Erstellt am: 8. 10. 2013 - 08:10 Uhr
NachhALTigkeit
"...weil es eine unentbehrliche Sache ist, ohne welche das Land in seinem Wesen nicht bleiben mag."
Das Wort "Nachhaltigkeit" ist ein Kind der Krise, genauer, einer Energiekrise. Erstmals verwendet hat es ein umsichtiger sächsischer Beamter Namens Hannß Carl von Carlowitz. 1713 schrieb dieser "Oberberghauptmann" das forstwirtschaftliche Lehrbuch "Silivicultura oeconomica oder Anweisung zur Wilden Baum-Zucht nebst gründlicher Darstellung des grossen Holtz-Mangel". Von Carlowitz formulierte darin den Gedanken, respektvoll und "pfleglich" mit der Natur und ihren Rohstoffen umzugehen. Unter allen Umständen müsse die "Produktionskraft" der Wälder gefördert und erhalten werden. Dies, so der Berg- & Forstmann, sei der Schlüssel zur Vorsorge für kommende Generationen.
Zwar könne man aus dem Verkauf von Holz in kurzer Zeit "viel Geld heben", aber wenn die Wälder erst einmal ruiniert seien, "so bleiben auch die Einkünfte daraus auff unendliche Jahre zurück … sodaß unter dem scheinbaren Profit ein unersetzlicher Schade liegt". Von Carlowitz wendet sich gegen Raubbau und propagiert in seinem Lehrbuch - es gilt als das älteste seiner Art - die "nachhaltende" Wiederaufforstung kahl gewordener Landschaften, "weil es eine unentbehrliche Sache ist, ohne welche das Land in seinem Wesen nicht bleiben mag."
Wider den ungezügelten Verbrauch
Holz war zu Carlowitz' Zeiten noch Hauptenergieträger. Kein Metall, kein Salz, kein Schiffsverkehr ohne Holz. Keine Städte, Brücken, Kutschen, warme Stuben. Ganze Landstriche wurden gerodet. Gesetze oder Verordnungen, die eine Nachpflanzung (Aufforstung) der Wälder geregelt hätten, gab es noch nicht. Schon als jungen Mann beunruhigten Carlowitz die massiven Veränderungen, die das rasante Schwinden der Wälder mit sich brachte. Als Sohn eines "Oberforstmeisters" war er bereits als Kind mit der Problematik des "ungezügelten" Holzverbrauchs seiner Zeit konfrontiert worden.
In seinem zwanzigsten Lebensjahr startete er eine fünfjährige Bildungsreise durch Europa und musste feststellen, dass nicht nur seine Heimat (das Erzgebirge) im Zuge der Waldverwüstung mit gravierender Erosion, Fruchtbarkeitsschwund und reißenden Gewässern zu kämpfen hatte. Egal ob Italien, England, Spanien oder Frankreich: Überall wo Hannß von Carlowitz hinkam, behandelten die Menschen ihre Wälder schlecht und litten in der Folge unter dem Holzmangel. Der alte Kontinent hatte sich in eine ausgewachsene Energiekrise manövriert.
Einige Generationen später...
In den letzten 300 Jahren haben sich zumindest die europäischen Wälder etwas erholt. Nicht etwa, weil die Mahnungen eines sächsischen Beamten gefruchtet hätten, sondern weil Holz längst nicht mehr unser Energielieferant Nummer eins ist. Kohle, Gas und Erdöl haben sich als weit potentere Alternativen erwiesen und uns eine, in der Geschichte der Menschheit beispiellos rasante, technische und zivilisatorische Entwicklung beschert.
Noch vor 200 Jahren wurde mehr als 70% der verwendeten mechanischen Energie durch menschliche Muskelkraft erzeugt. Die Plackerei fand erst ein Ende, als der Hauptenergieträger Holz durch Kohle und (etwas später durch) Erdöl ersetzt wurde. Mit diesen fossilen Energieträgern ließen und lassen sich Dinge anstellen, die sich ein Hannß Carl von Carlowitz wohl nicht einmal in seinen kühnsten Träumen ausmalen hätte können.
Was würde der Mann, der im maßlosen Holz- also Energiehunger seiner Zeit eine große Gefahr für die Zukunft seiner Gesellschaft sah, erst zu unserer heutigen Lebensführung sagen? Wie - im Carlowitzschen Sinne - "nachhaltend" ist das Ressourcenmanagement am Beginn des 21. Jahrhunderts?
Das schwarze Gold wächst nicht auf Bäumen.
Erdöl wächst im Unterschied zu Holz nicht nach. Nur 2,5% des Wassers auf unserem blauen Planeten ist trinkbar, und auch die Böden, die der Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung stehen, sind durchaus begrenzt und ihrer Natur nach fragil. Wie nachhaltig kann eine Kultur sein, deren (Grund)Versorgung von der beschränkten Verfügbarkeit fossiler Energieträger abhängt und die gleichzeitig mit eben dieser Energie das regenerative Potential der natürlichen Ressourcen dieses Planeten massiv bedroht?
Unsere global vernetzte Zivilisation – so beeindruckend sie sein mag – ist letztlich noch immer denselben Bedingungen des Lebens unterworfen, derer sich auch alle voran- und untergegangen Kulturen unterwerfen mussten. Noch immer müssen wir Menschen essen und sauberes Wasser trinken. Noch immer sind wir auf die Großzügigkeit der Natur angewiesen. Wir haben uns nur scheinbar von der Sonne emanzipiert, denn das Fundament, auf dem unser Fortschritt aufbaut, ist der gewaltige Schatz an fossiler Sonnenenergie, den unsere jüngsten Vorfahren in gigantischem Maße zu verpulvern gelernt haben. Im 20. Jahrhundert hat die Menschheit zehnmal mehr Energie verbraucht als ihre Vorfahren während der 1.000 Jahre vor 1900.
http://digitalcollections.smu.edu/cdm/ref/collection/ryr/id/1579
In der Geschichte unserer Spezies war Energie noch nie so billig wie in den letzten Dekaden.
Wir müssen nicht mehr warten, bis der Baum gewachsen ist und zu Brennstoff verarbeitet werden kann. Wir fahren einfach zur Tankstelle. Wir leben in Zeiten des Überflusses, genauer gesagt, des Energieüberschusses. Auf ihm basiert die folgenschwere Vorstellung von permanentem, exponentiellem Wirtschaftswachstum und der unserer Zivilisation innewohnende Glaube, sich von der Natur losgelöst zu haben.
Dass die Produktion von Nahrung, Gütern & Infrastruktur letztlich ganz realer Roh- und Kraftstoffe bedarf, die nicht exponentiell nachwachsen, wird gerne übersehen. Man muss kein Apokalyptiker sein, um zu dem Schluss zu kommen, dass der eingeschlagene Weg in eine mehr als ungewisse Zukunft weist.
Bildlich gesprochen fahren wir derzeit mit Vollgas und mittlerweile halbleerem Tank ("Peak Oil") Richtung Horizont. Wo die nächste Tankstelle, also die nächste billige Energie zu holen sein wird, ist ungewiss. Viele wischen solche Bedenken mit dem Hinweis auf den technischen Fortschritt vom Tisch. Die Lösung für den sich abzeichnenden Ressourcenmangel werde sich bestimmt finden. In irgendeiner genialen Erfindung oder Formel, in der Tiefsee oder Arktis, vielleicht auf dem Mars?
Der Fuß bleibt vorerst am Gaspedal. Während der Fahrt - heißt es - nicht mit dem Fahrer sprechen. Wer seine Bedenken an der Sinnhaftigkeit dieser Reise dennoch laut äußert, wird schnell als rückwärtsgewandter, technikfeindlicher Schwarzmaler abgekanzelt.
http://digitalcollections.smu.edu/all/cul/flickr/
"Nachhaltigkeit" ist heute ein Catch-all-Begriff.
Das Wort von der Nachhaltigkeit selbst ist zwar mehr denn je im aktiven Sprachgebrauch zuhause, verkommt ebendort aber zu einem Containerbegriff. In Zeiten der Wirtschaftskrise (die viele Experten als Vorboten der kommenden Energiekrise betrachten), in denen sich Menschen nach Stabilität und Richtung sehnen, hat es wieder Konjunktur. Längst wird der Begriff aber nicht mehr im Sinne seines Schöpfers Hannß von Carlowitz und dessen Forderung nach "pfleglichem" Umgang mit den natürlichen Ressourcen verwendet.
Wer heute das Wort "nachhaltig" in den Mund nimmt, will zum Ausdruck bringen, dass sein/ihr Tun wohlüberlegt und zukunftstauglich ist. Dass uns in dieser versprochenen Zukunft aller Voraussicht nach weniger Energie als heute zur Verfügung stehen wird, bleibt unerwähnt. "Nachhaltig" sind mittlerweile Haushaltsbudgets, Wachstumskurven, Personalentscheidungen, Hautcremes, Softdrinks oder Schweizer Autobahnen. Die inflationäre Verwendung des Begriffs lässt Menschen zweifeln. Sie trauen dem Wort nicht. Und sie tun gut daran.
Wenig von dem, was als nachhaltig ausgeschildert ist, hält einer Überprüfung stand.
Es gibt unzählige Hersteller, die ihre Waren mit dem Hinweis "aus nachhaltiger Produktion" bewerben oder auf die vermeintliche "Energieeffizienz" ihrer Kreationen hinweisen. Sicher, der Betrieb eines modernen Fernsehers verbraucht weniger Strom als der klobige alte und ein 2013 gebautes Auto schluckt in der Regel weit weniger Diesel als seine Vorgängermodelle. Dabei gilt es allerdings zu bedenken, dass die Herstellung eines neuen Wagens weit mehr Ressourcen verbraucht, als der Gebrauch des schon gebauten. In einer Nettoenergiebilanz schneidet selbst der hungrigste alte Motor noch besser ab, als der sparsamste neue.
"Sparsam im Verbrauch"? Das stimmt einfach nicht.
Egal wie ressourcenschonend ein Produkt auch hergestellt sein mag, am nachhaltigsten ist immer noch das Auto, das nicht gebaut, und die Jeans, die nicht fabriziert wird. Freilich rüttelt dieser banale Befund an den Grundpfeilern unserer Ökonomie. Konsumverzicht und Selbstbeschränkung sind geradezu blasphemische Begriffe für die Vertreter jenes wirtschafts- & sozialpolitischen Konzepts, das in stetem Wirtschaftswachstum sein Heil sucht und das den Begriff Freiheit nicht zuletzt über den Zugang zu Konsumgütern definiert.