schönheit der Zerstörung

Cuaron weiß auch um die Schönheit und die Kraft, die in Zerstörung stecken kann. Wie Ölgemälde inszeniert er das Bersten eines Shuttles, das Absplittern von Material, das sich dann malerisch im Raum verteilt. Auf alles Laute und Schnelle erfolgen in "Gravity" Ruhemomente und vor allem Stille. Von hypnotischer Schönheit sind einzelne Momente in "Gravity"; das Experiment, den Weltraum als Bühne für einen alienlosen Space-Thriller zu nutzen, ein fast 1-Personen-Kammerspiel, es wird belohnt. George Clooney hätte dafür allerdings niemand gebraucht. Sein Kowalski lenkt nur ab, weil er eben mit der Gschamster-Diener-Charmeur-Attitüde rumschwebt wie ein menschgewordener Buzz Lightyear.

Clooney ist eben im All auch noch Clooney und stört den ansonsten so reduziert inszenierten Film. Im letzten Drittel stört mich überhaupt einiges (ich glaube übrigens, dass Bullock nicht den Oscar bekommt, und ich glaube weiter, dass die Hundegeheul/Baby-Szene dran schuld ist). Gegen Ende geht viel von dem Sog der Erzählung verloren und - Achtung, das könnte für manche als Spoiler gelten - ich halte sehr wenig von Halluzinationen als "Deus ex Machina"-Krücke.

warner

Weltraum und Geburtsmetaphern sind ja nichts Neues, siehe: Analysis of Tropes and Metaphors in "Alien"

Geburtsmetaphern

Ich freu mich jetzt schon darauf, wenn Slavoj Zizek den Film gesehen hat und ihn mit der Interpretierfreudigkeit der Psychoanalyse als Film über Geburt/Wiedergeburt erklärt. Ein Bild von Sandra Bullock in Fötus-Lage und mit irgendwelchen Spacekabeln als symbolschwangere (sic!) Nabelschnüre lässt sich ohnehin nicht wegdeuten. Bis dahin kann man aber auch mit einem über weite Strecke fesselnden und hypnotischen Thriller herrliche 91 Minuten verbringen. Und außerdem: Herzlich Willkommen, die Oscar-Saison ist somit irgendwie eröffnet.