Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Barbaren gegen Bulldozer"

Thomas Edlinger

Moderiert gemeinsam mit Fritz Ostermayer "Im Sumpf".

16. 9. 2013 - 16:02

Barbaren gegen Bulldozer

Die Kunstbiennale in Istanbul widmet sich in Innenräumen der Veränderung der Stadt und den Protesten am Taksimplatz. Kann das gutgehen?

Das historische Stadtzentrum an der Galata-Brücke wird von Fischhändlern, Imbissbuden und privaten Schiffsanlegestellen beherrscht. Die touristische Hauptattraktion, die Brücke selbst, ist mit Bars und Restaurants zugepflastert, deren Anwerbesprüche auch mit einer Portion Schmäh daherkommen können: „Warm Beer!“, „Happy Hour forever!“. Am Basar ein paar hundert Meter weiter wird einem „Original Fake“ angeboten. Cool!

Soziologisch gesprochen, wandelt sich der Charme des Einzelhandels schnell in den Refrain des urbanistischen Klagelieds: Der öffentliche Raum im Zentrum ist durchkommerzialisiert. Als Flaneur ist man geduldet, aber erwünscht ist man als Konsument. Die sich drängenden Massen, vor allem die Touristen, nehmen das vor pittoresker Kulisse gern in Kauf und freuen sich über billiges Essen und billige Schiffstouren. Die Atmosphäre einer brodelnden Metropole gibt es gratis dazu, das Geschiebe an der Straßenbahnhaltestelle auch.

Taksimplatz mit Blick auf das Atatürk-Kulturzentrum

Nicole Albiez

Taksimplatz mit Blick auf das Atatürk-Kulturzentrum

Der Taksimplatz im Zentrum des auf der europäischen Seite Istanbuls liegenden Szeneviertels Beyoglu ist groß, hässlich und im Verhältnis zum Touri-Zentrum leer. Seine Offenheit lädt zur semantischen, aber eben auch physischen Besetzung, etwa durch Demonstranten ein. Der öffentliche Raum hier wurde bislang nicht intensiv bewirtschaftet. Nach dem Willen der zunehmend autoritärer agierenden, islamistisch getönten Variante des exzessiven Neoliberalismus unter Premier Erdoğan soll sich das nun bekanntlich ändern. Am U-Bahn-Ausgang findet man sich in einer Betonwüste, dessen südöstliches Ende das marode Atatürk-Kulturzentrum markiert. Im eher spärlichen, fast symbolischen Grün des hier angelegten Gezi-Parks geht es tagsüber beschaulich zu. Die Massen lungern nicht auf den wenigen Parkbänken herum, sondern strömen aus der und zu der am Platz einmündenden Haupteinkaufsmeile Istanbuls, der Fußgängerzone Istiklal Caddesi. Sie wenden sich vom unbestimmten Raum ab und suchen das Shopping-Erlebnis.

Notiz: Istanbul to Europe: Renaissance is over

Nicole Albiez

Anonym

Das leerstehende, nach dem Gründer der Republik Türkei benannte Kulturzentrum wäre als Hauptspielort der dieses Wochenende eröffneten Kunstbiennale vorgesehen gewesen. Schließlich findet sich hier vieles, was in der sich kritisch verstehenden Gegenwartskunst zum Fetisch geworden ist: ein Gebäude mit der verwehenden Aura eines morbiden, heroischen Modernismus und die Nähe zu einem Raum der künftigen Optionen, in dem die Kunst zu den Menschen und die Menschen zum Handeln und zur Politik finden sollen.

Das wünschen sich zumindest die seit den 80er Jahren sich etablierenden Institutionen für Kunst im öffentlichen Raum wie zum Beispiel die Stiftung für Kunst im öffentlichen Raum in Amsterdam. Deren Direktorin Fulya Erdemci ist auch die Kuratorin der 13. Istanbul-Biennale. Im Vorfeld der Mai-Proteste wurde – fast prophetisch - das Thema Public Space als Generalmotto der Schau angekündigt. Als Spielorte der Kunst waren neben dem Kulturzentrum auch der Taksimplatz samt Gezipark vorgesehen. Dann aber kamen die Demos, der Gewaltexzess und die Räumungen.

Fulya Erdemci, die selbst oft im Gezipark war, geriet unter massiven politischen Druck und entschied einen Monat vor der Eröffnung, die Biennale doch in den Schutzraum von Kunsträumen zu verlagern. Im Katalog liest sich ihre Argumentation ein wenig fadenscheinig: Man ziehe sich zurück, um ein „breiteres Publikum anzusprechen“ – als ob nicht dieser Anspruch immer der Grund dafür gewesen war, den „geschlossenen Sarg“ (Danke für das Zitat, Blumfeld) zu verlassen und nach draußen zu gehen. Immerhin, zum Ausgleich wird kein Eintritt verlangt. Ob das dafür sorgen wird, dass sich tausende Istanbuler, die eindrückliche Politkunstperformances wie den „Standing Man“ am Taskimplatz live oder per Handyfoto erlebt hatten, dazu bringt, den Kunstcontainer Antrepo No. 3 am Hafen, die privaten Museen SALT und ARTER oder die griechische Volksschule in Galata zu besuchen?

Drei Fotografien, die jeweils einen Mann mit Megaphon zeigen

Nicole Albiez

Serkan Taycan

Die 13. Ausgabe der Biennale befragt im Titel übrigens nicht das repressive Gegenüber des Staates, sondern, nach einem Buch der türkischen Dichterin Lale Müldür, offenbar sich selbst. „Mom , am I barbarian?“ ist das Motto. Gebastelt wird an einem Naheverhältnis von Barbarentum und Kunst, denn die Barbaren sind in der Lesart der Biennale die Anderen, die Unverstandenen, deren Sprache man nicht verstehen will, kurz: die Künstler. Diese stammen nach einer bewusst postkolonialen Auswahl kaum aus dem Westen, sondern vor allem aus dem türkisch-arabischen Raum, bzw. aus Südamerika, Afrika, Asien und Osteuropa.

Diese Barbaren sind freilich gut eingehegt, auch wenn ihre Arbeiten natürlich das Gegenteil von barbarisch sind. Im größten und seit einigen Biennale-Ausgaben bespielten Ausstellungsort kracht, scheppert, wummert und lärmt es trotzdem ganz gehörig. Die Videoarbeit der brasilianischen Künstlerinnen Cinthia Marcella und Tiago Mata Machado zeigt, wie verschiedene Gegenstände aus dem Off auf eine Straße geschleudert werden und dort teilweise zu Bruch gehen – zuerst von rechts – dann, nach einer Schwarzblende fast spiegelverkehrt von links. Die Schwedin Annika Erikkson schenkt streunenden Hunden im suburbanen Brachland eine Verschriftlichung ihrer möglichen Hundegedanken über ihre Vertreibung aus dem Istanbuler Stadtzentrum – Barbaren auch sie, die unverstandenen Hunde, die stumm denken: „Let´s raise hell“.

Hunde auf einer Landstraße

Nicole Albiez

Annika Eriksson

Christoph Schäfer, einer der Initiatoren des seit den 90er-Jahren existierenden Hamburger Freiraums „Park Fiction“ am Elbufer, klinkte sich in die Debatte ein und präsentiert den zeichnerischen Output gelebter Solidarität zwischen Istanbul und „Gezipark Fiction“. Ein famoses, vor Energie fast berstendes Agit-HipHop-Video von Halil Altindere zeigt die kreative Wut der von den Abrissarbeiten in Sulukule betroffenen Roma-Jugendlichen, die sich als mit Reimen und Beats bewaffnete Task Force den undurchsichtigen Immobiliendeals in den Weg stellen.

Szene aus Musikvideo. Drei Männer

Nicole Albiez

Halil Altindere

Die vertiefende und politisch wichtige Recherche dazu findet vor allem in der griechischen Volksschule in Galata statt. Die Zerstörung des Stadtteils Sulukule wird hier als jahrelanger Prozess detailiert auf Schautafeln von dem Kollektiv „Sulukule Plattform“ rekonstruiert. In Diagrammen wird die Eigentümerstruktur und die Beteiligung von Unternehmen an den dubiosen Stadtentwicklungsprojekten aufgearbeitet; all das sind Leistungen, die eine Lücke der medialen Ignoranz füllen und es verdienen würden, auch an anderen Orten publik gemacht zu werden.

Wandplakat

Nicole Albiez

Sulukule Platform

Vor dem Eingang zu dem Container Antreop No. 3 neben dem Museum für Moderne Kunst am Hafen lässt die türkische Künstlerin Ayse Erkmen eine Abrissbirne gegen die Längswand schwingen. Bangbangbang. Doch keine Angst, die Kugel ist nicht aus Eisen. Laut der Biennale ist die auf den ersten Blick äußerst plakative Arbeit auch ein konkreter Hinweis auf das Schicksal des Gebäudes. An seiner Stelle soll demnächst ein Luxushotel errichtet werden.

Abrissbirne aus Plastik

Nicole Albiez

Was vermag die Kunst, wenn die Politik den öffentlichen Raum zur No Go-Area erklärt? Ausgerechnet zur Presseeröffnung am letzten Mittwoch flammten die Proteste aus Anlass des Todes eines Demonstranten in Antakya wieder auf. Die Polizei marschierte am Abend in Sichtweite der Kunstorte nahe der Einkaufsmeile zum Taksimplatz auf. Manche Kunsttouristen gingen kurzerhand zu Demos mit, der Rest debattierte am Garten-Empfang im niederländischen Konsulat und kam doch zu keinem rechten Schluss – besonders, wenn dann der Blick von der nächsten Hotelterrasse so perfekt und der Absacker zu gut eingeschenkt ist.

Als zum größten Teil privat finanzierte Biennale kommt man hier eben rasch zwischen die Fronten. Radikale Politaktivisten empfinden es als Verrat, wenn die Kunst den Schwanz einzieht und sich in die geschützten Räume zurückzieht. Man hätte ja auch, so der Vorwurf, die offene Konfrontation mit dem Regime riskieren oder im schlimmsten Fall die Biennale ganz absagen können, schließlich gibt es offenbar derzeit in Istanbul nämlich offenbar keinen öffentlichen Raum, der sich diesen Namen als freies Forum des Diskurses verdient. Die Biennale ging nach vielen Diskussionen (und der Zurücknahme einiger Arbeiten) den Weg des Kompromisses einer auf den Außenraum konzentrierten Ausstellung im Innenraum - im Wissen, die gesellschaftlichen Wucht des Protests auf der Straße nicht übertragen zu können. Nur einige Toilettengraffitis im Antrepo No. 3 erzählten ganz unmittelbar von der Fassungslosigkeit über den Tod von Demonstranten.

Toilettengraffiti

Nicole Albiez

Toilette im Antrepo No. 3

Gibt es in einer solchen Situation überhaupt einen richtigen Weg? Wahrscheinlich nein. Außerdem ist die Istanbul Biennale natürlich trotz allem auch eine normale Kunstleistungsschau, die sich nicht ständig auf lokale Politrelevanz verpflichten lassen will – etwa in der schönen, stillen Arbeit über öffentliche Intimität in Form von einsehbaren, vor Ort produzierten Tagebuchnotizen von Elmgreen & Dragset. Nein, hier sind keine Barbaren am Werk.

Zwei Männer an einem Schreibtisch

Nicole Albiez

Elmgreen & Dragset

Die Biennale ab jetzt noch bis zum 20. Oktober: für das offizielle, auf Expansion in allen Gebieten setzende Istanbul ist sie aber derzeit weniger ein Thema als die Enttäuschung darüber, dass Tokio und nicht Istanbul die Olympischen Spiele 2020 ausrichten wird. Damit wird es ein wenig schwieriger, das ehrgeizige, im Bordmagazin der Turkish Airlines verkündete Ziel, möglichst bald das Luftfahrtzentrum der Welt zu werden, zu erreichen. Dass damit noch mehr Menschen in die jetzt schon aus allen Nähten platzende 20 Millionen-Stadt gelockt und damit neue Stadterweiterungen gebaut werden müssen, ist eine schlechte Nachricht für viele. Und eine profitable für wenige.