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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

6. 10. 2013 - 13:40

Zypern: Nach der Krise ist in der Krise

Vor einem halben Jahr ging fast ein ganzes Land bankrott. Seither hat man kaum etwas davon gehört. Wie gehen die jungen Menschen in Zypern mit der Krise um?

FM4 Homebase Spezial: Zypern

    Es ist Abend auf der Ledra-Straße. Aus den Restaurants tönen Sirtaki-Klänge. TouristInnen machen sich über Souvlaki und Halloumi her. Eine Gruppe älterer Herren spielt Backgammon. Jugendliche treffen sich zum Ausgehen. Eine Szene wie aus einem Werbefilm.

    Barbara Köppel ist im Rahmen von Eurotours 2013, einem Recherchestipendium der Europapartnerschaft nach Zypern gereist.

    Die Kulisse ist aber nur auf der Straßenebene intakt. Ein Blick nach oben enthüllt leere Stockwerke. Ganze Gebäude stehen zum Verkauf. Die For-Sale-Schilder wirken wie düstere Vorboten auf das, was dem belebten Zentrum vielleicht bevorsteht und was außerhalb der historischen Stadtmauern bereits Realität geworden ist.

    For Sale Schild in Ledra Straße, Nikosia, Zypern

    Barbara Köppel

    Noch bis vor wenigen Monaten hat sich das geschäftige Treiben in Zyperns Hauptstadt im jüngeren Teil Nikosias abgespielt. Von hier aus hat sich die Makarios-Straße mit ihren schicken Modeboutiquen, Hotels und Fastfoodketten als wichtigste Einkaufsstraße zwischen Neustadt und Altstadt erstreckt. Heute gibt es in den Schaufenstern dort nicht mehr viel zu sehen. Die meisten Geschäfte mussten schließen, nur ein paar Flagshipstores internationaler Marken bleiben hartnäckig.

    Doch auch die ZyprerInnen halten sich wacker, bleiben pragmatisch und rücken eben zusammen. Vielleicht stimmt es ja, was Slavoj Žižek kurz nach Ausbruch der Finanzkrise über den Zustand der "einfachen Leute" in Zypern geschrieben hat: Die Menschen hier müssen sich fühlen wie der Kojote aus dem Cartoon, der über die Klippe rennt und erst abstürzt, wenn er nach unten schaut. Man wiegt sich möglicherweise bewusst in falscher Sicherheit.

    Einige von ihnen haben aber schon in den Abgrund geblickt. Weiter unten auf der Ledra-Straße brummeln melancholische E-Gitarren aus einem billigen Verstärker, und die klingen so gar nicht mehr nach leichter Unterhaltung für TouristInnen. Das ist der Sound der Krise.

    Nick und André, Straßenmusiker aus Zypern

    Barbara Köppel

    Nick und André schlagen sich als Straßenmusiker durch.

    Nick hat dreizehn Jahre lang in einem großen Transportunternehmen als Fahrer gearbeitet. Ende März wurde er entlassen - und mit ihm 600 weitere ArbeiterInnen. "Außerdem habe ich meine Wohnung verloren", erzählt er. "Kein Job, keine Miete. Ich habe eineinhalb Monate auf der Straße geschlafen."

    In Zyperns größter Universität, der University of Cyprus, findet inzwischen ein internationaler Kongress statt. Nicoletta kümmert sich um die TeilnehmerInnen und auch sie ist von der Krise betroffen. Dabei ist sie vergleichsweise gut dran. Sie studiert Pädagogik und hat für die Dauer ihres Doktorats einen Job als Studienassistentin. Ihr Vertrag läuft vier Jahre, doch ob bzw. wie gut oder schlecht sie dieses Semester bezahlt wird, ist noch unklar. "Wir haben Probleme mit dem Budget", sagt sie. "Mein Professor weiß noch nicht, wie hoch der Posten für unsere Studienrichtung sein wird. Es ist gut möglich, dass mein Lohn gekürzt wird."

    Die EU soll uns in Ruhe lassen

    Nick und Nicoletta sind nur zwei von vielen, deren Leben die Krise dramatisch verändert hat. Stimmt der Vorwurf also, dass die kleinen Leute - ArbeiterInnen, Studierende und KünstlerInnen - nun für die Schulden aufkommen, die die Banker verursacht haben?

    Am 25. März hat die EU und der Internationale Währungsfonds nach langen Verhandlungen mit der zyprischen Regierung ein Rettungspakt in der Höhe von 10 Milliarden Euro geschnürt. Zuerst unter der Bedingung, dass auch die Kleinsparer ihren Anteil leisten sollten. Einlagen bis zu 100.000 Euro sollten einmalig 6,7 Prozent abgeben. Nach Protesten hat die zyprische Regierung das aber abgelehnt. Stattdessen musste Laiki, die zweitgrößte Bank in Zypern, zusperren und es gibt große Einschnitte bei Löhnen, Sozialleistungen, Pensionen, Bildung und Kultur, außerdem höhere Steuern und höhere Kosten im Gesundheitssystem.

    Nick und Nicoletta sind daher vom EU-Rettungspaket nicht besonders überzeugt. "Die großen Länder wie Deutschland sollen uns in Ruhe lassen", meint Nick, "wir wären ohne ihre Einmischung besser dran". Und Nicoletta sagt: "Ich weiß nicht, wer das Geld bekommt, aber ich glaube, es wird in die falschen Dinge investiert. Wir müssen das ganze Finanzsystem ändern, sonst bricht bald wieder alles zusammen."

    Hier gibt es für uns nichts mehr

    Derselben Meinung ist Nicolas: "Die Banken hätten nie so schnell soviel billiges Geld hergeben dürfen." Er verbringt einen seiner letzten Abende in Nikosia in einer Galerie, wo eine befreundete Künstlerin Bilder ausstellt, die die Proteste im nah gelegenen Griechenland reflektieren. Denn er wird Zypern gemeinsam mit seiner Freundin verlassen, um sich ein neues Leben in London aufzubauen. "Ich habe beschlossen zu gehen, weil ich mein Unternehmen schließen musste", erzählt er.

    Nicolas und seine Mitarbeiter haben Online-Marketingstrategien für Banken entworfen. Nach dem großen Banken-Crash haben sie nicht nur ihre Kunden, sondern auch ihre Konten verloren. "Wir hatten keinen Zugriff auf unsere Einlagen mehr", erinnert er sich, "dabei war der Zusammenbruch im März nur der letzte Sargnagel für uns." Begonnen haben die Schwierigkeiten vor etwa zwei, drei Jahren. "Unsere Kunden haben nicht gezahlt, also haben wir uns mit Krediten und Kontoüberziehungen durchgeschlagen."

    Siehe auch Teil 2:
    Auf Patrouille in einer Geisterstadt. In Zyperns geteilter Hauptstadt Nikosia liegt zwischen dem griechischen Süden und dem türkischen Norden die UN-Pufferzone. Seit 1974 darf dort niemand hinein.

    Nur wenige Jahre zuvor hat die Welt für Klein- und Mittel-Unternehmer in Zypern noch ganz anders ausgesehen. Mit dem EU-Beitritt 2004 kam es zu einem Wirtschaftsboom. Kredite waren leicht zu haben, Businesspläne oder persönliche Sicherheiten wurden nicht streng geprüft:

    "Es war großartig. Ich war erst 29 und hatte schon ein eigenes Unternehmen. Ich habe mir einen BMW gekauft, eine ganze Wohnung renovieren lassen und einige Mitarbeiter angestellt. Aber das hat alles ein abruptes Ende gefunden."

    Am Montag in der FM4 Homebase ab 19 Uhr: Barbara Köppels Reportage aus Zypern. Nach der Sendung für 7 Tage on demand.

    Geblieben sind Schulden, arbeitslose Mitarbeiter und das Auto ist längst verkauft. Sobald alles organisiert ist, brechen Nicolas und seine Freundin auf. "Vielleicht kommen wir eines Tages wieder", spekuliert Nicolas, "und können unser Leben in der Sonne genießen. Doch im Augenblick gibt es hier für uns nichts mehr".