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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

3. 10. 2013 - 18:10

Teamwork, by the book

In der Schlichtheit liegt das Meta: Die neue Comedy-Serie "Brooklyn Nine-Nine" mit Andy Samberg

Im Rahmen des Comedy Roast von James Franco vor ein paar Wochen (übrigens insgesamt sehr empfehlenswert, nicht zuletzt im Hinblick auf die Überlegung, wie viele "gay jokes" ein Abend gerade noch so zu tragen im Stande ist – und eigentlich warum?) hatte der vielstimmige Komiker Bill Hader liebevoll-hämische Worte für den ebenfalls anwesenden Andy Samberg, ehemaliger Kollege von Hader bei Saturday Night Live, und dessen zu diesem Zeitpunkt kurz vor der Premiere stehende Show "Brooklyn Nine-Nine" über. Er könne "Brooklyn Nine-Nine" nicht erwarten, so Hader mit kaum versteckter Unterwältigung durch das Konzept der Serie: "Funny Cops – You're Always Pushing the Envelope, Andy".

Die in einer New Yorker Polizeistation angesiedelte Comedy-Show "Brooklyn Nine-Nine" geht nun alles andere als an die Grenze und bestellt schon gar kein Neuland. Erschaffen haben die Mitte September auf Fox gestartete Serie Dan Goor und Michael Schur, die bei den großherzigen Dauerbrennern "The Office" und "Parks and Recreation" federführend ihre Finger im Spiel haben oder hatten. So wird auch der Pitch für diese Serie gelautet haben: "Parks and Recreation" trifft "Police Academy". Vor allem dürften sich Goor und Schur bei der Entwicklung von "Brooklyn Nine-Nine" aber auch an "Barney Miller" orientiert haben; einer harmlosen, herzlichen und langlebigen Cop-Show aus den 70ern, die Cops nicht in rasanten Verfolgungsjagden und beim Aufstöbern des gewieften Origami-Serial-Killers zeigte, sondern sie in miefigen Büroräumen herumsitzen ließ. Akten ordnen, Witze reißen, Berichte schreiben.

Brooklyn Nine-Nine

Brooklyn Nine-Nine

Die durchtypisierten Sieben: "Brooklyn Nine-Nine"

"Brooklyn Nine-Nine" ist – bislang – eine Nummern-Revue der Typen: Die Show handelt von Individualisierung und Gruppenbildung, einem Vater-Sohn-Verhältnis und Reifeprozessen und versucht dabei auch gar nicht, seine humanistischen Anliegen zu verbergen. Höchstens werden sie auf Meta-Ebene augenzwinkernd reflektiert: "The only puzzle he hasn’t solved", stellt Sergeant Terry Jeffords dem neu auf dem Revier angekommenen Captain Ray Holt seinen kindsköpfigen, aber brillanten Detective Jack Peralta in weihevollem und trailer-würdigem Ton vor, “is how to grow up.” Woraufhin Captain Holt überrascht über die offensive eloquente Gemachtheit und den filmischen Pathos der Äußerung entgegnet: "That was very well put."

"Brooklyn Nine-Nine" ist eine Serie über Serien. Zu gut wissen Goor und Schur, was funktioniert. Und so funktioniert "Brooklyn Nine-Nine" eben wie eine neu lackierte, perfekt geölte Kugelrollbahn, vor der ein großes Schild aufgestellt ist: "Neu lackierte Kugelrollbahn". Sogar Hauptdarsteller Andy Samberg stellt in der Rolle des Jack Peralta einzig eine Andy-Samberg-Figur dar. Detective Jack Peralta ist ein sympathischer Großkotz. Ein egozentrischer Spitzbub mit großem Herzen. Großartig im Job, schlecht im Benehmen. Frech, flapsig, Krawatte will er keine tragen. Sein Spind ist eine Müllhalde, seine Statistiken kaum übertroffen.

So wie Jack Peralta eine Figur ist, die man in hundert Cop-Filmen und -Serien gesehen hat, ist das gesamte Personal von "Brooklyn Nine-Nine" aus holzschnittartigen Charakteren gebaut. Von der ersten Minute an werden aus dem disparaten Haufen, der das Revier von "Brooklyn Nine-Nine" bevölkert, klar identifizierbare Stock Characters herausgearbeitet und fertig ausformuliert angeboten: Da gibt es den "schusseligen" Nerd-Typen – dargestellt vom wunderbaren, froschgesichtigen Joe Lo Truglio, der für klamaukige Körper-Comedy prädestiniert scheint. Des Weiteren: Die toughe und streetsmarte Rosa Diaz – Polizistin lateinamerikanischer Herkunft mit rüdem Umgangston. Die streng nach Regelwerk agierende Amy Santiago im akkurat gebügelten Hosenanzug, die im ständigen beruflichen Wettstreit mit Peralta steht. Es ist davon auszugehen, dass es hier zu romantischen Verwicklungen kommen wird.

Gegenpol zu Sambergs hyper-juvenilem Jack Peralta ist der tatsächlich herausragende Andre Braugher in der Rolle des linientreuen Captain Ray Holt. Mit stoischem Ernst fordert Holt Disziplin und Gemeinschaftsspirit. Er ist dabei nicht schindender Antagonist, sondern wohlmeinender Erzieher mit strenger Hand und eisernen Prinzipien. Als offen Homosexueller war sein Weg in eine hohe Position innerhalb des Polizei-Apparats ein steiniger, nun will Holt zuvorderst, dass der Job mit Würde und Respekt erledigt wird. Er meint es gut, über Ausgrenzung und das Abweichen von irgendwelchen angeblichen Normen weiß er Bescheid. Wie Andre Braugher hier mit gefrorener Miene, die dem Wort "Deadpan" neue Dimension verleiht, ungerührt in spitze, unterschwellige One-Liner gleitet, ist bislang das Alleinstellungsmerkmal von "Brooklyn Nine-Nine" – einer unterhaltsamen, oft gar richtig witzigen und, so der Eindruck nach drei ausgestrahlten Episoden, allzu genau nach den Kapitelüberschriften des Lehrbuchs gearbeiteten Serie.

Möglicherweise ist die in "Brooklyn Nine-Nine" vollzogene überschnelle Etablierung aller Charaktere samt all ihrer Merkmale jedoch bloß eine Finte; eine Startrampe, die so in Zukunft umso dramatischere und unerwartete persönliche Wandlungen und Stürze von ungeahnten Höhen ermöglichen soll.

In erster Linie geht es in "Brooklyn Nine-Nine" also nicht um das Lösen spannender Kriminalfälle, sondern um Büroalltag, die gute, alte zwischenmenschliche Interaktion und auch – ganz leise – amouröse Avancen. Zwischen dem ungeschickten, leicht trotteligen und nicht unbedingt den Begriff "cool" definierenden Charles Boyle (Joe Lo Truglio) und der ruppigen Rosa Diaz (ostentativ spröde und mürrisch: Stephanie Beatriz) entspinnt sich eine Odd-Couple-Beziehung, die das Duo April-Andy aus "Parks and Recreation" spiegelt.

"Brooklyn Nine-Nine" lebt von einem leichten, fast schon 80er-Jahre-haften Ton, der in seiner Unbeschwertheit momentan ziemlich alleine dasteht. "Boshaft" oder – argh – "herrlich böse" ist hier nichts. Die Quirkiness ist als Standard etabliert. Was sich jetzt schon abzeichnet, ist der Umstand, dass hier unter der easy-going Witz-Ebene eine Art Entwicklungsroman leicht verständlicher Machart am Entstehen ist. Wie man im Team aufgeht, wie man zusammenarbeitet und – lebt – und dabei seine höchsteigene Identität mit allen Macken behält – davon handelt diese altmodische Serie.