Erstellt am: 18. 9. 2013 - 19:08 Uhr
Apokalyptischer Absturz
„Film is like a battleground“ lautet ein legendärer Satz des amerikanischen Regisseurs Sam Fuller. „Love. Hate. Action. Violence. Death. In one word: Emotion.“
Kommt es manchmal mit besonders seriösen Cineasten zu Grundsatzdiskussionen, was am ehesten zur Viennale-Zeit passiert, modifiziere ich dieses Zitat sehr gerne. Und erkläre, dass Filme in denen nicht wenigstens ein Hauch Gewalt und/oder Sex vorkommen, am künstlerischen Auftrag des Mediums vorbeischlittern. In der Tradition von Sam Fuller sollte Kino für meinen Teil die Realität übersteigern, überspitzen, dramatisieren, ganz egal wie trist, hart oder einfach auch nur banal diese sein mag.
Das britische Ausnahmecomedy-Trio Simon Pegg, Nick Frost und Edgar Wright würde sich hier wohl anschließen. Und ergänzend bemerken, dass es auch Filmen, die im sozialen Realismus geerdet sind, ganz gut tut, wenn lebende Leichen, Monster oder Außerirdische ins Bild winken. Wenn grelle Genre-Elemente den Zuckerguß über der wahrhaftigen Wirklichkeitsdarstellung bilden. Oder wahlweise den Schokolade-Kern.
Pegg, Frost und Wright haben nämlich soeben ihre sogenannte Three-Flavours-Cornetto-Trilogie beendet. Wie bei der wohlbekannten Eissorte funktionieren die Filme dazu in Schichten. In der Klamauk-Waffeltüte steckt emotionales Drama, durchzogen von Splatter-Fruchtstücken, Thrilleraction-Splittern oder Science-Fiction-Rosinen. Die bravourösen Briten sehen das einerseits als augenzwinkernde Anspielung an Krzysztof Kieślowskis strenge Drei-Farben-Trilogie, andererseits meinen sei es durchaus ernst.
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Provinzmusketiere auf der Biermeile
In „Shaun Of The Dead“, dem Debütstreifen des Trios und der immer noch besten und lustigsten Hommage an das Zombie-Kino, ist die Verbeugung vor dem Schaffen des großen George A. Romero ebenso deutlich wie der Versuch, britischen Alltag und die dazugehörigen Verkorkstheiten abzubilden. Im Nachfolgefilm „Hot Fuzz“ trifft die detailgetreue und brüllend komische Schilderung des Provinzlebens in England auf eine wahnwitzige Parodie der klischeehaften Welt amerikanischer Polizisten-Thriller.
Zum Abschluß der Blut- und Eiscreme-Saga nehmen sich Regisseur Edgar Wright, sein Coautor Simon Pegg und der Dauerkollaborateur Nick Frost nun der Apokalypse an. „The World’s End“ lautet nicht nur der unheilverkündende Titel ihres neuen Epos, so heißt im Film auch ganz schnöde ein Pub im schnarchigen englischen Provinzkaff Newton Haven.
Für Gary King (Pegg), den einstigen Anführer einer trinkfreudigen Bubenclique, ist der Name des Lokals mit einer schmachvollen Nacht verbunden. Vergeblich versuchten sich seine Kumpels und er in den frühen Neunzigern an einem Kneipenmarathon, der lange vor dem World’s End scheiterte. In der Gegenwart soll die goldene Biermeile nun geknackt werden. Tatsächlich gelingt es Gary für seinen Traum die fünf Musketiere, inzwischen wohl situierte Familienväter im Berufsleben, noch einmal zur Rückkehr an den Kindheitsort zu bewegen. Sogar sein schwer verstimmter Ex-Freund Andy (Frost) macht mit.
Weil „The World’s End“ eben ein Werk des Cornetto-Trios Pegg, Frost und Wright ist, erschöpft sich das Szenario nicht in einer tragikomischen Sauftour. Der Filmtitel ist auch wörtlich zu nehmen. In dem Langeweilerstädtchen Newton Haven gehen mysteriöse Verschwörungen vor sich, die auf den Untergang der Menschheit abzielen.
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Die Sogkraft der Nostalgie
Der wahre Feind des Films sind aber nicht die dunklen Mächte, die möglicherweise aus dem Weltall stammen. Sondern, da sind sich die „World’s End“ Macher beim Interview in London einig, die Sogkraft der Nostalgie.
Nichts ist schlimmer, meint Nick Frost, als in der Vergangenheit zu verharren, als steckenzubleiben, auf der Stelle zu treten. Gary King, erklärt Simon Pegg seine Figur, ist einer diesen Typen, die wohl jeder kennt. In der Schulzeit trägt er die coolen Band-T-Shirts, gibt mit durchgemachten Nächten an und lässt den Pausenhof-Rebell raushängen. Später, im echten Leben, mutieren die Garys dann zur traurigen Charakteren. Weil sie nicht loslassen können. Von den T-Shirts, von der alten Musik und dem Absturz am Wochenende.
Lang lebe die Pubertät, gibt der in Nostalgie erstarrte Gary das Motto für die goldene Meile vor. „Ein Anti-Typ“, grinst Simon Pegg. “Ich liebe es, wo ich derzeit im Leben stehe. Ich bin froh, dass alles hinter mir gelassen zu haben.“ Und Nick Frost ergänzt: „Wenn Männerfreundschaften stagnieren, wenn sie infantil bleiben, dann sind sie zum Scheitern verurteilt.“
Zwölf Pubs. Unzählige Biere. Sentimentale Gespräche über alte Zeiten. Typen, die nicht erwachsen werden wollen. Mit dermaßen viel Herzblut gehen Pegg, Frost und Wright das Thema der infantilen Erstarrung an, dass „The World’s End“ wohl zum emotionalsten der drei Cornetto-Filme mutierte. Was sich auch der großartigen Besetzung der Musketier-Gang mit Brit-Stars wie Martin Freeman, Paddy Considine oder Eddie Marsan verdankt, die ihre Rollen jenseits von Karikaturen anlegen.
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Köstliches Kino-Mash-Up
„Comedy ist am besten, wenn sie mit einem gewissen Ernst verknüft ist, wenn sie mit Tiefgang kontrastiert wird“, holt Simon Pegg nochmal aus. „Filme, die bloß Gags aneinanderreihen, fallen sehr leicht auseinander. Sobald ein Witz uns Leere läuft, bleibt nichts mehr übrig. Gibt es aber interessante Charaktere und eine ebensolche Story, kannst du es dir auch leisten, mal kurz auf Blödeleien zu verzichten.“
Keine Angst, die Witzdichte in „The World’s End“ ist dennoch alles andere als gering. Erneut gelingt dem Ausnahme-Trio ein köstliches Kino-Mash-Up aus Genre-Persiflage, Science-Fiction-Blockbuster und Nostalgie-Reflexion.
Auf übertriebene Härten und brachiale Pointen verzichten Pegg, Frost & Wright aber, vielleicht auch, um einen charmanten, menschelnden Gegenentwurf zu den „Hangover“-Filmen zu präsentieren, die ein kalter Wind des Zynismus und der Misanthropie durchweht.
Zum Abschluß des Interviews muss ich das Brit-Trio natürlich noch fragen: Wie geht es nach dem Ende der Welt weiter? Simon Pegg sagt, dass er sich auf neue Abenteuer in Hollywood vorbereitet, von „Star Trek“ bis „Mission Impossible“. Nick Frost wird sich demnächst in „Cuban Fury“ als Salsatänzer zum Kasperl machen. Edgar Wright soll für Marvel den „Ant-Man“ auf die Leinwand bringen. Die „World’s End“ Macher schauen in die Zukunft. Und betonen nochmal: Mit Sitzenbleibern und unverbesserlichen Nostalgikern sollte man am lieber den Kontakt abbrechen.
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