Erstellt am: 16. 9. 2013 - 16:26 Uhr
Progress als Prämisse
Warm anziehen. Es fröstelt. Zumindest war das auf den bisherigen zwei Alben des Dänen Anders Trentemøller so, auf denen er kühle Soundwelten mit haufenweise Melancholie, Mystik und Moll entworfen hat. Diese Woche erscheint sein drittes Album "Lost" und es scheint, dass er aufgetaut ist, auch wenn das der Albumtitel nicht unbedingt suggeriert. Mit "Lost" meint Trentemøller nicht das negative Gefühl eines Verlusts, sondern viel mehr die positive Erfahrung, wenn man sich in der Liebe und der Musik verliert.
Trentemøller
"Lost“ verknüpft die minimale Elektronik seines gespenstischen Düster-Techno-Debüts "The Last Resort" mit den epischen Gitarrenklängen, die sein Zweit-Werk "Into The Great Wide Yonder" ausgezeichnet haben. Einige Fans und Clubgänger mag das 2010 gewundert haben, warum ein gefeierter Techno-Produzent und Remixer zur Gitarre gegriffen hat, aber so abwegig war das gar nicht, denn in den Neunziger Jahren hat der Multi-Instrumentalist in einigen Rockbands in Kopenhagen gespielt.
"Lost" ist auf Trentemøllers eigenem Label "In My Room" erschienen
Schon als Kind hat Anders Trentemøller Pfannen und Töpfe als Schlagwerk bearbeitet, die Musik aus dem Radio mit dem Piano begleitet und sich sein Können autodidaktisch beigebracht. Er bereut es auch nicht, niemals eine klassische Ausbildung genossen zu haben, denn sonst hätten ihm die Musikschullehrer höchstwahrscheinlich gesagt, was er falsch gemacht hat. Was komplett unnötig gewesen wäre, denn für ihn gibt es in der Musik kein Richtig oder Falsch. Die einzige Prämisse, der er folgt, ist die des musikalischen Fortschritts.
Internationale Bekanntheit erlangte Trentemøller Mitte der Nuller Jahre, vor allem durch seine Remixes, sei es von Röyksopp "What Else Is There" oder Yoshimoto "Do What U Do". Zahlreiche DJ-Gigs festigten neben den Remixen und eigenen Minimal-Techno-Produktionen seinen guten Ruf in der globalen Clubszene, bis ihm die viele Auflegerei zu blöd wurde. Mittlerweile ist DJing für ihn ein Hobby, das Geld bringt, dank dem er sich dann wieder auf seine eigenen Produktionen fokussieren kann.
Sein Wagnis zur Weiterentwicklung stößt eventuell einige Fans vor dem Kopf, aber das ist Trentemøller, ohne arrogant sein zu wollen, natürlich egal. Wobei er mit "Lost" vermutlich niemanden vor dem Kopf stoßen wird, denn es ist sein bisher eingängigstes Album: darauf mischen sich Elektronik, Shoegaze, Surf-Pop, Krautrock mit den Stimmen zahlreicher Gastsänger und Sängerinnen, wie zum Beispiel Kazu Makino von Blonde Redhead, Jana Hunter von Lower Dens, Ghost Society oder Marie Fisker, die mittlerweile auch zu Trentemøllers Live-Band gehört.
Eröffnet wird "Lost" von dem tieftraurigen Stück Slowcore-Electronica namens "The Dream". Es ist eine Kollaboration mit dem Ehepaar Mimi Parker und Alan Sparhawk von der amerikanischen Band Low. Für Anders Trentemøller war es gar nicht so einfach, die beiden zu erreichen, weil sie kaum das Telefon oder das Internet benutzen. Irgendwann hat die Kontaktaufnahme geklappt und Trentemøller hat ihnen den Instrumental-Track via Mail geschickt. Die Version, die das Ehepaar, dessen Stimmen ganz fantastisch miteinander harmonieren, ihm zurück geschickt hat, ist jetzt ohne jede weitere Bearbeitung auf dem Album zu hören. Trentemøller gesteht in einem Interview, dass er fast geweint hat, als er das Ergebnis gehört hat.
Die Zusammenarbeit mit Sune Rose Wagner, dem Sänger von The Raveonettes war eigentlich schon für das letzte Album geplant, doch die Aufnahme hat Trentemøller nicht in das Gesamtkonzept von "Into The Great Wide Yonder" gepasst: "Die Nummer klang mehr wie eine Raveonettes-Nummer mit einem Trentemøller-Beat", deshalb wurde "Deceive" entstaubt und mit mehr Club-Appeal versehen, damit "Sune aus seiner Surf-Pop-Comfortzone herauskommt".
Apropos Surf-Pop, dafür hat Trentemøller eine Schwäche. Schon auf dem letzten Album wurde sie mit "Silver Surfer, Ghost Rider Go!" offensichtlich, jetzt hat er sich neben Sune Rose Wagner noch einen zweiten Surf-Rock-Sänger geholt, und zwar Jonny Pierce von The Drums. Er singt auf "Never Stop Running", einer poplastigen Coming-Of-Age-Hymne.
Am 18. November spielt Trentemøller live in der Arena Wien.
Quer durch den Krautrock mäandern die psychedelischen Instrumentaltracks "Constantinople" und "Trails". "Still on Fire" und "River of Life" atmen den Geist von Post-Punk und New Wave und die letzte Nummer "Hazed" erinnert an die guten alten Techno-Tage von Trentemøller. "Lost" ist ein vielseitiges, song-orientiertes Kopfhörer-Album, das sich für regnerische Herbsttage genauso gut eignet wie für verrauchte Nächte abseits der Clubs.