Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die Leichtigkeit des Scheins"

Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

3. 10. 2013 - 18:12

Die Leichtigkeit des Scheins

Herbst ist Premierensaison für Schi- und Snowboardfilme, die Botschafter der Lässigkeit.

Abseits von Metern und Sekunden
Ein wöchentlicher Überblick über sportliche Entwicklungen und anstehende Veranstaltungen.

Vorfreude ist im Ablauf der Jahreszeiten ein zutiefst antizyklisches Gefühl. So kommt es, dass man sich mitten im Sommer schon auf den Winter und auf Schnee freuen kann. Wenn im Oktober dann die Temperaturen fallen, wird die Vorfreude auf den Winter noch durch dutzende Schi- und Snowboardfilme befeuert, die alle im Herbst ihre Premieren feiern.

Die Bilder der Profis, die mit unglaublicher Leichtigkeit ihre Tricks in unverspurten Tiefschnee zaubern, verleiten dann leicht zu einem Wochenendausflug auf den Gletscher oder zu einem Abstecher in das nächste Sportgeschäft, um das Material für die neue Saison zu begutachten. So funktioniert das Rad der Industrie.

Snowboarder springt über Baumstumpf

Pirates Movie Production

ProtagonistInnen der Leichtigkeit

Für die meisten AthletInnen sind die Videos, die jetzt anlaufen, ein zentraler Bestandteil ihrer Arbeit, wenn man ihr Profi-Sein so nennen darf. Denn sie alle sind abhängig von Sponsorengeldern, die nach Aufmerksamkeit vergeben werden. Die gibt es einerseits für gute Contestergebnisse (die allerdings einer recht kleinen Gruppe vorbehalten sind) oder für Präsenz in Magazinen und Filmen.

Den Pros fällt dann die Aufgabe zu, ihren Sport attraktiv darzustellen, weshalb auch alles, was sie machen, so einfach und locker aussieht, egal ob sie Triple Corks im Park machen oder die steilsten Wände runterfahren. Die ganze Arbeit, die hinter den Aufnahmen steckt, wird hinter makellosen Bildern versteckt, dabei sind die Video-Crews meist ein ganzes Jahr lang mit einer Produktion beschäftigt.

Letztes Jahr durfte ich eine der bekanntesten heimischen Snowboardfilmcrews, die Pirates Movie Production aus Innsbruck, begleiten, als sie mit Marco Feichtner und Werni Stock drehen waren. Was davon hängen geblieben ist, dass im Durchschnitt ein Trick pro Drehtag Eingang in einen Pirates-Film findet. Solch ein Qualitätsanspruch lässt sich natürlich nur bei dementsprechend hohen Budget durchhalten.

Distorted Reality Tourdaten:

  • 3.10. Haydn-Kino, Wien
  • 4.10. Hintertux-Opening, Tux
  • 11.10. PPC, Graz
  • 14.10. Kaunertal-Opening, Feichten
  • 25.20. Conrad Sohm, Dornbirn

Die wirtschaftliche Situation für die Produktionsfirmen ist alles andere als rosig, doch die Nachfrage nach Schi- und Snowboardvideos scheint ständig zu steigen. Jedes Jahr treten neue Extremsportfestivals auf den Plan und alle finden ihr Publikum, vermehrt auch im städtischen Bereich.

IF3 Freeski Film Festival

Zu den etablierten Film Festivals im Freeski-Bereich zählt das IF3 Freeski Film Festival. Die Organisatoren vergleichen es gern mit den Filmfestspielen von Cannes, weil hier viele ganz große Produktionen ihre Premiere feiern, präsentiert von den Stars der Szene und die Preise, die das IF3 vergibt, ähnlich begehrt sind wie die Palme d'Or für den Spielfilmbereich. Seinen Ursprung hat das IF3 in Montreal in Kanada, seit letztem Jahr gibt es aber auch einen IF3 Ableger in Innsbruck, der dieses Wochenende auf seinen Höhepunkt zusteuert. Über 30 internationale und lokale Freeski-Produktionen werden dort gezeigt.

Herausragend aus cinematographischer Sicht und zurecht mit dem Preis für den besten Film beim IF3 ausgezeichnet ist "Into the mind" von Sherpas Cinema. Die Story baut hier scheinbar auf einer klassischen Erzählung auf: Mann kämpft gegen Berg/Mann verliert gegen Berg/Mann kehrt zurück und kann den Berg im zweiten Anlauf bezwingen. So simpel ist es dann doch nicht, aber es ist nicht die Story, die bei "Into the mind" einen bleibenden Eindruck hinterlässt, sondern die Arbeit hinter der Kamera. "Into the mind" ist ein Schneeporno mit Universum Material. Western-Sound unterstreicht die Cinemascope-Bilder und zahlreiche Match-Cuts erzeugen die Wow-Momente, die den Puls hochtreiben. Extrem viel Geld wurde in Helikopter-Flüge und Postproduction investiert.

Der Film hält alles, was der Trailer verspricht

Junkies on Low Budget

Da heimische Produktionen beim Budget nicht konkurrieren können, müssen sie auf Kreativität setzen. Die Distillery aus Innsbruck lädt etwa verschiedene Video Crews ein, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie können sich auf ihrer Webseite mit einem Konzept bewerben und werden dann mit einem Budget ausgestattet, mit dem sie einen eigenen, 5-6 minütigen Edit produzieren können. "Junkies on a Budget" nennt sich das Projekt, das die einzelnen Episoden dann mit einer Spielfilmhandlung verbindet.

Die Ski-Action in "Junkies on a Budget: Satori" ist ziemlich abwechslungsreich, in Salzburg wird eine Quarterpipe mit Visuals bespielt, in Finnland werden die Straßen mit einem Bungeeseil unsicher gemacht, von Park über Backcountry, Freeride und Street sind alle Freeski-Spielarten vertreten.

Überhaupt findet wohl jeder Skifan beim IF3 seinen oder ihren Lieblingsfilm: Fans von Rails und Obstacles sei etwa "Partly Cloudy" von Level 1 Productions ans Herz gelegt, wer auf Storytelling steht wird bei "Valhalla" fündig werden. Einzig Frauen sind am IF3 wenig präsent, doch hier sorgt Sandra Lahnsteiner für einen Ausreißer: "Shades of Winter" heißt ihr Film, für den sie einige der besten Frauen im Skizirkus versammelt hat.

Inspiration für die Szene

Dass es zu kurz gegriffen ist, Schi- und Snowboardfilme einfach als Marketingtools für die Industrie zu sehen, zeigt die Entwicklung der Szene in den letzten Jahren. Durch billigeres Equipment produzieren immer mehr junge Menschen selbst Videos, ohne irgendeinen kommerziellen Gedanken zu verfolgen, rein um ihren Vorbildern nachzueifern. "Stammtisch" der Innsbrucker Freeski-Crew etwa hat bei den IF3 Awards den Preis für den besten Amateurfilm gewonnen. Ein Zitat aus ihrem Teaservideo legt wohl am besten dar, worum es ihnen bei den Videoproduktionen geht:

"Jetzt kommen sie wieder. Reden über's Schifahren. Der eine war dort, der andere war da. Überall waren sie verteilt. Hauptsache es schneit und es ist saukalt."

Der Kern der Freeski- und Snowboardkultur sind gemeinsame Erlebnisse und die Geschichten dazu. Sie stiften Zusammenhalt und bringen den Sport voran. Videos und Filme bringen eine größere Öffentlichkeit, aber es geht immer noch um's Gleiche: G'schichtldrucken am erweiterten Stammtisch.