Erstellt am: 25. 9. 2013 - 17:23 Uhr
Diary of Damage
Es gibt weniger und weniger Werke, die der persönlichen Geschichte angehören und an denen wir aber auch erkennen können, dass wir einer Generation angehören, eine übersetzbare Sprache von Begehren und Verzweiflung sprechen, gemeinsame Referenzen und musikalische Orte haben, in denen wir existieren. Für mich ist "In Utero" eines der letzten Alben, das diese Qualität hat, umso verwunderlicher, dass es ein Album ist, das von Zerfall und Entfremdung geprägt ist. In physischer, psychischer und sozialer Hinsicht.
Es ist das dritte und letzte Album von Nirvana. Bei seinem Erscheinen wurde es "ein von Grund auf verwirrtes Album" genannt. Es ist nicht "Nevermind zwei" und es ist auch nicht ein Ausbruch an destruktivem Selbsthass. "In Utero" ist zu einer Zeit entstanden, als Kurt Cobain gezeichnet war von Überdosen, Krankenhausaufenthalten, dem Wunder der Reproduktion und seiner Ehe mit Courtney Love. Eine Platte zwischen Geburt und Tod, Hochzeit und Koma.
nirvana
Das von Cobain gestaltete Backcover des Albums ist voll von Referenzen an Tod, Geburt, Entäußerung, Drogen, herausfallenden Eingeweiden. Sieht man sich allerdings alte Interviews mit Nirvana an, stellt man fest, dass Cobain immer wieder darauf hinweist, dass dieses Album kein Tagebuch ist, nicht so persönlich wie die Welt es gerne hätte. "In Utero" ist streckenweise ein „ medizinisches“ Album, meint er.
Eine Abkehr vom Privaten ist möglicherweise auch der Name "In Utero". Der ursprünglich geplante Titel war: "I hate myself and want to die". Eine Antwort, die Cobain angeblich zu dieser Zeit jedem gab, der sich nach seinem Befinden erkundete.
nirvana
Das Jahr war 1993, Musik, insbesondere Hip Hop, für die Missstände die thematisiert wurden, verantwortlich zu machen, stand hoch im Kurs bei Jugendschützern. Alben wurden mit Warnstickern beklebt und Kaufhausketten, die Waffen verkaufen, weigerten sich Tonträger zu verkaufen, auf denen über Waffen gesprochen wurde.
Rage against the Machine standen in diesem Jahr 15 Minuten nackt und mit Gaffa verklebten Mündern auf Bühne vom Lollapalooza Festival, um gegen diese von konservativen Gruppen in Allianz mit der Musikindustrie durchgeführte Zensur zu protestieren.
"In Utero" stieg bei seinem Erscheinen auf Platz eins der Billboard Charts ein. Zu den großen Rätseln der Menschheit gehört die Frage, ob das wohl auch mit dem Titel "I hate myself and want to die" geschehen wäre, und ob dann ein paar Jugendschützer Amok gelaufen wären.
Kurt Cobain meinte in einem Interview, Nirvana hätte sich gegen den Titel entschieden, weil die Fans den schwarzen Humor nicht verstanden hätten. Vor Zensur blieb Nirvanas drittes Album dennoch nicht verschont. Die Kaufhauskette Walmart, damals ein relevanter Faktor bei dem Absatz von Tonträgern, verkaufte eine zensierte Version von "In Utero". Aus der Nummer "Rape M"e wurde "Waif Me" (Waif bedeutet Findelkind, waif me bedeutet gar nichts, und aus den Föten, Eingeweiden und Blumen Schlachtfeld am Rückcover wurde ein Blumenstrauß.)
nirvana
"Nevermind" war von Butch Vig produziert worden. Für "In Utero" engagierte Nirvana den Meister der schneidenden und kollabierenden Lärmwände Steve Albini.
Der New Music Express kommentierte diesen Umstand 1993 mit der heute etwas befremdlich anmutenden Vermutung, dass Nirvana wohl Butch Vigs glatten, Hitparaden toppenden Sound gegen Albinis Arbeiterklasse-Punk eintauschen, um Antihelden Kudos zu sammeln.
Zum zwanzigsten Geburtstag erscheint jetzt eine Box mit jedem Fuzel Sound, den Nirvana irgendwo aufgenommen hat und einer remasterten Version von "In Utero".
Ich bin dagegen. Das Album hat die letzten 20 Jahre fertig und gut geklungen. Nirvana und Steve Albini haben sich etwas dabei gedacht und einen Arbeitsprozess für beendet erklärt. Nirvana haben drei große Studioalben veröffentlicht.
Ich weiß nicht, wie viel Boxen "Rarities Outtakes" nach dem Ende der Band veröffentlicht wurden und wie die sich im Verhältnis zu "Bleach", "Nevermind", und "In Utero" verkauft haben.
Außerdem kennt ihr eigentlich Martha Stewart?
Sie ist Amerikas beste Hausfrau, aktiv im Fernsehen und Publikationen gibt sie auch heraus. Ihre Spezialbereiche sind Kochen, Basteln. Eigenheimverschönerung und Benimmregeln. Sie war im Gefängnis wegen Insiderbörsengeschäften. 2005 kaufte sie Courtney Love für 70 Millionen Pfund ein Viertel der Reche an Nirvana ab.
martha stewar
Ich sehe Frau Stewart am diametral entgegengesetzten Ende der Werteskala von Nirvana angesiedelt und es ist mir ein persönliches Anliegen, dass sie nicht noch mehr an ihrem Vermächtnis verdient. Ich glaube das sind wir Kurt Cobain schuldig.