Erstellt am: 4. 10. 2013 - 13:47 Uhr
Music Is My Hometown
3. Oktober, 4 Grad Celsius.
Bei solchen Konditionen kann man die banalen Annehmlichkeiten eines Festivals in der Zivilisation gar nicht genug loben: es ist geheizt und das eigene oder andere Bett nicht weit! Man will sich ja gar nicht vorstellten, wie man im Sommer... oder letztes Jahr beim Waves, nur im Leiberl... nein!
An diesem Abend bevorzugen wir die Vorstellungen der belgischen Bands, denn "Belgium booms", sagt das Programmheft. Deshalb haben die Veranstalter spannende junge Acts aus dem Königreich eingeladen, die man jetzt in der pophistorischen Karteikarte des Landes zwischen dEUS, Technotronic, Soulwax / 2ManyDJs oder Vaya Con Dios einordnen kann.
Amatorski
Da gibt's zum Beispiel die gute Band mit dem guten Namen Amatorski, die vermutlich nichts mit Amateuren zu tun hat. Zumindest nicht, wenn man sie spielen hört: eine versierte Band, die den Instrumententausch nicht scheut und auf der voll bepackten Flex-Bühne über das Equipment klettert wie bei einem Zirkeltraining. Denn da stehen ein E-Piano, ein Kontrabass, ein Xylophon, ein Schlagzeug, ein paar Gitarren und ein Laptop.

Daniela Derntl
In der Musik von Amatorski steht allerdings nichts im Weg herum, sie wirkt aufgeräumt und introvertiert. Die Stimme der Keyboarderin und Gitarristin Inne Eysermans kuschelt sich sachte in die ebenso zurückhaltende Musik, eine Mischung aus Trip-Hop und fragilem Post-Rock.
Die Frau mit der unschuldigen Kinderstimme beherrscht die Kunst der leisen Töne. Es ist alles fein orchestriert und sehr brav, fast fad. Doch nach genau einer halben Stunde wacht die Band auf. Um Punkt 20 Uhr türmt das Quartett bei der Nummer "8. November" die Sounds auf und fährt anschließend mit einer Planierwalze drüber, bis nur noch ein Glockenspiel übrig bleibt. Ein schöner Anfang, wobei, die wirklich allererste Band des Festivals hat im Odeon Theater in der Taborstraße in Wien Leopoldstadt gespielt.

Daniela Derntl
Magic Arm
Magic Arm aus Manchester. Das ist der Alleinunterhalter, Multiinstrumentalist und Singer-/Songwriter Marc Rigelsford, dessen Indie-Pop-Kompositionen an jene von Grizzly Bear erinnern. Magic Arm bringt die zarten Knospen seiner folkigen Indietronica nicht durch Zauberei, sondern durch Loopings zum Blühen, sodass man meinen könnte, es stünde eine ganze Band auf der Bühne und nicht ein einziger, bärtiger Mann mit Kappe. Wobei Rigelsford hin und wieder von seinem Freund Ben an Drums, Klarinette und Melodica begleitet wird und die beiden sehr zu Scherzen aufgelegt sind.
Girls In Hawaii

Mona Hermann / Waves Vienna
Die nächste belgische Band auf der Flex-Bühne sind Girls in Hawaii, die heuer ihr drittes Album "Everest" veröffentlicht haben. Es ist ein trauriges Album, denn darauf verarbeitet das Quintett den Tod ihres Schlagzeugers Denis Wielemans, dessen Bruder Antoine ebenfalls in der Band spielt. Die neuen Songs handeln vom Abschiednehmen, Verlust und Katharsis. Doch auf der Bühne wirken die Girls gar nicht traurig, sondern ausgeglichen und ausgesprochen freundlich. Voll Inbrunst schrammeln sich drei Gitarristen und ein Bassist Indie-Rock und Shoegaze von der Seele, so, als wären wir noch mitten in den Neunzehneunzigern. Einprägsame Melodien mit interessanten kleinen Details, durch deren Melancholie kräftig die Hoffnung schimmert.
Vortex Rex und Japanther

Mona Hermann / Waves Vienna
Während der Umbaupause geht es scheppernd im Flex-Cafe weiter, wo Liebenswürdigkeit dreier Menschen in die lärmende Leidenschaft des Garagen-Rocks verwandelt wird, und zwar von Ilias Dahimène, Viktoria Schmid und Rudi Hebenstreit alias Vortex Rex. Auch nach ihnen geht’s mit Rock'n'Roll weiter. Beim Konzert des US-amerikanischen Kunstprojekts Japanther sorgt ein Moshpit der Critical-Mass-Fahrrad-Gang für die nötige Action vor der Bühne.
CSS

Armin Rudelstorfer / Waves Vienna
Modern Talking
Eine Stunde lang CSS im Interview mit Natalie Brunner.
Bis Montag zum Nachhören
Das Highlight im Flex sind zweifelsohne CSS aus Brasilien. Sie sind eine der Bands, bei denen man merkt, wie rasend schnell die Zeit vergeht. Unglaubliche sieben Jahre ist ihr gleichnamiges Debüt-Album mit Hits wie "Let's Make Love and Listen to Death from Above" oder "Alala" schon wieder alt. Aber zum Glück handelt es sich hier um Nirosta-Qualitätsware. Keine Zeichen der Zeit trüben dieses Konzert, Lovefoxxx ist eine anbetungswürdige und schreiend komische Frontfrau, die schon mal die Handyfotos der Besucherinnen crasht. Mit ihr will man um die Häuser ziehen, Party machen oder einfach nur abhängen. Und wenn coole Frauen auf der Bühne abgehen, schaut das im Publikum genauso aus und man singt mit: "Music is my hometown, Music is my hot hot sex", oder auch "I've seen you drunk gurl, and you are not drunk yet!"

Mona Hermann / Waves Vienna
Cansei De Ser Sexi sind starke Frauen in der DIY-Tradition der Riot-Grrrls. Neben der Musik und dem selbstbewussten Auftreten dient auch das Julie-Ruin-T-Shirt der Keyboarderin Ana Rezende als Querverweis. Den Oberkörper von Gitarristin Carolina Parras ziert übrigens Fuchur, der fliegende Glückshund aus der unendlichen Geschichte. Die Stärke der Band liegt genau dazwischen: Feminismus und Glückseligkeit zum Abheben.

Daniela Derntl
Nathan Fake
Noch ein kurzer, aber anspruchsvoller Abstecher in die Fluc Wanne, wo Nathan Fake experimentiert. Sein Set zielt nicht auf Harmonien oder Eingängigkeit ab. Er schreddert und häckselt Minimal Techno und baut ihn arhythmisch wieder zusammen. Spährisch-schwebende Melodien schimmern nur ansatzweise durch die akustische Geröllhalde, der Maschinenmeister wacht streng über die Sperrigkeit seines Sets, dessen amorpher Masse er durch Verdichtung sphärische und kristallklar schneidende Momente abverlangt. "Irgendwie macht das nicht viel Spaß", sagt der Typ neben mir. Aber dafür ist dann das AG Trio im Anschluss verantwortlich.
Das war Tag eins. Heute freuen wir uns auf Roosevelt, Skream, Mozes and the Firstborn und Didi Bruckmayr.