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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

4. 10. 2013 - 20:56

Der Rausch der Runden

James Hunt gegen Niki Lauda: Das Rennfahrerdrama "Rush" erweist sich in jeder Hinsicht als positive Überraschung.

Der Sportfilm gehört wohl wirklich zu den schwierigen Genres. Wer auf dem Bildschirm regelmäßig Fußballspielen, Skirennen oder Formel 1-Übertragungen entgegenfiebert, gehört nicht automatisch zur Zielgruppe für die dazugehörigen cinematografischen Aufarbeitungen. Mit dem Thrill von Liveübertragungen können Sportfilme natürlich nicht mithalten, die dazugehörigen strategischen Planspiele kommen im Kino oft nur am Rande vor.

Umgekehrt leiden Filmfans wie meine Wenigkeit, die quasi nie wegen einem sportlichen Ereignis den Fernseher aufdrehen, dann schon ziemlich darunter, wenn sich favorisierte Regisseure oder Lieblingsschauspieler dem Thema nähern.

An „"Moneyball" habe ich mich immer noch nicht rangetraut, Filme wie "Invictus" oder "Any Given Sunday" stand ich stoisch durch, ohne große Begeisterung.

Nur Boxerfilmen gelingt es regelmäßig, sämtliche Hürden des Sportfilmgenres zu überspringen. Wohl weil packende Streifen wie "Raging Bull", "The Fighter" oder "Warrior" ganz nahe an der Ursubstanz des Körperkinos angesiedelt sind: Hier fließen Schweiß und Blut, knacken die Knochen und kämpfen auch herrlich zwiespältige Figuren um das große Ganze. Ich glaube, ich habe maximal eine Handvoll Boxkämpfe in meinem Leben via TV verfolgt, verehre aber etliche der dazugehörigen filmischen Durchhalte-Epen.

Rush

constantin film

Gesichter statt GCI-Effekte

Mit all diesen Gedanken und der dazugehörigen Skepsis spazierte ich schon vor einigen Monaten in die Pressevorführung von Ron Howards neuem Film "Rush". Formel 1 im Kino, da kommen einem aktuellere Katastrophen wie Sylvester Stallones "Driven" in den Sinn und man muss schon sehr weit zurückblicken, um positive Assoziationen wachzurufen.

John Frankenheimers "Grand Prix" von 1966 wurde seinem Ruf als "drama of speed and spectacle" für die damalige Zeit durchaus gerecht. "Le Mans" faszinierte 1971 mit semidokumentarischem Flair und einem zerknautschen Steve McQueen hinter dem Steuer. Und jetzt also der Grand-Prix-Film eines braven und berechenbaren Hollywood-Handwerkers, dem die Welt einerseits Dan-Brown-Blockbuster-Banalitäten mit Tom Hanks und zum anderen Edelschnulzen wie "A Beautiful Mind" verdankt.

Zwei Stunden später verlasse ich, ernsthaft berührt und in bester Laune gleichzeitig, den Saal, mit dem überrushten Gefühl, einen der besten Filme des Jahres gesehen zu haben.

"The Truth is All Important"
Peter Morgan im Interview mit Chris Cummins

Vielleicht liegt es ja am geringeren Budget dieser ersten Produktion von Ron Howard außerhalb des etablierten Studiosystems. Wer zu wenig Geld hat, um extrem aufwändige Rennen nachzustellen und gleichzeitig, in Abgrenzung zu sämtlichen "Fast & Furious" Inkarnationen, auf auffällige CGI-Effekte verzichtet, dem bleibt gar nichts anderes übrig, als die Kamera vor allem auf Gesichter zu richten. Dass die dahinter stehenden Darsteller in Hochform agieren, hilft natürlich sehr. Vor allem ist es aber des Drehbuch des Austro-Briten Peter Morgan, dem "Rush" seine ganz spezielle Energie schuldet.

Rush

constantin film

Chris "Thor" Hemsworth spielt den lächelnden Lebemann James Hunt

Der Tod fährt mit

Der ausgesuchte Biopic-Spezialist Peter Morgan ("The Queen"), dem Ron Howard auch seinen zweitbesten Film "Frost/Nixon" verdankt, siedelt seine elektrisierende Charakterstudie in den frühen Siebziger Jahren an.

Der Formel-1-Sport ist damals weit entfernt von den durchkalkulierten Events der Gegenwart, in denen es um Bruchteile von Hundertstel Sekunden geht. Auch minutiöse Sicherheitsbestimmungen sind noch Zukunftsmusik.

Schwere Unfälle gehören zum Grand-Prix-Alltag, jedes Rennen kokettiert im Grunde mit dem Tod. Einige Fahrer lassen sich entsprechend wie moderne Gladiatoren feiern und leben wie Rock’n’Roller. Der größte Playboy in diesem Rennzirkus kommt aus Großbritannien und heißt James Hunt.

Sex, Alkohol und Todesnähe sind omnipräsent: Der McLaren-Star erbricht sich zwar vor jedem Rennen, genießt aber gleichzeitig sein waghalsiges Dasein mit einem Grinsen auf dem gebräunten Gesicht. Bis seine Nemesis auftaucht. Ein junger Österreicher, der alles anders macht, der auf die Partys, den Exzess und das juvenile Image verzichtet. Und stattdessen pingelig plant und konsequent trainiert. Die Ära des Niki Lauda beginnt.

Rush

constantin film

Daniel Brühl als Niki Lauda

Glamour versus Effizienz

Wie schon angedeutet: "Rush" destilliert die Auseinandersetzung zwischen dem britischen Risikojunkie und dem heimischen Renn-Analytiker zum euphorisierenden Schauspielerkino.

Chris "Thor" Hemsworth spielt den lächelnden Lebemann James Hunt solide und leichtfüßig. Wirklich sensationell dagegen, so dass einem im Kinosessel durchaus der Mund aufklappt, wirkt Daniel Brühl als Niki Lauda. Von den Bewegungen bis zum Akzent - hier ist die Originalfassung unumschränkte Pflicht - verdient seine Darstellung den Weltmeistertitel in Method-Acting. Brühl pendelt aber nicht nur die Virtuosität seines Spiels wunderbar mit Humor aus, er verleiht auch seiner verbissenen Figur witzige und tragische Facetten.

Letztlich bringt "Rush" am Beispiel des Duells zwischen Hunt und Lauda nicht nur das Ende der Glamourära im Sport auf den Punkt. Der Film erzählt auch vom Beginn des Effizienzdenkens in der Gesellschaft und dem Sieg des Nerdtums in vielen Branchen.

Dass Ron Howard und Peter Morgan die irrlichternden Draufgänger und die kalkulierenden Streber nicht bloß polemisch gegeneinander ausspielen, sondern sich Grauzonen und Komplexität erlauben, ist schon sehr viel mehr als man vom Mainstreamkino heute erwarten kann. Dass "Rush"zusätzlich auch noch im besten Sinn nach Benzin und Motoröl stinkt, macht ihn zum Pflichtfilm.