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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

15. 9. 2013 - 17:01

Abenteuerliches Gebläse, wildes Leben

Der Song zum Sonntag: Son Lux - "Lost It To Trying"

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Bei aller musikalischer Promiskuität, an die man sich seit der Erfindung des Internets nun gewöhnt hat, ist dem jungen US-amerikanischen Musiker Ryan Lott mit seinem bisherigen Werk doch ein beachtlicher und aufsehenerregender Variantenreichtum geglückt. Ein Weltenverbinden, das kaum forciert klingt und vergessen macht, dass es überhaupt je eine solch schnöde Idee wie unterschiedliche Welten gegeben haben soll.

Lott ist in klassischer Komposition ausgebildet, im Jazz in Theorie und Praxis versiert, er hat bislang mit solch unterschiedlichen Menschen wie Indie-Kronprinz Sufjan Stevens, dem Pop-Avantgardisten Nico Muhly oder Beans vom Future-HipHop-Kollektiv Antipop Konsortium zusammengearbeitet. Er produziert Beats und schreibt Musik für Tanztheater und Performance. All das ist jedoch nicht bloßes Herumprobieren und das Anbohren unendlicher Möglichkeiten, sondern ein konzentriertes Arbeiten mit meistens mindestens ziemlich guten bis sehr guten Ergebnissen. Der heilige Eifer und das goldene Handwerk, die sonst Musik und Kunst im Allgemeinen schnell miefig und spießig erscheinen lassen können, schimmern bei Lott in einem Licht von Putzigkeit, nerdigem Spieltrieb und unbändiger Begeisterung für die Materie.

Son Lux

Son Lux

Son Lux

In Ryann Lotts Hauptbetätigungsfeld, dem Projekt Son Lux, ist bislang - vor allem auf seinem wunderbaren zweiten Album "We Are Rising" aus dem Jahr 2011 - so eine aufwendig gearbeitete Musik entstanden, die sich auf edlen, auf leisen Seidensocken durch den Salon trippelnden Kammerpop britischer Prägung ebenso beruft wie auf ruppige, dem Überschwang zugetane Americana und erdverbundenen Folk. Den großen erlösenden Moment des Pop hat Son Lux in seinem meist barock mit opulentem Instrumentenaufkommen ausstaffierten Schaffen vielleicht schlicht noch nicht gefunden, eher ist aber davon auszugehen, dass es dem versierten Tüftler einfach zu banal gewesen ist, einen Hit zu schreiben.

Wo ihm verwandte Musikanten wie Beirut, Patrick Wolf oder auch Arcade Fire, die ebenfalls nur zu gerne mit allen Ukulelen, Querflöten und singenden Sägen klingeln und scheppern, immer wieder mit diesem einem Refrain oder dieser einen catchy Passage um die Ecke kommen, die mühelos nachzuvollziehen, sensibel mitzugröhlen und als Stadiongesang für Feingeister umzudeuten ist, bleibt die Musik von Son Lux meist zu zerfahren und vertrackt. Motive tauchen auf und wieder ab, weirde Instrumentalpassagen schieben sich in die Stücke, rudimentäre Elektronik blitzelt auf - von tatsächlichen "Liedern", die auch gut für die Indie-Disco taugen würden, ist bei Son Lux nur selten etwas zu hören.

Auch wenn in den Stücken von Lott meist überragend viel passiert und sie wie unter höchstem Schweiß am Reißbrett zusammenkonstruiert wirken, stehen sie doch den Tendenzen von Pomp und Pathos im Indierock als Beruhigung und Deeskalation gegenüber. Wo jeder zweiten Band mit Violine im Ensemble und einem Typen, der die Percussions schlägt, schon orchestraler Mehrwert zugesprochen wird, gelingt es der vielgliedrig gebauten Musik von Son Lux oft spröde, dürr und kalt zu bleiben.

Das muss nun eventuell ein Ende haben. Vielleicht möchte Ryan Lott etwas populärer werden. Ende Oktober soll unter dem Titel "Lanterns" das dritte Album von Son Lux erscheinen, als Appetizer für die Platte schickt der junge Mann das vielstimmige Stück "Lost It To Trying" ins Rennen. Ein Song, der aufgeregt flackert und quietscht und brummt und dabei so nahe dran ist an der Idee von "Hit" oder "Pop" wie noch keiner zuvor in der Karriere von Son Lux. Synthesizer jaulen herrlich wie ein Chor verliebter Möwen. Die Bläser umspielen sich unruhig, blasen gegeneinander, erwecken einen vibrierenden Karneval der Hup-, Pfeif- und Trötgeräusche zum Leben. Programmierte Beats und ein nervös klapperndes Schlagzeug kommen sich ins Gehege.

Dazwischen singen zwei junge Frauen einige wenige Zeilen vom Verlieren, vom Untergehen und vom Versagen. Aber auch vom Sich-Wiederheben. Schlicht-schöne Erbauungslyrik, die so in dieses wild schaukelnde Stück hineingesetzt jegliche Stumpfheit verliert. Ein Lied, das sagt, dass ganz schön viel los ist auf dieser Welt, manchmal ist die Gegenwart beige-grau, die Zukunft auch. Das Leben ist ein Tumult, man weiß gar nicht wie einem der Kopf steht. Oft regnet es, danach hört es auf.