Erstellt am: 18. 9. 2013 - 13:56 Uhr
2008 is back again
Vielleicht haben die Geschichten von der britischen "Recovery" in den letzten Wochen ja schon die österreichische Wahrnehmung erreicht. Recovery, das ist Englisch für "Aufschwung" und angeblich unleugbar. So hör ich es jetzt schon seit Wochen und die Wirtschaftsdaten sprechen unmissverständlich dafür. Es heißt sogar, die Arbeitslosigkeit im Vereinten Königreich sei auf 7,7 Prozent gesunken.
Der englischen Mittelklasse jagt diese Zahl allerdings gehörig Angst ein. Nicht, weil die den Working Poor, die neuerdings aus der Arbeitslosenstatistik verschwunden sind, ihre unterbezahlten Teilzeitsarbeitsplätze und Null-Stunden-Verträge (Arbeitsverpflichtungen ohne garantierte Arbeit oder Einkommen) neiden, so weit käm's noch.
Die Sache ist bloß die, dass Mark Carney, der neu eingesetzte kanadische Superheld an der Spitze der Bank of England, bald nach seinem Amtsantritt im Juli erklärt hatte, die Leitzinsen würden auf dem historischen Tiefstand von einem halben Prozent verbleiben, solange die Arbeitslosigkeit nicht unter eine magische Grenze von 7 Prozent fällt. In anderen Worten: Borgen bleibt auf absehbare Zeit spottbillig, also geht raus, gründet Firmen, pumpt was geht und kauft ein.
Robert Rotifer
Nun sind, wie zum Beispiel die Nörgler jenseits des Atlantiks interessanterweise bereitwilliger berichten als die britischen Medien, zeitgleich mit dem von anhaltender Austeritätspolitik begleiteten Aufschwung die Realeinkommen insbesondere unter den Unter-Dreißigjährigen besorgniserregend beharrlich und tief gefallen. Und das bei rapide steigenden Lebenserhaltungskosten.
Wie kann es sein, dass trotzdem offenbar wieder mehr konsumiert wird? Wo kommen diese neuen Jobs her, so schlecht bezahlt sie auch seien mögen? Es scheint fast so, als könnte der britische Aufschwung die Schwerkraft überwinden.
Der Zaubertrick ist schnell erklärt
In seinem letzten Budget überraschte Schatzkanzler George Osborne nämlich die Öffentlichkeit mit seinem "Help to buy"-Programm, das es möglich macht, bei Hinterlegung von nur fünf Prozent des Kaufpreises ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen.
Osbornes große Idee: Für das Risiko bürgt der Staat. So einfach ist das. Wieso war nur bisher niemand auf diese Idee gekommen?
Robert Rotifer
Und schon geht’s wieder los wie früher vor dem Crash: Junge Paare, denen die unfassbaren Wohnungspreise (ein durchschnittliches Reihenhäuschen im Großraum London kostet mittlerweile jenseits der 550.000 Euro und von Quadratmetern sprechen wir da besser nicht) jede Chance auf ein Eigenheim genommen haben, stürzen sich enthusiastisch in Schulden, die sie nie und nimmer zurückzahlen können. Solange das Einkommen reicht, um für die Hypothekenraten aufzukommen.
All jene, die bisher auf ihren Immobilien sitzen geblieben waren, haben frisches Geld zu verprassen, Installateure bauen neue Duschkabinen in Schlafzimmernischen (Ensuite!) und bei IKEA klingeln die Kassen. 70.000 der neu geschaffenen Jobs gehören frisch gebackenen ImmobilienmaklerInnen mit viel Wachs im Haar, spitzem Schuhwerk, kurzen Kostkind-Sakkos und Plastikmappen unter dem Arm.
Robert Rotifer
Nachdem das Angebot an beziehbarer Wohnfläche immer noch knapp ist und viel zu wenig (schon gar nichts Leistbares) gebaut wird, um diesen Zustand zu ändern, ist das logische Resultat von "Help to buy" nämlich auch eine Rückkehr des Hauspreis-Booms. Der Londoner Immobilienmarkt zum Beispiel hat den Höchststand der manischen Phase vor dem Zusammenbruch 2008 bereits überflügelt.
Bloß nicht daran denken, was passiert, wenn die Hauspreisspekulation so stark überhand nimmt, dass die schon so lange so absurd niedrigen Leitzinsen wieder raufgesetzt werden müssen. Dann steigen nämlich auch die Hypothekenraten mit, die ganzen jungen Pärchen mit den immer noch sinkenden Realeinkommen und den frischgekauften Eigenheimen - und mit ihnen Papa Staat, der für ihre Hypotheken bürgte - sitzen bis zum Hals in der roten Tinte (weil Scheiße so hart geklungen hätte).
Bei nur zwei Prozent höheren Leitzinsen würden 2017 schon 1,25 Millionen britische Haushalte die Hälfte ihres Einkommens nur für die Rückzahlung von Schulden aufwenden. Wenn man sich ansieht, dass nicht-hausbesitzende LondonerInnen typischerweise 59 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben, lassen sich potenziell bevorstehende Desaster leicht ausmalen.
Doch davon will wie gesagt gerade niemand reden, denn ein Aufschwung ist ein Aufschwung, egal, woher er kommt, den soll man nicht verderben in der Hoffnung, dass aus der Eigentumsblase irgendwie irgendwas Echtes wächst.
Großbritannien wäre nicht das erste oder zweite Land der Welt, das sich an dem alchimistischen Experiment versucht, aus der eigenen Wohnraumknappheit neuen Wohlstand zu generieren. In der Tat hört sich das Ganze so unüberhörbar nach 2008 mit Quasten an, dass man meinen möchte, in Politik und Kommentariat überschlügen sich längst die mahnenden Stimmen.
Im Gegenteil: Die Liberaldemokraten beenden heute eine jährliche Parteikonferenz, bei der alle Versuche, die Politik des konservativen Schatzkanzlers zu kritisieren zugunsten eines Festhaltens am Sparkurs im Keim erstickt wurden. Aus Angst davor, dass die Konservativen sonst den ganzen Verdienst des Aufschwungs für sich selbst verbuchen könnten.
Mit Verlaub, die Wahl ist 2015, bis dahin kann die Blase locker geplatzt sein (ich verlinke bei solchen Behauptungen vorsorglich gern zu jedem möglichen Vorwurf marxistischer Weltverschwörung gänzlich unverdächtigen Medien), und die Libdems würden dann wenn überhaupt als fahrlässige Mittäter dastehen. Nicht dass Labour allzu viel in Richtung "Told you so!" zu melden haben werden, die Opposition ist nämlich im Moment scheinbar ausschließlich damit beschäftigt, ihre Verbindung zu den Gewerkschaften aufzulösen.
Was Labour dabei entgeht, ist die Gelegenheit, auf die inneren ideologischen Widersprüche des wirtschaftspolitischen Hasard-Spiels "Help to buy" hinzuweisen: Nach dem Regierungsantritt der konservativ-liberalen Koalition vor drei Jahren war noch von einem "march of the makers" die Rede gewesen, einer neuen Ära der Produktivität, in der Großbritannien, statt sich auf den Finanzmarkt zu verlassen, wieder Dinge zum Anfassen produzieren würde.
Staatsmittel als Stimulus blieben aber verpönt, das ideologische Dogma der Austerität musste und muss um jeden Preis aufrecht erhalten werden. Das Schrumpfen des öffentlichen Sektors allein sollte den privaten Sektor zum Erblühen bringen. "Help to buy" passt da eigentlich nicht rein.
Für den Schatzkanzler ist es zwar praktisch, weil nicht als Ausgabe im Budget verbucht. Aber neben dem erheblichen Risiko für die sonst so unerwünschte öffentliche Hand fördert es auch direkt die Aufnahme von noch mehr Privatschulden. Und gerade die sind ohnehin schon die heimliche Zeitbombe der britischen Wirtschaft.
In den Augen der Öffentlichkeit befriedigt "Help to buy" den britischen Fetisch Hausbesitz und beflügelt so den Selbstbetrug einer Gesellschaft, die steigende Hauspreise traditionell als allgemeinen Wohlstandsindikator missversteht, obwohl sie in Wahrheit nur das Wachsen der sozialen Ungleichheit beschleunigen und NormalverdienerInnen ohne Zugang zu geborgtem Kapital aus der Baby-Boomer-Elterngeneration dem unregulierten Mietwohnungsmarkt in die gierigen Hände treiben - oder eben einer Hypothek mit Raten am Rande der Leistbarkeit bei schon auf mittlerer Sicht unhaltbaren Zinsen.
Robert Rotifer
"Help to buy" ist kurz gesagt ziemlich offensichtlich der blanke Irrsinn, vor allem aber ist es eine perfide Falle für junge Leute mit großen Träumen vom selbständigen Leben.
Täglich gehe ich an den mit dem "Help to buy"-Logo verzierten Werbeschildern für (immerhin) neu gebaute Häuser in der Nachbarschaft vorbei. Ich fühle kein Mitleid mit den darauf abgebildeten glücklichen Pärchen, die kommen eh bloß aus dem Katalog (eines der Pärchen hab ich einmal auf dem Cover einer iTunes-Love-Songs-Compilation wiedergetroffen), schon eher mit ihren NachahmerInnen aus dem echten Leben, die sich - der Verheißung des bisher unerreichbaren Eigenheimidylls folgend - sehenden Auges in den potenziellen Ruin stürzen.
Einstweilen sitzen sie, während draußen schon der Herbstregen fällt, noch kuschelig in ihren neuen vier Wänden und hoffen, dass bloß die Arbeitslosenzahlen nicht weiter sinken.
Robert Rotifer