Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Matt Stuart: Die Farben der Stadt"

Günter Hack

Internet-Faktotum

8. 10. 2013 - 13:01

Matt Stuart: Die Farben der Stadt

Er sinkt vor Londoner Tauben in die Knie und folgt dem Licht in verborgene Ecken: Matt Stuart, wichtiger Akteur in der Renaissance der Street Photography, derzeit zu Gast in Wien.

Matt Stuart zieht sein Smartphone aus der Tasche. "Damit kriegst Du Probleme", sagt er, deutet auf die Kamera, die am Riemen von seiner Schulter baumelt, "Hiermit nicht. Mit der großen Kamera fotografieren ist okay, aber die Handycams finden die Leute creepy, sie halten Dich gleich für einen Spanner."

Mehr zum Thema:

Matt Stuart ist am 08. Oktober 2013 in der Wiener Galerie Eigensinnig am St.-Ulrichs-Platz zu Gast, wo er ab 19:00 Uhr Einblicke in seine Arbeit geben wird. Seine Ausstellung dort läuft bis zum 22. November 2013, der Eintritt ist frei.

Jeder Mensch, der irgendwann im Lauf der letzten zwei Jahre in einer Buchhandlung an den Bildbänden vorbeigegangen ist, hat schon eine Aufnahme des 1974 geborenen Briten gesehen. Sein Foto einer Londoner Stadttaube, die im Gleichschritt zwischen den Beinen eines Schwarms von Businessmenschen einherspaziert, ziert das Cover des 2011 erschienenen einflussreichen Sammelbands "Street Photography Now" von Sophie Howarth und Stephen McLaren.

Matt Stuart erklärt sein berühmtes Taubenfoto

Günter Hack, ORF.at

Matt Stuart über die Arbeit in Bodennähe

Konflikte entschärfen

Street Photography ist in jeder Hinsicht eine Verdichtung des städtischen Lebens. "Ich gehe nicht auf Jahrmärkte, wo die Menschen sich seltsam verhalten", sagt er, "Ich suche in London nach Mustern im Alltagsleben." Stuart mag Straßenkreuzungen, breite Bürgersteige mit vielen Menschen, hier kommt er in den kreativen Fluss. Obwohl er sich mit dem Menschen den wohl gefährlichsten Organismus der Welt als Motiv ausgesucht hat, ist er bisher nur einmal hart angegangen worden, nämlich als er einen Mann fotografierte, der auf der obersten Verstrebung einer Klappleiter stand. "Sein Kollege meinte, ich wollte einen Verstoß gegen die Sicherheitsbestimmungen dokumentieren und hat mir Prügel angedroht."

Es gelang Stuart, den Konflikt zu entschärfen. Als fotografierender Mensch ist er nun einmal auffälliger als die zahlreichen Überwachungskameras, die Londons Straßen im Blick haben. Das daraus erwachsende Paradox ist Stuart wohl bewusst: "Kann sein, dass wir in zehn Jahren Gesetze haben, die Street Photography unmöglich machen", sagt er und zeigt auf die ruhig vor sich hinstarrende kleine Plastikbeule der Kontrollkamera am Wand der Galerie, "Aber trotzdem hängen überall Kameras. Die Leute blenden sie aus."

Street Photographer Matt Stuart vor vier seiner Werke

Günter Hack, ORF.at

Matt Stuart mit Prints

Das Auge des Skaters

Bevor Matt Stuart sich als Fotograf professionalisierte - er verdient heute sein Geld mit Werbeaufträgen - war er als passionierter Skater in den Straßen Londons unterwegs. Sicher keine schlechte Schule in Sachen Wahrnehmung urbaner Details. Doch der entscheidende Schubs in Richtung Fotokarriere kam aus der Familie: "Mein Vater, ein Grafik-Designer, meinte irgendwann, ich solle mir einen Job suchen. Irgendeinen!"

Der Vater schien Matt Stuarts Talent aber erahnt zu haben, er gab ihm Bücher von Robert Frank und Henri Cartier-Bresson. "Als ich das gesehen habe, wusste ich, dass ich Fotograf werden will", so Stuart, der daraufhin hart an seiner Technik zu arbeiten begann und sich unter anderem mit Workshops bei Leonard Freed weiterbildete. Als weiteren wichtigen Impulsgeber für die eigene Arbeit nennt Matt Stuart den New Yorker Meister Joel Meyerowitz. "Er ist mein Mentor", sagt Stuart, "Einmal bin ich mit ihm durch London gezogen, das war einer der besten Tage meines Lebens."

Matt Stuart erklärt einen seiner Kontaktbögen

Günter Hack, ORF.at

Anhand von Kontaktbögen zeigt Matt Stuart, wie er sich an Motive herantastet.

Konstruktion des Augenblicks

Beim kurzen Vortrag über seine Arbeit zeigt Stuart auch Kontaktbögen und gibt damit Einblicke in seine Arbeitsweise. Der von Cartier-Bresson propagierte "entscheidende Augenblick" ist in seiner Erfahrung hart erarbeitet, etwas, an das er sich sorgfältig herantasten muss. Bei seiner Präsentation macht sich schnell Bedauern darüber breit, dass Kontaktbögen, diese wertvollen Dokumente fotografischer Strategien, mit der Digitalisierung verschwunden sind.

Auch Matt Stuart arbeitet heute nicht mehr nur analog, sondern auch mit seiner digitalen Messsucherkamera. "DSLRs mit 35mm-Sensoren sind aber auch sehr brauchbar", meint er. Obwohl er früher auch viel Schwarzweiß fotografiert habe, bevorzuge er heute Farbfotografie - Farbe ist eine zusätzliche Dimension für die Mustererkennung und erhöht damit in Matt Stuarts Universum die Chance auf ein gutes Bild. Stuarts Farben leuchten, wenngleich nicht so grell wie die eines Martin Parr. Auch wenn er sich mit dem Abschied von Schwarzweiß von den Lehren des Urvaters Henri Cartier-Bresson entfernt hat, so hat er dessen wichtigsten Technik-Tipp verinnerlicht: "Geh nie ohne Kamera außer Haus!"