Erstellt am: 7. 10. 2013 - 11:18 Uhr
Ich möchte Teil einer Horde sein
"Sehr erfreut, ich bin Julia", begrüßt mich eine säuselnde Computerstimme via Kopfhörer. Ich habe mich mit etwa fünfzig anderen im Liechtensteinpark in Wien eingefunden. "Legen Sie sich auf die Wiese, schließen Sie die Augen. Genießen Sie die Natur", werde ich aufgefordert.
FM4/Irmi Wutscher
Ab jetzt, heißt es, werde ich Teil einer Horde sein, einer Gruppe, in der zwar alle individuell sein wollen, aber trotzdem gemeinsam funktionieren.
Unter Einfluss der GPS-Stimme
"Remote Wien" von Rimini Protokoll findet am 7., 8., 9., 10., 11., 14. und 15. Oktober jeweils von 17:30 bis ca. 19 Uhr in Wien statt. Weitere Infos und Tickets gibt's auf der brut-Homepage.
Julia ist ein Computer. Sie hat selbst zwar keine Gefühle, ist aber darauf programmiert unsere Gefühle vorwegzunehmen und unsere Wahrnehmung zu lenken. "So eine Art GPS-Stimme, die darüber philosophiert, wie es wäre, wenn sie sich immer weiter in den Lebensbereich von Menschen in der Stadt einschreibt und man sich immer weiter abhängig macht davon, was einem so eine Stimme erzählt", sagt Jörg Karrenbauer vom Künstlerkollektiv Rimini Protokoll, der "Remote Wien" inszeniert hat.
FM4/Irmi Wutscher
Angeleitet von der stets freundlichen Computerstimme bewege ich mich mit der Gruppe durch die Stadt. Mal sollen wir nur schauen, unsere Umwelt anders betrachten. Wir beobachten durch ein Fenster Kinder beim Karatetraining oder sehen den Überwachungskameras in der U-Bahn bei ihrer Arbeit zu.
Mal machen wir auch selber etwas: Ballettübungen an einem Geländer, gehen unauffällig als KonsumentInnen durch ein Kaufhaus oder marschieren stumm demonstrierend durch die U-Bahn-Station Karlsplatz.
Mensch und Maschine
"Remote Wien" soll aber kein angeleiteter Flashmob sein, meint Jörg Karrenbauer: "Vielleicht ist das Aktionistische in Wien ein bisschen in den Vordergrund getreten, weil wir einfach so viele architektonische Besonderheiten vorgefunden haben, mit denen wir etwas machen mussten!"
FM4/Irmi Wutscher
Neben dem Aktionismus geht es nämlich um einen philosophischen Hintergrund: Das immer enger werdende Zusammenspiel von Mensch und Maschine: "Die Technologie wird immer näher an den Menschen rücken, irgendwann wird man sie auch gar nicht mehr sehen, sondern es wird irgendwo implantiert sein. Insofern ist das der Versuch, ein bisschen so eine Utopie anzudeuten oder vorwegzunehmen."
Manches davon ist ein wenig banal. Zum Beispiel wenn über die Kopfhörer getragene Musik kommt und Julia behauptet: "Du bist jetzt sicher traurig, ich weiß, ihr Menschen werden bei langsamer Musik traurig." Naja. Nicht so auf Knopfdruck.
Große Gefühle
FM4/Irmi Wutscher
Irgendwelche Gefühle löst der Spaziergang aber trotzdem aus. Ich fühle mich träge, trotte der Gruppe hinterher. Andere TeilnehmerInnen berichten ähnliches: Passiv und gesteuert hätten sie sich gefühlt. Teilweise auch wütend, weil ihnen permanent Gefühle unterstellt wurden.
Auf der anderen Seite aber ergeben sich durch die gemeinsamen Wahrnehmungsübungen auch viele besondere Momente: Zum Beispiel, wenn alle in einem Halbkreis an einem U-Bahneingang sitzen und die Menschen, die hier kreuz und quer ihrer Wege gehen, als ein großen inszeniertes Theaterstück betrachten. "Ich fand es schön, Wien so kennen zu lernen", meint eine Teilnehmerin, die erst seit Kurzen hier wohnt. "Ich habe sehr viele schöne Bilder mitnehmen können!"
FM4/Irmi Wutscher