Erstellt am: 1. 10. 2013 - 11:04 Uhr
I love you, but I've chosen Disco!
Artist Of The Week
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Der Moment, wenn man seinen Ohren nicht traut. Überraschung setzt ein, ein Grinsen macht sich breit. Echt, so klingen Camo&Krooked jetzt? Ein Meteoritenhagel aus Assoziationen setzt ein: Michael Jackson, Daft Punk, Minnie Riperton, Air, Quincy Jones, Chic, Laurent Garnier, Trentemøller, Justice, Nathan Fake,…
Bang! Diese wuchtigen Referenzgrößen lassen das Trommelfell nicht unbeeindruckt. Camo&Krooked haben sich gewaltig verändert und sind sich trotzdem treu geblieben. Sie sind erwachsen geworden.
Zwischen Salzburg und St. Pölten
2010 haben der Salzburger Skateboard-Pro Reinhard "Camo" Rietsch und der aus St. Pölten kommende Markus "Krooked" Wagner ihr erstes Album "Above and Beyond" auf dem heimischen Label Mainframe Recordings herausgebracht. Ein Jahr später waren sie schon bei dem großen, britischen Drum'n'Bass Label Hospital unter Vertrag und zählen seitdem zu den Stars der Szene.
Bei Hospital ist jetzt auch ihr drittes Studioalbum "Zeitgeist" herausgekommen. Es markiert einen Wendepunkt, denn von nun an können sie ihren Fans und Drum'n'Bass-Puristen "I love you, but I've chosen disco" ins Stammbuch schreiben.
Tiefenrausch Photography / Camo&Krooked
Während sich einige Aushängeschilder der jungen britischen Drum'n'Bass-Garde in cheesige, chartstaugliche Pop- und Dubstep-Gefilde verabschiedet haben und der ravende Rest im Wettlauf um die fetteste Bassline stagniert, haben sich Reinhard Rietsch und Markus Wagner erst einmal zurück gezogen, tief durch geatmet und dann zum Sprung in die Vergangenheit angesetzt, zurück zu den Wurzeln der Clubmusik: Disco, Funk und Soul. Dabei polieren sie die Patina mit flinken und geschickten Handgriffen, ohne die Originalsubstanz, die Seele der Musik zu verletzen und betten sie in zeitgeistige Drum'n'Bass-Produktionen.
Zeitgeist
Und da wären wir auch schon beim Titel "Zeitgeist". So heißt nicht nur ein unter ferner liefen rangierendes Smashing-Pumpkins-Album, sondern auch eine mit Verschwörungstheorien gespickte dreiteilige Dokumentation von Peter Joseph. Aber damit haben Camo&Krooked nichts am Hut:
"Am Anfang waren wir auch eher skeptisch, denn der Titel war ein Vorschlag vom Label, der uns eben wegen diesen Zeitgeist-Dokumentationen gar nicht so gefallen hat. Aber dann haben wir weiter geforscht, die Definitionen gelesen und die waren dann total zutreffend für das, was wir sagen wollten. Wir haben ja viele Einflüsse aus gewissen Zeiten genommen und mit dem Zeitgeist der heutigen Musik verbunden und dadurch etwas Neues geschaffen. Und was auch noch cool ist, dass Zeitgeist auf Englisch dasselbe Wort ist. Und da wir auch ein Brückenkopf zwischen deutschsprachig und englisch, Österreich und England sind, war das einfach perfekt."
"Zeitgeist" ist ein Konzept-Album, bei dem jede Nummer auf die vorherige aufbaut. Die ersten 2/3 der Platte zeigen die neue, ungewohnte Seite von Camo&Krooked: frischer und experimenteller Sound, bei dem Drum'n'Bass-Rhythmen von organischen Funk-Grooves und Studio-54-Vibes assimiliert werden. Das letzte Drittel ist dem gewohnten Drum'n'Bass-Sound der Beiden vorbehalten, von dem sie sich in Zukunft allerdings lösen wollen.
Camo&Krooked
Die Zeitreise durch die Musikgeschichte beginnt mit dem programmatischen Titel Turn Back the Time:
"Wir sind auf die ganzen aktuellen Trends, die gerade im EDM vorkommen, überhaupt nicht eingegangen. Wir haben wirklich darauf geschaut, unser eigenes Ding zu machen, um uns somit auch von der Masse abzusetzen", erklärt Reini, und Markus ergänzt: "Der Haupteinfluss bei diesem Tune war eigentlich Michael Jackson."
Der Geist des toten King of Pops wird nicht nur hier zum Leben erweckt: Bei "Loving You Is Easy" kann man ihn förmlich atmen hören. Diese samtig weiche Soul-Nummer ist für Camo&Krooked absolut untypisch, nichts desto trotz einer der größten Hits des Albums. Gespannt darf man auf die Reaktionen des Publikums sein, wenn dieses Stück Seelenmusik während eines Drum'n'Bass-Sets aus den Boxen perlt. Endlich wird man die Jubelschreie am Dancefloor tatsächlich wieder hören können!
Roter Faden
Camo&Krooked live:
Samstag, 26. Oktober - Pressure Festival, OÖ
Samstag, 23. November - Postgarage Graz
Samstag, 30. November - Dogana, Innsbruck
Freitag, 7. Dezember - Mainframe, Arena Wien
Freitag, 13. Dezember - Warehouse, St. Pölten
Für den roten Faden auf dem Album sorgen Zwischenstücke, sogenannte Interludes, die die Tonalität, das Tempo und den Rhythmus zwischen den einzelnen Nummern angleichen. Bestes Beispiel hierfür ist Journey Through Sound. Diese Reise startet mit einem Vocoder-Intro, das uns eine Geschichte, ähnlich wie in Daft Punks Giorgio by Moroder erzählt und danach zielsicher auf Nathan Fake The Sky was Pink zurast. Bevor wir am rosa Firmament zerschellen, fangen uns die hymnischen Stimmen eines Kinderchors vom Kilimandscharo auf.
Diesen Kinderchor hört man dann auch auf Aurora feat. Metrik, wo er quirlig auf einem wabernden Drum'n'Bass-Pattern herumspringt wie auf einem Trampolin. Blaupause für diese Nummer war ganz klar The Man With The Red Face von Laurent Garnier. Die Rechte für dieses musikalische Zitat hat das Label geklärt, erzählen Reini und Markus im Interview:
"Das ist alles geregelt. Es ist jetzt nicht so, dass das jetzt ein Rip-Off wäre, aber es ist halt stark davon beeinflusst. Aber solange das Ergebnis gut ist und man es richtig macht, finden wir das immer cool."
Ruhepuls
"Aurora" bäumt sich auf wie eine gigantische Welle vor dem kalifornischen Mavericks, die nach vier Minuten in sich zusammen fällt und die Gischt in der zeitlos schönen Nummer "Ruhepuls" entlädt. Die episch anmutende Liquid-Drum'n'Bass-Nummer besticht mit seiner knisternden, melancholischen Atmosphäre und zählt zu den persönlichen Lieblingsnummern des Duos:
"Weil sie so einfach gestrickt ist und trotzdem macht, was sie machen soll. Dieser Track war beeinflusst von Trentemøller und Bodzin, eben diesen Minimal-Geschichten, aber wir wollten trotzdem diesen Vintage-Soulful-Vibe beibehalten, der auch in anderen Tracks vorkommt. Deshalb das Piano, das wir voll aufblasen und nur mit der Quintessenz des Tracks droppen lassen. Das ist ein ganz minimaler Drop, wie er damals in der klassischen Musik eingesetzt wurde. Und wir haben uns gedacht, wir können das vielleicht auch im Drum'n'Bass umsetzen."
Die nahtlosen Übergänge durch die Interludes lassen "Zeitgeist" wie ein abwechslungsreiches Mixtape erscheinen, das mit seiner Vielfalt nicht nur Drum'n'Bass-Fans gefallen wird.
Den Weg, den Camo&Krooked auf "Zeitgeist" eingeschlagen haben, wollen die beiden konsequent weiter verfolgen: "Unsere Zukunftsrichtung wird eher in die deepe und minimale Richtung gehen und wir freuen uns schon auf unser nächstes Projekt."
Mehr haben Reinhard Rietsch und Markus Wagner noch nicht verraten, nur so viel: sie lernen jetzt echte Instrumente, um ihren Sound noch organischer werden zu lassen.
Zweifelsfrei ist "Zeitgeist" das überraschendste und originellste Drum'n'Bass-Album des Jahres. Es glänzt durch die Dualität, nicht auf den Dancefloor abzuzielen und dennoch dort funktioniert. Camo&Krooked haben ihrer eigenen Handschrift noch mehr Schwung verliehen und Markus "Krooked" Wagner hat vollkommen recht, wenn er sagt: "Ich glaub, wir haben unsere Aufgabe gut erfüllt, ein Drum'n'Bass-Album zu machen, bei dem die Leute sagen: Wo ist eigentlich der Drum'n'Bass auf eurem Album?".