Erstellt am: 27. 9. 2013 - 21:30 Uhr
Die Reise ins Ich
Tickets zu verlosen!
Vergangenheit muss man manchmal hinter sich lassen. Wieviele DIN A4-Zettel haben wir für diesen Haufen zerrissen?
Radio FM4
Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir nochmals 15x2 Tickets für die Kinopremiere von "Camille Redouble", heute um 20.00 im Filmcasino Wien, Margaretenstr. 78, 1050 Wien.
Die Verlosung ist bereits vorbei, die richtige Antwort war sechs. Die GewinnerInnen wurden per Mail verständigt.
Die Reise ins Ich
Im Viennale Katalog vom letzten Jahr hab ich ihn eingekringelt, mehrmals sogar, gesehen hab ich ihn dann aber nicht, den Film, der so vielen, die mir davon erzählt haben, ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat: "Camille Redouble". Nun, Gut Ding braucht Weile, sagt man, und Gut Filmverleih eben auch.
Jetzt, fast ein Jahr später, kommt Noémie Lvovskys leicht melancholische Komödie auch regulär in die Kinos. Lvovsky hat auch am Drehbuch mitgeschrieben und die Hauptrolle übernommen. Gleich zu Beginn sehen wir wie ihrer Figur Camille die Kehle durchgeschnitten wird - am Set eines Horrorfilms. Camille schlägt sich mit kleinen Schauspielrollen durchs Leben, doch viel mehr schlägt grad das Leben auf sie ein. Die große Jugendliebe Eric, mit dem sie 25 Jahre lang verheiratet war, hat sie für eine jüngere Frau verlassen und Camille trinkt zuviel. Was genau davon zuerst passiert ist, man weiß es nicht und es ist unerheblich.
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Nach dem Besuch bei einem Uhrmacher (Jean-Pierre Leaud), der, wenn man ihn noch schrulliger gestaltet hätte durchaus Terry Gilliam-Film-fähig gewesen wäre, landet Camille auf einer Silvesterparty, tanzt mit ihren Freundinnen zu "I'm walking on sunshine" (ein Song, der mir _immer_ die Eislaufszene aus dem zweiten "Otto"-Film in Erinnerung ruft) und wirft ihren Ehering aus dem Fenster.
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Flashdance und Walkman
Als sie am Morgen erwacht, erwacht sie in einer Welt, die sich am Walkman erfreut und Nena hört. Es ist 1985. Und es ist sogar so sehr 1985, dass in Camilles Jugendzimmer gleich zwei Bilder von Jennifer Beals in "Flashdance" hängen. Dessen Titelsong "What a feeling" beschreibt wohl auch ganz gut, wie es Camille geht. Ihre - in der Gegenwart - längst toten Eltern holen besorgt ihre Teenagertochter aus dem Krankenhaus, die in der Silvesternacht zuviel getrunken hat.
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Camille wird auch im Jahr 1985 immer noch von Lvovsky gespielt, ein wenig weniger zerzaust und angeschlagen als in den ersten Szenen in der Gegenwart, aber immerhin eindeutig kein Teenager mehr. Das sehen aber nur wir und sie so. Für den Rest der Welt, ihre Eltern, Mitschüler, Lehrer, ist sie ein Teenager. Einigen Humor zieht der Film natürlich aus der Diskrepanz zwischen Optik und Verhaltensweise, eine 49jährige Frau mit gepunktetem, ausgestelltem Minirock und einem The Clash-Tshirt, die in einem rosa Bett schläft, das sorgt für amüsante Bilder. Es ist aber Lvovskys Spiel, der den Reiz von "Camille Redouble" ausmacht, wie ihre Figur pendelt zwischen dem Wissen um ihr tatsächliches Alter, die ungläubige Freude, nochmal Zeit mit den Eltern zu verbringen und der nicht zu unterschätzende Spaß an der Freud, wenn man mit den besten Freundinnen Zeit verbringt. (Das wunderbare Mädchen-Quartett verliert der Film im Lauf der Zeit leider ein bisschen aus den Augen).
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Eric oder nicht Eric
Camille sorgt sich wenig darüber, wie sie in der Vergangenheit gelandet ist, es gibt hier keine Zeitlöcher oder Deloreans, aber existentielle Fragen: Was macht man, wenn man den Ausgang der eigenen Geschichte kennt, aber man Eric trotzdem nicht wiederstehen kann, in seiner gefütterten Jeansjacke? (Ein Problem, dem sich Kathleen Turner in Francis Ford Coppolas "Peggy Sue got marries" ebenfalls stellen musste).
Der Film verzichtet auf den üblichen, Nelson-Muntz-artigen Zeigefinger, mit dem die 1980er üblicherweise inszeniert werden. Hier gibts kein billiges, lautes, spöttisches "Haha" angesichts von Legwarmer oder Schulterpolster, "Camille Redouble" schert sich auch nicht darum, jedem Anachronismus aus dem Weg zu gehen. Mag schon sein, dass "Venus" von Bananarama erst 1986 erschienen ist, aber, warum mit solchen Dingen Zeit verschwenden, wo doch die Zeit so kostbar ist.
Der Film macht das, was viele gerne machen: einen Blick zurückwerfen, auf die eigene Jugend, leicht verklärt wird dann die Jugendzeit zu einer, in der alles möglich war. Umso größer die Ernüchterung, was danach kam. Wo fing es an, was ist passiert? Ein wenig sucht auch Camille ihre Anfänge. Wo liegt der Ursprung dessen, was sie geprägt hat? Sie versucht sich auf der Schultheaterbühne. Der Schauspielerei - ebenso wie Eric - scheint sie nicht aus dem Weg gehen zu können. Ohne das große Wort "Schicksal" zu bemühen, erzählt Lvovsky mit Leichtigkeit und Witz - und mir großartigen Darstellern. In einer kleinen Rolle taucht der große Mathieu Amalric auf, ungewohnt völlig charmebefreit als widerlicher Französisch-Lehrer mit Trillerpfeife. Das kann der also auch, umhimmelswillen, was kann der nicht?
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Der Film erzählt vom Umgang mit der eigenen Vergangenheit, von der vermaledeiten Vergänglichkeit, aber auch vom Grundvertrauen in die eigene Geschichte und die eigenen Entscheidungen. Und schaut dabei so aus, als würden Vic und Matthieu aus "La Boum" jederzeit um die Ecke biegen.