Erstellt am: 7. 10. 2013 - 13:30 Uhr
Auf Patrouille in einer Geisterstadt
Das Metalltor kreischt beim Öffnen und während wir mit dem Geländewagen hindurchfahren, rasseln noch die schweren Ketten, mit denen es verschlossen war. "Wir sind jetzt auf kontrolliertem Gebiet", sagt UN Media Officer Captain Peter Singlehurst, steigt aus und hisst die Fahne der Vereinten Nationen am Heck des Pickups.
Radiotipp
Am Montag in der FM4 Homebase ab 19 Uhr: Barbara Köppels Reportage aus Zypern. Nach der Sendung für 7 Tage on demand.
Siehe auch Teil 1: Zypern: Nach der Krise ist in der Krise
Ich habe soeben in Begleitung von drei Soldaten der UNFICYP (United Nations Peacekeeping Force in Cyprus) die Green Line in Nikosia überquert. So heißt die Grenze, die Zyperns Hauptstadt in zwei Teile teilt: Im Süden leben die griechischen Zyprer, im Norden die türkischen. Dazwischen liegt die UN-Pufferzone, wo im Sommer 1974 heftige Kämpfe stattgefunden haben. Seit dem Waffenstillstand am 16. August desselben Jahres wird das Gebiet von den Vereinten Nationen kontrolliert. Kein Zivilist darf es betreten.
Für Journalisten und Fotografen werden jedoch Ausnahmen gemacht, und nachdem ich mit ein paar Unterschriften bestätigt habe, dass ich das Areal auf eigene Gefahr betrete, darf ich mit auf Patrouille.

Barbara Köppel
Zeitreise in die Siebziger
Das Tor ist nun wieder verschlossen. Wir haben eine moderne europäische Hauptstadt hinter uns gelassen und betreten eine schlecht asphaltierte Straße, die von verfallenden und mit Pflanzen überwucherten Häusern gesäumt ist.
Von Werbeplakaten blicken verblichene Frauengesichter. In Geschäften verstauben nie benutze Röhrenfernseher. Überall knarzen Scherben unter meinen Schuhen. In einem Café stehen noch einige Dosen Bier auf den Tischen.

Barbara Köppel
Zypernfrage
1974 ist die Türkei nach einem Putsch von griechischen Nationalisten, die Zypern an Griechenland angliedern wollten, in Nordzypern einmarschiert. Später wurde dort die Türkische Republik Nordzypern ausgerufen, die ausgenommen von der Türkei völkerrechtlich nicht anerkannt ist.
Seit fast 40 Jahren ist das Land daher geteilt. Nach einer nahezu vollständigen Segregation leben die griechischen Zyprer im Süden und die türkischen im Norden der Insel.
Eine Wiedervereinigung ist zuletzt 2004 nach der Ablehnung des sogenannten Annan-Plans gescheitert.
Noch im Oktober wollen die politischen Führer beider Seiten neue Gespräche aufnehmen.

Barbara Köppel

Barbara Köppel

Barbara Köppel
Es ist ein eigenartiger Ort, an dem die Soldaten der Peacekeeping-Mission ihren Dienst leisten. Ich komme mir vor wie auf einem Filmset oder auf einem gruseligen Flohmarkt - und die Schauplätze, zu denen mich meine uniformierten Begleiter eskortieren, könnte sich kein Drehbuchschreiber besser ausdenken.
Auf der Route des täglichen Kontrollgangs liegt zum Beispiel "Magic Mansion", ein Haus, in dem sich ein ehemaliges Geschäft für Zaubereibedarf befindet. Als wir den Laden betreten, blickt Captain Singlehurst auf. Es sei vielleicht jemand hier gewesen, meint er. "Es gehört zu unseren Aufgaben, den Status Quo zu erhalten. Innerhalb der UN-Pufferzone muss alles bleiben, wie es ist. Da fallen einem schon die kleinsten Veränderungen auf", und er deutet auf einen lebensgroßen Stoffleoparden, der sich über uns aus einem Fenster lehnt. "Der hat normalerweise einen Hut auf."

Barbara Köppel
Alltag in der UNO-Pufferzone
Im Stadtplanungsprojekt Nicosia Master Plan arbeiten die griechisch-zyprische und türkisch-zyprische Gemeinde zusammen, um erhaltungswürdige Gebäude in der Pufferzone zu renovieren.
Doch es geht hier nicht immer so flauschig zu. Die Vertreter der Vereinten Nationen fungieren als Schiedsrichter zwischen griechischen und türkischen Zyprern. Im Alltag oder wenn es um gemeinsame Infrastruktur geht, gibt es meist keine groben Probleme, sagt Captain Singlehurst. Geht es aber um die Politik, kommt es nicht selten zu Schreiduellen und manchmal fliegen auch Steine über den Stacheldraht. Aus militärischer Perspektive sei das schon ein Erfolg. Steine seien zumindest keine Patronen, so der Officer. "Es mag banal klingen, aber indem wir diese kleineren Vorfälle unter Kontrolle behalten, stellen wir sicher, dass die Situation nicht eskaliert."
Etwa 1.000 Mal im Jahr greifen die Soldaten ein, um solche Konflikte zu lösen und hin und wieder konfiszieren sie dabei eben doch Schusswaffen. Die Einschusslöcher in den Hauswänden von den Kämpfen vor fast 40 Jahren sind noch nicht gekittet.

Barbara Köppel
Unter den Blicken entgeisterter Touristen quere ich mit der Patrouille schließlich den Checkpoint an der Ledra-Straße. Das ist einer der beiden Grenzübergänge zwischen Süd- und Nordnikosia, die man nur zu Fuß passieren darf. Für uns gilt das nicht. Der UN-Wagen rollt noch dazu von Ost nach West über die Straße - wieder scheppert viel Metall - und gibt dabei einen kurzen Blick in die Pufferzone frei, den wahrscheinlich erst sehr wenige Zyprer unter 40 erhaschen konnten. Der etwa 70 Meter lange Bereich zwischen griechischer und türkischer Seite ist sonst hermetisch abgeriegelt. Hier dürfen nicht einmal Fotos gemacht werden. Mehrere Kameras überwachen das und senden ihre Bilder direkt ins UN-Hauptquartier von Sektor 2. Indirekte militärische Präsenz reicht hier aus.
In der UNFICYP sind derzeit auch vier Österreicher im Einsatz.
Außerhalb der Hauptstadt ist die UN-Pufferzone wesentlich belebter. Sie erstreckt sich quer über die gesamte Insel und ist an ihrer breitesten Stelle 7,4 Kilometer breit. Stellenweise ist sie sogar frei zugänglich und mit Erlaubnis dürfen Bauern innerhalb der Green Line auch Landwirtschaft betreiben. Sie bauen vor allem Weizen und Zitrusfrüchte an oder halten Schafe oder Bienen. Auch hier agieren die UNO-Soldaten als Vermittler. Oft fehlen die Genehmigungen. Pilgerreisen und Versorgungsfahrten müssen überwacht werden. Zusätzlich sorgen Dinge wie die Wasserversorgung oder der exakte Verlauf der Grenzen immer wieder für Spannungen.
Hier ist also viel los in der Pufferzone. Insgesamt leben und arbeiten mehr als 10.000 Menschen hier - in Pyla, einem kleinen Ort in der östlichen Region wohnen griechische und türkische Zyprer sogar Seite an Seite.
40 Jahre in einem Atemzug
Barbara Köppel ist im Rahmen von Eurotours 2013, einem Recherchestipendium der Europapartnerschaft nach Zypern gereist.
In Nikosia bleibt die Pufferzone aber bis auf Weiteres eine Geisterstadt. "Nach der Invasion haben viele Vertriebene ihre Habseligkeiten reklamiert", erzählt Captain Singlehurst und verspricht mir noch ein letztes Highlight. Denn manche sind nie zurückgekehrt. Ein Autohändler aus Famagusta zum Beispiel hat 50 Neuwägen in der Pufferzone zurückgelassen. Ich folge den Soldaten also in eine dunkle Garage. Tauben flattern auf, unsere Schritte hallen am Weg nach unten.

Barbara Köppel
Siehe auch Teil 1: Zypern: Nach der Krise ist in der Krise. Vor einem halben Jahr ging fast ein ganzes Land bankrott. Seither hat man kaum etwas davon gehört. Wie gehen die jungen Menschen in Zypern mit der Krise um?
"Du weißt, wie ein neues Auto riecht", fragt Singlehurst und öffnet die Tür eines verstaubten Datsun. Ja. Und tatsächlich - aus der Rostlaube strömt ein Geruch wie frisch vom Fließband. Fast 40 Jahre konserviert in einem einzigen Atemzug. Ich frage mich, was sich wohl schneller lösen wird, die Zypernfrage oder die Duftmoleküle in diesem Oldtimer, und steige wieder in den UN-Wagen.
Nur wenig später sind wird durch, die Patrouille konnte ohne besondere Vorkommnisse beendet werden. Wir fahren durch ein letztes Tor, zurück ins Jahr 2013. Hinter uns klirren Metallketten.