Erstellt am: 2. 10. 2013 - 12:05 Uhr
Kein Schiff wird kommen
Am San Francisco Chronicle bot sich gestern ein gar düsteres Bild am Cover: Hunderte Menschen warten auf die Fähre nach Alcatraz. Bloß, kein Schiff wird kommen. Alle warten umsonst. Nachdem die Verhandlungen über das Budget gescheitert sind, stehen in den USA viele Büros leer und auch die Schiffschrauben still. Denkmäler sind verwaist, Nationalparks verlassen. Pech für diejenigen, die ihr Kaffeehaus ausgerechnet nahe eines Naturdenkmals besitzen. Auch hier herrscht dank ausbleibender BesucherInnen Flaute.
Hunderttausende Staatsbedienstete sind seit Dienstag im unbezahlten Zwangsurlaub, 169.000 davon in der Bay Area. Kein Alcatraz in San Francisco, kein Camping im Yosemite Nationalpark und keine schöne Aussicht auf die Golden Gate Bridge von Fort Point aus.
Leaflet
Die Effekte des ersten Shutdowns seit 17 Jahren haben natürlich viel dramatischere Ausmaße, als bloß ein paar enttäuschte Touristen. Zum Beispiel betrifft der partielle Shutdown auch das "Food Assistance Program": spezielle Nahrungsmittel und Vitaminpräparate, die an Frauen und Kinder gratis bzw. vergünstigt ausgegeben werden. Neun Millionen einkommenschwache Frauen und Kinder wissen nicht, wo sie in den kommenden Tagen ihre Mahlzeiten herbekommen und wie lange dieser Zustand anhält.
Ein paar enttäuschte Touristen, die überraschend innerhalb von 48 Stunden ihre Campingplätze im Yosemite verlassen müssen, klingen da weitaus weniger schlimm. Ebenso wie eine nicht stattfindende Bootsfahrt. Trotzdem, hier ein kleiner Lokalaugenschein am Pier in San Francisco.
Alexandra Augustin
Peter und seine Frau Chagit stammen aus Israel und leben seit einigen Jahren in den USA. Der Trip nach Alcatraz hätte ein besonderer Ausflug werden sollen, für die Bootsfahrt inklusive Führung haben sie knapp 80 Dollar bezahlt. Schon am Weg zum Pier lerne ich die beiden in der Straßenbahn kennen - sie schimpfen laut und hoffen darauf, wenigstens eine Entschädigung zu bekommen. Ihnen geht es aber nicht nur um die verpatzte Tour, sondern auch um "Obamacare", dass rund 45 Millionen Menschen in den USA nicht versichert sind, welche Veränderungen das Land braucht. Der ganze Ärger wird postuliert. Die nicht stattgefundene Alcatraz-Tour ist da nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Zwei junge Französinnen sind ebenfalls enttäuscht, "den ganzen Weg von Paris auf sich genommen zu haben, um dann eben nicht Alcatraz sehen zu können". Und eine Bayrische Familie war schon einmal hier und schwärmt von der Zelle, in der angeblich Al Capone gesessen ist.
"Naja, so schlimm ist der Shutdown und dass kein Schiff fährt ja auch nicht. Dann gehen wir eben ein bisschen bummeln!"
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Alexandra Augustin
Geld zurück oder eine Ersatztour machen - das ist möglich. Man kann mit der Fähre einmal rund um die Insel herumschippern, als kleiner Trost und zur Ablenkung vom großen Budget-Problem. Die "Alcatraz Cruises", die Firma, die Fähren zur ehemaligen Gefängnisinsel operieren, unterliegt nicht dem "National Park Service", sondern ist eine privatisierte Tochterfirma. Daher arbeiten die Menschen am Pier, im Souvenir-Shop und auf dem Schiff trotzdem. Bloß auf der Gefängnisinsel anlegen, das geht nicht.
Im verwaisten Coffeeshop am Hafen sind schon die Tauben eingezogen und machen sich über die Brösel aus besseren Zeiten her.
Alexandra Augustin
Denise Rasmussen, Pressesprecherin und Marketingchefin der "Alcatraz Cruises", ist auch überascht vom Shutdown, auch wenn man seit einer Woche "irgendwie damit gerechnet hatte". Die Bootstour heute war trotzdem ausverkauft - 5.000 Tickets wurden im Vorfeld verkauft und somit sitzen 5.000 Menschen heute auf dem Trockenen. Die Stimmung vor dem Ticket-Container ist aber trotzdem entspannt. Schnell Geld zurück holen, weiter geht's.
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Alexandra Augustin
Etwas wütender geht es einstweilen in Berkeley vor der berühmten Elite-Universität zu. Die Meinungen der ProfessorInnen und Studierenden sind da schon radikaler als am Hafen, und eine junge Studentin bringt es mit einfachen Worten auf den Punkt. Wie könnte eine Lösung für das große US-Budgetproblem aussehen?
"Having people talk without throwing out these really harsh things, like filibusters and shutting it all down. Whatever the solution is, it should be to work within the current system and not to stop it!"
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Wie lange der Government Shutdown anhält, weiß momentan noch keiner, bis zu 300 Milllionen kostet er jedenfalls pro Tag. Eine Einigung auf ein Übergangsbudget ist auch heute weiter nicht in Sicht. Ein Kompromiss scheiterte gestern zwischen Demokraten und Republikanern.
Wann das nächste Schiff nach Alcatraz fährt, ist nicht abzusehen. Die Pressesprecherin der "Alcatraz Cruises", Denise Rasmussen, meint, auch sie wird es wohl frühestens aus den Nachrichten erfahren, wann auf der Insel wieder Besucher erwünscht sind. Einstweilen darf man dafür ganz sorglos und umsonst die Palmen vor dem Ferry Building bewundern, beim bummeln am Pier. Auch schön.
Alexandra Augustin