Erstellt am: 26. 9. 2013 - 17:02 Uhr
LoFi reloaded
2013 ist ein gutes Jahr für Indierock-Sentimentalisten. Zur immer länger werdenden Liste von legendären wiederauferstandenen 90er-Jahre Alternative Bands gesellt sich ein weiterer Name: Sebadoh, unbestrittene Pionier- und Referenzgruppe des LoFi-Rock, veröffentlichen ein neues Studioalbum – das erste nach 14 Jahren. Schon im Vorjahr hatte das US-Trio, Ende der Achtziger von Dinosaur Jr. Bassist Lou Barlow gegründet, mit fünf neuen Liedern als Digital-EP überrascht. Nachdem die viel versprechende "Secret EP" diesen Sommer auch auf Vinyl erschienen ist, folgt nun "Defend yourself". Ein unvermuteter Schritt für Sebadoh-Fans, ein logischer für Lou Barlow: "It feels pretty natural, it feels like a logical step, and I'm glad it finally happened", verkündet er per Ferngespräch aus L.A. trocken und erklärt, warum es mit der Veröffentlichung von neuem Material gar so lange gedauert hat: "Es ware eine Frage des Timings und des Geldes, da wir ja alle woanders leben, und ich musste ein Lücke in meinem Zeitplan zwischen den Dinosaur Jr. Tourneen finden."
Was bisher geschah
Als Mitbegründer von Dinosaur Jr. erweist Lou Barlow dem American Underground in den 1980ern schon große Dienste. Noch vor seinem Ausstieg bei Dinosaur Jr. startet er Sebadoh ursprünglich als Ein-Mann-Projekt von seinem Schlafzimmer aus, später wird es mit Drummer Eric Gaffney und dem Multiinstrumentalisten Jason Loewenstein zum Trio ausgebaut. Neben Bands wie Pavement oder Guided by Voices werden Sebadoh zu Vorreitern des LoFi – also Low Fidelity Indie Rock, meist auf Four Track Rekordern aufgenommen. Vor allem die frühen Platten wie "The Freed Weed " stehen im Zeichen dieses DIY-Stils, spätere Alben wie "Bakesale" und "Harmacy" zählen heute zu Indierock-Klassikern. Ende der 90er wird Sebadoh auf Eis gelegt, aber nicht offiziell aufgelöst. Lou Barlow veröffentlicht mehrere Soloalben, startet andere Bandprojekte wie "The Folk Implosion" und steigt 2005 wieder als Bassist bei Dinosaur Jr. ein. Barlow und Loewenstein bleiben über die Jahre hinweg verbunden und touren zeitweise gemeinsam als Duo. 2007 kommt es zu einer Reunion-Tour mit Original-Drummer Eric Gaffney und einigen Reissues alter Platten. Die Zusammenarbeit mit Gaffney erweist sich als untragbar, schließlich wird Bob d'Amico als neuer Drummer engagiert, mit ihm entstehen die "Secret EP" und das aktuelle Album "Defend yourself".
Jens Nordstrom
Soweit, so unspektakulär klingt dieses Comeback, das auch eigentlich keines ist, da sich Sebadoh nie offiziell aufgelöst und zwischendurch Lebenszeichen in Form von Reissues und Konzerten gegeben hatten. Doch gerade bei einer derart genre- und generationsdefinierenden Band sind die Erwartungen groß. Wird man von seinen früheren musikalischen Heroen aufs Neue begeistert oder enttäuscht werden? Lou Barlow ist's einerlei: "Erwartungen spielen keine Rolle. Wenn es welche gibt, werden einige wohl nicht erfüllt werden, vermutlich die meisten. Ich mache keine Platten wenn ich mich nicht total wohl dabei fühle – aber nur weil ich denke, dass etwas gut ist, heißt das nicht, dass andere das auch denken." Also mal auf Play drücken.
Different but same
"Things have changed" konstatiert Lou Barlow mit unverwechselbarer Stimme im Opener Track "I will", nur um gleich darauf festzustellen "I'm still the same". Beide Aussagen sind auch für das neue Album zutreffend: Es ist alles anders und doch gleich.
Zum einen kehrt die Gruppe zum rauen, simplen Sound und dem DIY-Ethos ihrer frühen Werke zurück. Lou Barlow, sein langjähriger Bandpartner in Crime Jason Loewenstein und ihr neu rekrutierter Drummer Bob D'Amico haben das Studio gescheut und in alter Slacker-Manier im Proberaum alles selbst live eingespielt und produziert, unter Verwendung von was auch immer an halbkaputtem Equipment grad so herumlag: "It was just the three of us, in a room together, working on our songs", bringt es Lou auf den Punkt. Einmal LoFi, immer LoFi: "Ich mag LoFi. Es war immer Teil unseres Stils, aber auch eine Notwendigkeit. Ich hasste Studios, ich hasste ihren Sound. Sie machten alles zu sauber und es ist schwer, emotionale Intimität zu erzeugen." Auf die Frage, wie er zum heutigen Einsatz von LoFi mehr als Stilmittel denn als Notwendigkeit steht, meint Lou Barlow angeregt, fast trotzig: ""LoFi wird heute viel mehr akzeptiert, Leute machen super raue LoFi Platten und werden dafür gepriesen. Früher hingegen, als wir das machten, dachte jeder, wir sind faul und wollen uns einfach nicht anstrengen. I think it's a way to sound and I hear that now on fucking number one hit songs." Und doch ist trotz aller Intention, so wie früher zu klingen, Sebadohs zehnte Platte klanglich sauberer, elaborierter, reifer geraten. LoFi 2.0 wenn man so will oder wie es im Song "Let it out" sehr schön heißt: "The promise of a new familiar way."
Sebadoh
Scheitern als Dauerzustand
Nicht verändert hat sich Sebadohs unheimliches Talent für punktgenaue, aufrichtige Texte über Heartbreak and Breakups, getränkt in Traurigkeit, überflutet mit Hoffnung.
"I didn't want to say no to myself again. I didn't want to let you slip away. So I told you how I feel. And you told me how you feel. And that is why we're lying here today."
Auf "Defend yourself" arbeitet Lou Barlow das Ende seiner 25-jährigen Ehe und den Beginn einer neuen Beziehung auf – und bleibt damit seinem frühen Credo treu, die wirklich unangenehmen Momente des Lebens in der Musik widerzuspiegeln. Fast beschämt meint er: "Es ist bemerkenswert wie wenig ich mich entwickelt habe im Laufe der Jahre. Manchmal denke ich, ich sollte poetischer sein, oder mehr Metaphern in meinen Songs verwenden, aber wenn ich nicht direkt ausspreche was ich fühle, kann ich mich am Ende an das Stück nicht mal erinnern." Es ist diese entwaffnende Ehrlichkeit, die einen mit einer Band wie Sebadoh über die Jahre hinweg verbunden bleiben lässt. Honesty never goes out of style.
Und so gesteht Lou Barlow in "State of mine", seiner Hymne aufs Scheitern: "Failure is a state of mine". Und erklärt: "Das ist ein fast inspirativer Song für mich. Ich meine, hier bin ich, 47 Jahre alt, und noch immer quäle ich mich herum, fühle mich schlecht und als sozialer Außenseiter. Okay, ich habe jetzt Kinder und es gibt Ebenen von Selbstmitleid auf die ich mich nicht mehr begeben werde, aber es ist immer noch hart". Schonungslose Geständnisse und Eingeständnisse also, im Gespräch und in den Songtexten.
Sebadoh
Schizophrenes Monster mit großem Herz
Das neue Album sieht Lou Barlow allerdings nicht als gescheitert an, im Gegenteil: "Ich bin sehr happy mit der Platte, sie fühlt sich sehr komplett an und hängt konzeptuell sehr schön zusammen." Und doch verortet er bei Sebadoh viele Zwischenräume und Einschränkungen: "Jede einzelne unserer Platten gerät immer irgendwie außer Kontrolle, es gibt nie einen gemeinsamen Zugang, eine Sache auf die wir uns verlassen können."
Nun ja, Stringenz war noch nie eine Kategorie im Sebadoh-Sound, schon allein deswegen, weil sich Lou Barlow und Jason Loewenstein beim Songwriting und hinterm Gesangsmikro abwechseln. Loewensteins ungeschliffener Nineties-Grungerock und aggressive, disharmonische Instrumentalausbrüche gehen jedoch wunderbar Hand in Hand mit Barlows sensiblen, kraftvollen Emo-Momenten und bittersüßen Melodien. Mit "Defend yourself" entpuppt sich Sebadoh einmal mehr als schizophrenes, liebenswertes Soundmonster mit großem Herz, so wie das – von Lou Barlow handgezeichnete – auf dem Albumcover. Aus vollem Fanherzen lässt sich sagen: Sebadoh sind 2013 ohne jegliche Sentimentalitäten glorios wie immer und lebendig wie noch nie.