Erstellt am: 6. 10. 2013 - 10:00 Uhr
The daily Blumenau. Weekend Edition, 05/6-10-13.
Es blickt jetzt nach vorne, kinderwagenaufsatzmäßig, das Baby. Trotzdem: der tägliche Text, die tägliche ausführliche Reflexion, die Thesen-Dichte, die sich heuer schon bislang rein gar nicht ausgegangen ist, das wird's auch weiter nicht spielen.
Deshalb hier der Versuch, das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen. Ich werde vieles halt nur anreißen/denken und nicht wie bisher auch vertiefen können.
Wenigstens die Täglichkeit sollte gelingen, immer mit ein paar Items aus diesen Themenfeldern. Vielleicht sogar mit einer Weekend-Edition mit Journal-Charakter; die NR-Wahl von letztem Sonntag war jedenfalls ein guter Anlass für den Start - here comes "the daily Blumenau".
1
Das erste Dirndl war das von der Oma. Und die Oma war eine widerständige, wehrhafte Person, die sich in Tracht noch besser empören konnte. Ich mag also Dirndln.
Meine erste Lederhose besaß ich schon als Kleinkind; und da hatte nicht der Opa in Tirol seine Finger im Spiel, sondern eine dünkelfreie Arbeiterklassen-Einstellung meines Vaters. Die letzte Lederhose blieb in der Volksschule, danach wurde aus der praktischen Allzweck-Allwetter-Waffe nämlich ein ideologisches Instrument. Trotzdem: Ich hab' was über für das griffglatte, blickfleckige Hosenkleid.
2
Anfang der 70er jedenfalls war der Kampf um die Deutungs-Hoheit verloren, wieder einmal. Als Lederhosenträger, selbst als Kind, war man so schnell in einer ideologischen Box, dass nur schnelle Flucht half.
Der Kampf um die Tracht, das Dirndl, die Lederne, der tobt seit Jahrhunderten zwischen Landvolk und den Herren-Bauern sowie vor allem der adeligen - später auch der bürgerlichen - Herrschaft, die sie als Insignie des Plebiszits begreift. Wer die Tracht trägt, spricht die Sprache des Mehrheitsvolks, repräsentiert das gesunde Empfinden. Was eigentlich als Revolte von unten begann, wurde (wie so vieles, wie letztlich alles) von den Mächtigen vereinnahmt.
3
In Österreich wurde die Tracht von den Nazis vom BDM bis rauf zum Führer kaputtinstrumentalisiert, und so mühte sich der 50er-Jahre-Heimatfilm mit seinen Waltraud Haasen trefflich ab, das alte Sonntagskleid wieder in die Normalität zurückzuholen.
In Österreich, dem Land der Opfer, meinte man aber die Tracht ohne deutliche ideologische Abgrenzung und geschichtliche Aufarbeitung vom Obersalzberg herunterholen zu können; und scheiterte.
4
Die Tracht blieb den bierdimpfigen Landaffen, den Ultrareaktionären und Monarchisten, den Graf Alis dieser Republik; im Dirndl steckte weiter immer auch Eva Braun. Die Tracht streift die Schnittmenge der Nationalisten aller Lager, vom belächelten Monarchisten über die oligarchiefreundlichen Kruckenkreuzler bis hin zum xenophoben Postfaschisten. Und während sie anderswo ihre Reinwaschung erfahren hat, mieft sie in Österreich noch nach all dem Unheil des vergangenen Jahrhunderts.
5
Später, in der vieles beliebiger machenden Postmoderne, gelang zumindest die Rückholung in einen traditionalistischen Kontext, auch mit Hilfe einer vom Großbürgertum getragenen Ideologie der Mode oder eines schnuckigen Getränks. Das Kleid und Beinkleid des Alltags wurde die Tracht aber nur, wenn es drum ging, bei Wahlen Ressentiments zu wecken und sich mittels dieser subtilen Kleiderwahl im richtigen Umfeld zu verorten.
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Nun könnte man, vor allem nach dem brachialen Wahlscheitern des einzigen NR-Kandidaten, der vollständig darauf gesetzt hatte, meinen, es wäre vorbei mit der Tracht als politischem Symbol in einem Österreich, das sich zunehmend zur politikfreien Zone erklärt.
Das Gegenteil ist der Fall: Die Tracht ist wieder in den Mainstream eingesickert, zuletzt sogar in den jahrelang resistenten urbanen. Das ist vor allem das Werk einer absurden Franchise, der Wiener Wiesn, einer verwordackelten Kopie des Münchner Oktoberfests im Wiener Prater. Dabei geht es erstaunlicherweise nicht so sehr um Brechdurchfall-Saufen, Ballermann-Geblöke oder aufgedunsene Monster-Heurigen-Geselligkeit, sondern um die Fortschreibung der Insignie, als Zelebration von Mehrheits- und Machtempfinden.
7
Die Wiener Wiesn, die es erst seit ein paar wenigen Jahren gibt, tut so, als würde sie eine Tradition festschreiben; als könnte man die Tracht aus der Mottenkiste nehmen und als weißen Fleck völlig neu, nämlich apolitisch definieren.
Und das Absurde geschah: Dieser Marketing-Schmäh funkionierte. Seit ein paar Jahren stolpern im September/Oktober vorgeglühte Trachtträger durch Wien, mit billigen Joppen-Kopien, schiachen Karo-Fetzen und blickdichten Strümpfen, als hätten sie sich Jahrzehnte im Keller versteckt und hätten erstmals Ausgang.
Man hat den Nerv des unbedarften Teils einer Generation getroffen, der sich von jeglicher Vergangenheit freihält, vom Markt vorgeschriebenes Recycling für eine Kulturtechnik hält und sich so sehr als un- oder besser postpolitisch definiert, dass keinerlei Bedenkenträgertum ihnen etwas anhaben kann.
8
Eh schlau.
Aber ebenso wie trotz der Existenz von Redskins die öfentliche Erscheinung als Skinhead (und da ist auch die Kleidung, die "Tracht" das primäre Symbol) eindeutig ideologisch punziert ist und sehr konkretes Gedankengut freisetzt, ist die Tracht, zumindest in Österreich, das Insignum jener Stände, die einst den Austrofaschismus erfanden (Herrenbauern, Großbürgertum/Industrie, Adel/Klerus) und lässt sich zudem schwer vom Obersalzberg trennen.
9
Ich werd nämlich den Teufel tun und das Oktoberfest per se schlechtreden. Schließlich sind meine entfernten Verwandten hier die Ausrichter des größten Oktoberfests außerhalb von München
In Bayern, in München auf der echten Wiesn geht sich das aus, aus zwei Gründen. Zum einen, weil man dort die Abgrenzung zur Nazi-Vergangenheit geschafft hat (in Deutschland gilt schon die AfD als rechtsaußen, in Bayern ist rechts der CSU gar kein Platz); zum anderen, weil diese Herrschaftsschicht eben nie eine Diktatur errichtet hatte, wie die Christlich-Sozialen in Österreich; und alles im Namen der Tracht.
10
Deshalb ist dieses Wiener Fest der windschief nachgestellten Trachenmanderl und -weiberl, die für Wochen (dieses Wochenende für heuer glücklicherweise wieder letztmalig) das Stadtbild einsauen, auch so halbgar, charmelos und nichtssagend, so völlig lebensgefühlsfrei: Wo in München die Tracht zum Kleiderkasten gehört wíe die Waffe in den Schrank des Schweizers, existiert in Österreichs Kästen nur ein blinder Fleck, der jetzt halbgar nachbesetzt werden kann. Was dazu führt, dass diese aktuelle hingeschlonzte Trachtenmode nicht mehr kann als ein schnell besorgtes Arschgeweih. Denn das zeigt mir, jemandem, der das Oma-Dirnl mag und selber Lederhosenträger war, nur die Beliebigkeit dieser Instant-Mode.
Die unbesprochene und deshalb auch noch immer nicht bewältigte Schuld im Namen und unter dem Signum der Tracht existiert weiter; der Wiener Wiesn gelingt es zwar einige Wochen lang, Wien zu einem Bierzelt zu deformieren. Ideologiefreier Raum kann dadurch aber nicht entstehen.