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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

25. 9. 2013 - 18:55

Evolutionary Minded

Vor zwei Jahren ist der Poet, Autor und Spoken-Word-Performer Gil Scott Heron gestorben. Nun haben musikalische Wegbegleiter und Erben ein Album veröffentlicht, das mehr sein will als ein Tribute.

„Sein Afro war imposant, wesentlich größer als meiner!“ Das war der erste Eindruck, den der junge Brian Jackson vom jungen Gil Scott-Heron hatte. Mit Afro ist nicht viel in dem Hotel in Midtown, Manhattan, wo ich Jackson treffe. In der Lobby macht sich eine sehr amerikanische Hochzeitspartie sehr amerikanisch, also unüberhörbar und jeglichen Raum ausfüllend, bereit für die Festivitäten. Wir haben uns in die noch geschlossene Bar verkrochen und versuchen nun, die Latino-Muzak, die aus der Hotelanlage dudelt, abzuschalten. Vergebens. Nicht einmal das Personal weiß, wo die Quelle des Übels sitzt. Oder es interessiert einfach niemanden. Die Musik kommt von der Decke gerieselt, strömt aus Ritzen und – wie ich meine – der Klimaanlage. Es muss also auch mit Synthi-Vihuelas und Konserven-Maracas im Hintergrund gehen. Welch Ironie. Die Allmacht der Berieselung während wir über die Wirkungsmacht des Wortes sprechen.

Gil Scott-Heon und Brian Jackson

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Gil Scott-Heron (l) und Brian Jackson (r) in den 70s.

Brian Jacksons Afro ist mittlerweile auf gut zwei Zentimeter geschrumpft. Er sitzt in einem schlichten Anzug in der Ledercouch und ist ein sehr freundlicher, zuvorkommender Gesprächspartner.

Jackson lernte Scott-Heron bei einem Talentewettbewerb auf der Lincoln University in Pennsylvania kennen. Das war 1969. In Folge schrieb und arrangierte er die Musik zu dessen Poems. 1971 erschien das erste gemeinsame Album "Pieces Of A Man" auf Bob Thieles Flying Dutchman Label. Die Hippie-Träume von Love & Peace waren Anfang der Siebzigerjahre in den USA weitestgehend ausgeträumt. Der Vietnamkrieg tobte im fernen Asien. Zuhause schoss die Polizei auf Demonstranten und Bürgerrechtler. Die Protestbewegung radikalisierte sich. Black Panthers, Weathermen und andere Gruppen forderten das Establishment mit militanten Parolen und Gewaltbereitschaft heraus.

Von Re- und Evolutionen

In linken Zirkeln hing der Geist der Revolution so tief wie die Rauchschwaden in den Studentenbuden. Radikale Dichter-Gruppen wie die Last Poets oder die (Watts) Prophets propagierten Black Power und auch die Soul-Musik stieß immer tiefer in sozialpolitische Themenbereiche vor.

Gil Scott-Heon und Brian Jackson

Christian Lehner

Kentyah Fraser und Brian Jackson 2013

„Es klingt vielleicht seltsam, aber wir dachten damals eigentlich über ganz andere Dinge nach. Wir waren gedanklich bereits im Jahr '1984'. All die Dinge, die Geroge Orwell in seinem Roman beschrieben hat, wurden nun Wirklichkeit. Der Polizeistaat, die Militarisierung des Landes, die allumfassende Überwachung, die Gleichschaltung von und Narkotisierung durch Medien. Das alles trat offen zu Tage und es wurde den Amerikanern als Sicherheit verkauft“, sagt Jackson.

Gil Scott-Heron hatte zuvor bereits das Spoken-Word-Album „Small Talk“ aufgenommen und mit „The Revolution Will Not Be Televised“ einen Klassiker moderner Agitation in Versform veröffentlicht. Doch erst mit Jacksons Arrangements, eingespielt von der Midnight Band, erweiterte sich der Kreis der Hörer über die Radikalinskis hinaus. Es erwies sich als glücklicher Umstand, dass Scott-Heron über eine mehr als passable Singstimme verfügte. Songs wie „Home Is Where the Hatred Is“ oder „Winter In America“ zählen neben dem Ermächtigungs-Liedgut von Curtis Mayfield oder Marvin Gaye zu den Standards des sozialpolitischen Soul und Jazz der Siebzigerjahre.

Gil Scott-Heon und Brian Jackson und Kentyah

Motema Music

"Evolutionary Minded (Motema Music)

Mittlerweile ist Kantyah Fraser zu uns gestoßen. Der Producer und DJ Spooky-Intimus betont, dass es sich bei “Evolutionary Minded” (Motema Music) um kein Tribute-Album im klassischen Sinn handelt: “Der Untertitel der Platte lautet 'Furthering The Legacy Of Gil Scott-Heron'. Es ist also keine Rückschau sondern eine Weiterführung seiner Ideen.“

Fraser und Jackson haben alte Textfragmente, Musiksamples und Arrangements zusammengetragen, neu bearbeitet oder Gastmusikern als Ausgangspunkt für Songs und Raps überlassen. Die Liste der Kollaborateure dürfte Black-Music-Freunden Freudentränen in die Augen und zeitgenössischen Verfechtern des McCarthyismus Schweißperlen auf die Stirn treiben. Mit dabei: Bobby Seal, seines Zeichens Mitbegründer der Black Panthers, Abiodun von den Last Poets, Chuck D von Public Enemy, M1 und Stic.man von Dead Prez, Martin Luther – Ex-Stimme von The Roots, Killah Priest vom Wu-Tang-Clan, Originalmitglieder der Midnight Band und „everybody’s favorite jazz singer at the moment“, Gregory Porter.

Scott-Herons Stück „Third World Revolution“ wurde in den Händen von Chuck D und Killah Priest zum Environmental-Rap „(Re)Evolution“. M1 und Martin Luther hieven „Winter In America“ mit einer besonders gelungenen Interpretation ins hier und jetzt. Überhaupt ist das Experiment geglückt, die sonischen Versatzstücke der Siebziger samt Geflöte und Gejame mit den zeitgenössischen Beats und Rhymes zu fusionieren. Trotz furioser Texte und den unbestrittenen Agitprop-Qualitäten der MCs ist „Evolutionary Minded“ eine großteils smoothe Angelegenheit geworden und swingt zwischen Soul, Fusion, Jazz, Hip Hop und Funk – ganz im Geiste des Scott-Heron/Jackson-Gesamtwerkes.

Thematisch geht es um die Dauerbrenner Gefängnisbewirtschaftung, verfehlte Sozialpolitik und institutionalisierten Rassismus, aber auch um Post-9/11-Paranoia, Homeland Security und die (auch ökologischen) Folgen der kapitalistischen Kernschmelze.

Evolutionary Minded

Motema Music

The New Midnight Band

Brian Jackson und Kentyah Fraser sind sich völlig bewusst, dass die Resonanzkörper für politisches Messaging im Pop in den letzten Jahren eher kleiner geworden sind. Als Retro-Revoluzzer wollen sie nicht missverstanden werden, denn an den grundsätzlichen Verhältnissen habe sich ja nichts geändert. „Ein schwarzer Präsident macht hier keinen Unterschied“, meint Jackson noch immer lächelnd. Revolution schreibt er mittelerweile ohne „R“.

„Untersucht man die ursprüngliche Definition des Begriffes, bedeutet er, dass man in einer Kreisbewegung immer wieder auf den Ausgangspunkt zurückgeworfen wird. Es gilt also einen linearen Weg zu gehen und den Diskurs in Gang zu halten. Deshalb auch der Titel „Evolutionary Minded.“

Am Ende des Gesprächs ist die Latino-Muzak verstummt und die Hochzeitsgesellschaft verschwunden. Ich vergesse, die mitgebrachte CD einzuspacken. Wer weiß, vielleicht träufelt ja beim nächsten Hochzeitsempfang der smoothe Sound der Evolution aus den geheimen Lautsprechern der Hotelanlage.