Erstellt am: 18. 9. 2013 - 12:51 Uhr
Placebo ohne Effekt
Weitere Musikrezensionen
"The doctor will see you now", grinst Brian Molko und bittet mit einladender Geste in seine "Praxis": ein abgedunkeltes Hotelzimmer in der Wiener Innenstadt. Ich bin die nächste "Patientin", die er zum Gespräch über Placebos neues Album empfängt. Den Doktor kauft man Brian Molko zwar nicht ab, dafür ist er ganz der höfliche britische Gentleman, in schwarzem Anzug und mit fesch gekämmten Mittelscheitel. Und der therapeutische Ansatz erweist sich auch als durchwegs passend für die mit "Loud like love" betitelte Platte, die sich größtenteils an den Krankheiten und Kränkungen von Liebe abarbeitet. Oder, wie von Placebo selbst beschrieben: Ein Album weniger über die Liebe per se, sondern über die Anstrengungen die man dafür auf sich nehmen muss.
Das futuristische Video zur Single "Too many friends". Als Erzähler agiert übrigens US-Autor Bret Easton Ellis, der selbst Placebo-Fan ist.
Und ja, es ist anstrengend. "Es wird die Menschen verwirren und verzücken", meint Molko auch gleich vorweg über das siebte Werk des britischen Trios. Schon die Vorabsingle "Too many friends" hatte ja Anfang des Sommers für einige WTF-Momente und hochgezogene Augenbrauen gesorgt. Zur Veranschaulichung: "My computer thinks I'm gay / I threw that piece of junk away / on the Champs-Élysées / as I was walking home"
Ob der textlichen Plattitüden und dämlichen Reime von Kritikern sogar als Selbstparodie der Band bezeichnet, ist das Stück schwer verdaubar. Als Abgesang auf den Social-Media-Wahn thematisiert der Song ein omnipräsentes Phänomen, doch genau dieses lässt sich schwer in gute Poesie fassen. "Ich hab mich gefragt, sind wir wirklich heute besser vernetzt, wie uns all diese virtuellen Plattformen weismachen wollen, oder entfremden wir uns dadurch voneinander? Reden wir überhaupt noch miteinander oder sind wir dabei, unsere Social Skills in der wirklichen physischen Welt zu verlieren", sinniert Brian Molko dazu.
Kevin Westenberg
Die Liebe währt zehn Lieder
Doch zurück zur Liebe, die im Titel- und Starttrack "Loud like love" auch jauchzend besungen wird. Würden die zehn Songs des Albums allerdings zehn Jahre in einer Beziehung repräsentieren, dann wäre nur das erste Jahr eitel Wonne: "Am Anfang ist da dieser Verliebtheitsrausch, aber schon beim zweiten Stück geht's um die erste Untreue. Dann kämpft man sich so durch bis zum vorletzten Stück, diesen fast unvermeidlichen Punkt in jeder Beziehung, wo du merkst, dass die Liebe am Ende angelangt ist. Und das letzte Stück ist voll von Reue, aber man kann Geschehenes eben nicht Ungeschehen machen", resümiert Molko.
Er wirkt klar und gefasst - und zufrieden mit dem vollbrachten Werk. Wohl auch, weil da sehr viel von ihm selbst drin steckt: "Loud like love" wurde über mehrere Etappen zwischen Tourpausen in London geschrieben und aufgenommen, mit einem jungen Producer, der Placebo von den befreundeten belgischen Indierockern dEUS empfohlen worden war. Aber die Zeit war knapp und es fehlten noch Songs und Brian Molko sah sich genötigt, etwas von seinem Solomaterial abzuzweigen - so will es der Pressetext. Der Frontmann war also zwischendurch ohne seinen langjährigen Bandpartner Stefan Olsdal und Jung-Drummer Steve Forrest am Werkeln? "Ja, ich wollte mal was anderes machen, mir selbst beweisen, dass ich auch ohne Band was zustande bringen kann." Für sein Soloexperiment hatte sich Molko eine strikte Einschränkung auferlegt: Keine verzerrten E-Gitarren, stattdessen akustische Gitarren, Vintage-Synthesizer, Piano und Loops als kompositorische Werkzeuge.
Emotionale Tour-de-Force
Paul Heartfield
Mit einem Placebo-Twist versehen sind also einige dieser Solostücke auf "Loud like love" gelandet. Sie lassen das Album persönlicher klingen, auch wenn Molko keinen autobiografischen Seelenstriptease hinlegt: "Es ist wohl die ehrlichste und direkteste Platte auf emotionaler Ebene. Paradoxerweise musste ich dafür erst besser im Storytelling werden, um mich so verletzlich zeigen zu können. Ich habe also zehn Kurzgeschichten erschaffen, mit fiktionalen Erzählern und dadurch konnte ich mich mehr öffnen." Und so ist "Loud like love" über weite Strecken hinweg gar nicht laut, sondern wird dominiert von reduzierten, langsamen, fast minimalistischen Balladen mit langem Aufbau, in denen Molkos Stimme stark im Vordergrund steht und im Gegensatz zur oft wütenden Hysterie aus frühen Tagen besänftigt und gefasst klingt. Stücke wie "A million little pieces" oder "Hold on to me" sind - bei weitgehender Ausklammerung der Texte - sogar richtig schön geraten.
Trotz aller Intimität verweben Placebo die Liebe aber auch mit globaleren Themen und üben beispielsweise im temporeichen "Rob the bank" Kritik an den Finanzmärkten, die jedoch wenig weit greift: "Rob the bank of England and America / Rob the bank of the entire Eurozone / Rob the bank of Mexico and Canada / Rob the bank, then take me home." Take that, evil banker. Hmm.
Bei der Durchsetzung seiner musikalischen Visionen war der Placebo-Frontmann nicht zimperlich und hat sich beim Aufnahmeprozess mit Drummer Steve Forrest angelegt, der immer noch ein bisschen als der Neue gilt. Steve hatte sich ursprünglich den von Molko und Olsdal gewünschten Drum Loops verweigert und wollte alles "organic" machen - vergebens. "You gotta choose your battles in this world" lacht Brian und meint dann versöhnlich: "Steve hat viel gelernt in diesem Prozess und ist jetzt dankbar, dass wir ihn so gepusht haben". Und er fügt hinzu: "The whole process of making a record shouldn't be without difficulty, it should be challenging for everyone."
Wo kein Funke ...
Placebo
"You have to destroy what makes you popular", meinte Brian Molko im Interview vor einem Jahr und beschrieb damit das Bemühen seiner Band, sich nicht auf den erprobten Songschemata auszuruhen. In dieser Hinsicht ist "Loud like love" auch gelungen. Im Vergleich zum älteren Placebo-Ouevre wird es den ins Elektrokorsett geschnürten Poprock-Stücken aber an bleibender Relevanz fehlen. Der düstere Glamrock von früher, diese Teenage Angst, die sie in jungen Jahren so eindringlich besungen haben, ist einer weinerlichen, mediokren Resignation gewichen. Brian Molko selbst ist jedoch überzeugt, sogar den Übersong erschaffen zu haben: "Viele Bands versuchen ihre ganze Karriere lang dieses eine, alles-transzendierende Lied zu kreieren, das in seinem eigenen Universum, außerhalb des Band-Kontexts existieren kann. Ich glaube, dass uns das mit "Bosco" gelungen ist."
Live kann man Placebo in Österreich am 21. November in der Wiener Stadthalle erleben.
Die Rede ist vom letzten Stück des Albums, das eine für Placebo untypische Instrumentation aus Piano und Streichern verwendet und auf über sechs Minuten um Vergebung bittet. "Ich finde es sehr bewegend, es ist eine tragische End-of-Love-Story, ein wirklich trauriges Lied." Letztlich fasst Brian Molko selbst das Album in dem Stück "A million little pieces" überzeugend, brutal und ja, berührend, zusammen: "When I was feeling wrong, I used to go and write a song from my heart, but now I feel I've lost my spark, no more glowing in the dark, for my heart". Um mit einer letzten Plattitüde zu schließen: Wo kein Funke, da kein Feuer.
FM4 Interview Podcast
Das ganze Gespräch mit Brian Molko zum Nachhören.
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