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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

20. 9. 2013 - 11:49

Was will die Kunst schon wieder?

Blickwechsel - mit Roboterorchester, leuchtenden Stelzenhäusern, eigener Intensivstation oder dreidimensionaler Graphic Novel. Der steirische herbst 2013 beginnt heute.

steirischer herbst,
20. September bis 13. Oktober 2013, Graz und Außenstellen

Ab und an ist man zu nah dran an den Dingen, sagte Ann Liv Young vor zwei Jahren beim steirischen herbst in Graz. In einem Hotelzimmer empfing die amerikanische Künstlerin mutige BesucherInnen zu Einzeltherapien. "Es ist, wie wenn du an der Tafel stehst und schreibst und Buchstaben auslässt, weil du derart dicht an der Tafel bist", so Young, der ihr Ruf für exzessive Performances mit enormem Körpereinsatz vorauseilt. Wenn man also zu nah an etwas dran ist, hilft ein Perspektivenwechsel. Genau das kann Kunst: Platz machen für andere An- und Aussichten. Dafür ist auch der steirische herbst da, dieses Festival für neue Kunst.

Das Festivalzentrum des steirischen herbst 2013 im Aufbau: Am Gelände stehen Stelzenhäuser

steirischer herbst

Als Festivalzentrum hat sich der steirische herbst diesmal in unmittelbarer Nähe zum Grazer Hauptbahnhof, in einem ehemaligen Zollamtsgebäude sowie in dem angrenzenden Jugendzentrum Explosiv, ausgebreitet.

In die Stelzenhäuser der französischen Landschaftsarchitekten von atelier le balto, die das Gelände gestaltet haben, kann man leider nicht klettern, dafür leuchten sie des Nächtens. Wird vielleicht auch praktisch sein. Denn das Festivalmotto lautet "Liaisons dangereuses", falsche Freunde, Allianzen und ungerade Allianzen inklusive. Zu allererst muss man mal die "i" an die richtige Stelle setzen, "Liaisons", dann kann man ihnen nachgehen.

Praktisch heißt das zum Beispiel: Lernen Sie Wirtschaft!

In der großen herbst-Ausstellung "Liquid Assets" setzen sich KünstlerInnen mit den Verhältnissen in der Finanzwelt auseinander, ebenso wie die Theaterarbeit "Kredit" von Daniel Kötter und Hannes Seidl, an dem der Chor der Deutschen Bundesbank mitwirkt. Viel verspricht der Norweger Amund Sjølie Sveen: In "Economic Theory for Dummies" will er dem Publikum beibringen, wie man den Wirtschaftsteil in Zeitungen nicht nur lesen, sondern tatsächlich verstehen kann. Hat er nämlich selbst bis zu dieser Lecture-Performance nicht gekonnt.

Vom Roboterorchester zum Waldausflug

Ein Orchester aus Roboterinstrumenten, einen isländischen Frauenchor und den Komponisten Jónas Sen haben die A Two Dogs Company und Kris Verdonck für "H, an incident" verpflichtet. Bei Jónas Sen muss man sich zurückhalten, nicht zuerst den Namen Björk zu nennen, die ihn als Arrangeur schätzt.

"Marzo" soll eine dreidimensionale Graphic Novel sein, an deren Geschichte weitab vom Hier und Heute die junge italienische Gruppe Dewey Dell mit einem japanischen Zeichner gearbeitet hat.

Nicht Arnold Schwarzenegger, aber doch die Ästhetik seiner Kraftkammer-Hochzeiten bestimmt Massimo Furlans "Gym Club". Der Regisseur baut mit Vorliebe Erinnerungen aus seiner Jugend zu ganzen Stücken aus.
Trainiert wurde auch hart für "Las Multitudes" vom argentinischen Regisseur Federico León. Über einhundert steirische LaienschauspielerInnen, vom Kindes- bis zum Seniorenalter, wirken im Generationen-Schauspiel mit.
Franz Kafkas Romanfragment "Amerika" und die davon inspirierte Installation des Künstlers Martin Kippenberger führt Anne Juren, eine der prägendsten Choreografinnen in Österreich, zu einem "Happy End".

Die zwei bärtigen Männern von der Künstlergruppe
United Sorry im grünen Wald

Florian Rainer

United Sorry laden sich Freunde ein für "the forest project"

Interaktionen sind der wahrgewordene Albtraum des Theaterpublikums. Trotzdem könnte sich die Interaktion des Duos United Sorry lohnen. Per Shuttlebus kommt man in einen Wald nahe Peggau, wo die beiden vollbärtigen Performer angeblich Realitäten verschieben. Vorab ließ Robert Steijn, einer der Beiden, wissen: "Es ist wie mit der Liebe. Du hast eine Vorstellung, wie Liebe sein soll, und dann triffst du jemanden und verliebst dich und es ist komplett anders." Wo beginnt der Kitsch und wo endet die Kunst? Liebschaften und Leidenschaften.

Performance, Kunst, Theorie - und das intensiv

Im Festivalzentrum selbst befindet sich die Installation "Close Link" mit eigener Intensivstation, die eine sehr spezielle Geschichte ist und die mehr als einen Besuch lohnen wird. Das Thema ist ein existenzielles, doch die Machart der Installation kommt der Neugierde entgegen. Das Künstlerduo hoelb/hoeb will Beziehungssysteme, in denen ein Partner in einer isolierten Bewusstseinslage ist. Konkret heißt das: Es geht um den Umgang mit Wachkomapatienten, an Demenz Erkrankten und schwer behinderten Menschen mit dem Krankheitsbild Lissenzephalie. Insgeheim geht es um uns selber. Vor Ort werden tatsächliche Pfleger, Ärzte und Philosophen arbeiten. Das Setting ist spannend und will auf diesen Seiten noch ausführlich erkundet werden.

Mann von hinten mit umgeschnallten Polstern geht Spitalsgang entlang

Stephan Friesinger

Und sonst so? Wo bleibt die Musik?

Zur herbst-Eröffnung heute, 20. September, gastiert Jagwa Music aus Tansania. 23.00 Uhr, Festivalzentrum steirischer herbst, Ex-Zollamt, Graz.

Die herbstbar hat sich diesmal verdoppelt, eine gibt es im Ex-Zollamt und die Nachtbar ist im Explosiv. Viel wichtiger: Zu den "One Night Stands" (freier Eintritt) kommen an den Festivalsamstagen jeweils zwei Künstler oder Künstlergruppen zusammen, wie zu "Double Feature"-Konzerten. Zum Einstand diesen Samstag treffen sich monochrom mit der Lord Jim Loge.

Die MusikerInnen des "Double Feature" verdienen extra Klicks: Nach Graz kommen u.a. Barbara Morgenstern, Conquering Animal Sound und die der Kirchenorgel nicht abgeneigte Anna von Hauswolff.
Beim musikprotokoll spielen Graupapageien mit Theremin und Tablet. Aber auch Didi Bruckmayr oder Patrick Pulsinger sind mit Uraufführungen vertreten.

Eine Frau, ein jüngerer Mann und ein Mädchen mit fast grotesken Verkleidungstücken wie einem Cape und bunten Perücken für die Performance der Amerikanerin Ann Liv Young

Ann Liv Young

"Sleeping Beauty" - Dornröschen -, neu erzählt von Ann Liv Young - nicht im Bild, hinter der Kamera.

Der herbst geht dieses Jahr wieder verstärkt aus sich raus, also aus Graz hinaus und an ausgewählte Orte am Land. Da kommt auch Ann Liv Young wieder des Weges: Nach ihren Einzelperformances 2008 kehrt sie diesmal mit einem Truck zurück. Mit "Sleeping Beauty" tourt Ann Liv Young in der Steiermark und erweckt Dornröschen. Wenn ihr Auftritt diesmal ähnlich gut aufgenommen wird, wie vor fünf Jahren wird sie auch heuer sicherlich gern wieder Überstunden machen.