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Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

13. 9. 2013 - 16:41

Dimensions Festival

Bass, Meer und eine der besten vorstellbaren Festivallocations: eine nachgeholte Review zum Dimensions Festival 2013.

Techno und alte Gemäuer, elektronische Musik und Fabrikshallen, anonyme Räume, verlassene Gebäude, das hat schon immer und also seit Erfindung der entmenschtlichten Maschinenmusik in den siebziger und frühen achtziger Jahren gut zusammengepasst. Das Dimensions Festival in Pula an der Spitze der kroatischen Halbinsel Instrien verfügt mit dem Fort Punta Christo über eine wirklich beeindruckende Location. Acht Bühnen gruppieren sich in und um die enorme Burgruine direkt am Meer, fassen zwischen ein paar tausend oder nur unter hundert abgezählte Leute, sind über Waldwege, Steinstufen oder dunkle Mauergänge zu erreichen und tragen namen wie Ballroom, Arena 1 oder Dungeon.

Marc Sethi/Dimensions Festival

Es ist eine Festung.

Die bemerkenswerteste von ihnen, The Moat, füllt den gewaltigen Burggraben mit dreireihigen Speakertürmen und größtenteils nachtschwarzen Technoacts wie Karenn, Surgeon oder einer Delegation aus dem Berliner Partytempel Berghain. Wenn Ben Klock sie Montagfrüh mit einem gewohnt kompromisslosen Set schließt und die Sonne über dem Graben aufgeht, hat man die fünf anstrengenden Festivaltage, den wenigen Schlaf, die strapazierte Leber, die liegengebliebene Arbeit, die vom Wandern und Tanzen über Stock und Stein wunden Füße oder das viele ausgegebene Geld vergessen, man klammert sich an den Puls der Kickdrum, die mit ihrer beruhigenden Regelmäßigkeit einmal mehr Halt bietet an diesen letzten südlicheren Tagen. Die Flucht vor dem Alltag, in dem bald die Blätter treiben, hier vor den Boxen kann sie ihr vorübergehendes Ziel finden.

The Moat Bühne

Marc Sethi/Dimensions Festival

Moat means Burggraben.

Die Soundsysteme, so eine Besucherwahrnehmung, seien im letzten Jahr etwas spezieller und allgemein lauter gewesen, dennoch kann man am Festivalgelände Orte, speziell die Dubstep-, Roots- und Dancehalllastige Bühne Mungos Arena finden, an denen einem die Gedanken mit besonderer Dezibel-Vehemenz aus dem Kopf getrieben werden. Es ist erst die zweite Ausgabe des Dimensions Festivals und obwohl die Plätze vor den Bühnen gut gefüllt sind, halten sich die Menschenmassen mit Besucherzahlen zwischen fünf- und sechstausend noch angenehm in Grenzen. Die Schlangen vor WCs und Bars sind locker erträglich, das Personal, wenn auch des öfteren ratlos, meist freundlich, die Menschen betrunken, aber sie kugeln nicht am Boden herum und haben Plastikpenisse auf den Körper geklebt. Alles schon andernorts erlebt, so ist es ja nicht.

Gerade angesichts der Tatsache, dass das Dimensions Festival als junger, stilistisch etwas aufgeschlossenerer Bruder des ebenfalls am Fort Punta Christo am Wochenende davor stattfindendenden Bass Music-spezialisierten Outlook Festivals gegründet wurde, überrascht der hohe Anteil an großteils britischen Ersinnern und Liebhabern des steppigen Beats und schweren Bass im Lineup, es handelt sich dabei aber um Pioniere, Weiterdenker oder Grenzgänger wie Kode9, Mala, Pariah, Pearson Sound, Midland, Boddika oder Martyn und macht die Programmierung in ihrer Ausgewogenheit sehr stimmig. Es gibt House und Chicago- und Detroit-Originale mit Legendenstatus von den 3 Chairs rund um Rick Wilhite, Marcellus Pittman, Moodymann und Theo Parrish und seine slickeren Versionen von deutschen Helden wie Dixon, Gerd Janson oder Move D.

Marc Sethi/Dimensions Festival

Rick Wilhite & Theo Parrish

Techno wird in all seiner wunderbaren, neuerlichen Härte und Andockungs-Bereitschaft an offenere, aber dennoch gnadenlose Strukturen von so guten Leuten wie Blawan und Pariah, Surgeon oder der Berghain-Delegation verhandelt, experiementellere, noch schwärzere Klänge kommen von Demdike Stare oder dem zu unerklärlich früher Uhrzeit angesetzten Wife. Frauen spielen am Dimensions Festival bei locker über vierhundert Acts bis auf wenige Ausnahmen wie Panoramabar-Resident Steffi oder Dopplereffekt-Hälfte Kim Karli praktisch keine.

Mungos Bühne

Marc Sethi/Dimensions Festival

Die Mungos Arena-Stage.

Das alles am Festival zu sehen und in Ruhe zu genießen, ist bei der Fülle und den acht teilweise weit auseinanderliegenden und aufgrund von Überfüllung streckenweise abgesperrten Stages natürlich nicht möglich. Auch scheint unter den Besuchern eine sehr geringe Dichte an Timetables im Umlauf zu sein - auch online ist der zeitliche Ablauf nur mühsam zu erfragen - wodurch sich beim Publikum Ratlosigkeit und mitunter auch Schulterzucken gegenüber jenen Acts breitmacht, die man gerade hinterm DJ-Pult vor sich sieht oder andernorts verpasst. Auch unter dem Festival-Staff herrscht Rätselraten, welche Bändchen-Farbe einen nun zu welchem Zugang berechtigt, ob man irgendwo Geld abheben kann, warum statt Hype Williams um die richtige Uhrzeit bereits der nächste DJ auf der Bühne steht (file under: random timetable-Änderungen) oder wie und ob das Internet am Gelände funktioniert (die Antwort lautet: nein). So lassen sich etwa auch Zeit, Ort, Lineup und Anmelde-Modalitäten des offenbar am Freitag vor Ort stattfindenden Boiler Room nicht eruieren. Man freut sich also, zumindest einen Teil der Lieblingskünstler zu erwischen, tanzt zu Pantha du Princes gewohntem, aber klarerweise auch gewohnt gutem Liveset oder jubelt den österreichischen House-Poppern Ogris Debris zu, die am Donnerstag auf der vom Elevate Festival kuratierten Courtyard-Bühne neue Stücke präsentieren.

Marc Sethi/Dimensions Festival

Standeln und Fast Food gibt es wie auf jedem ordentlichen Festival auch.

Als einer der besten Acts des Dimensions Festivals erweist sich einmal mehr Dan Snaith mit seinem dancefloor-orientierten Projekt Daphni, der am Freitag die große Clearing-Bühne mit einem zweieinhalbstündigen DJ-Set beschließt. Wie auch in seinen eigenen Produktionen erweist er sich als König des gepflegten Breaks, das den Beat nicht einfach herausnimmt und effektvoll wieder reinknallen lässt, sondern mit ihm spielt, ihn anschwellen und verschwinden lässt, unter einer Bassline versteckt, erneut anteast, mit drei neuen Vocalspuren anreichert und dann erst langsam wieder ins Spiel holt, es ist besonders in diesem Set, das sich von Funk und Soul und oldschooligem Disco über House hin zu nicht minder eklektischen Daphni-Stücken dreht, eine hohe Kunst. Es geht gar nicht ums perfekte Mixen, das hier ist so viel mehr.

Ein anderer alter Freund, Efdemin aus Hamburg enttäuscht die Erwartungen ebensowenig und balanciert gewohnt trittsicher auf dem schmalen, sehr schmalen Grad zwischen treibendem Techno und stiloffener Verspieltheit, es ist eine Art zwingende Luftigkeit, die in jedem Detail wie der Soundqualität der einzelnen Spuren, dem Sound etwa der Claps und der Exaktheit des Mixings funktioniert.

Dass es am Dimensions Festival neben der Musik auch ums Baden an einem der herrlichen, umliegenden Felsenstrände geht, ums Klippenspringen und durch die Altstadt bummeln, hat Kollege Reich an dieser Stelle bereits bewiesen. Es gibt viel zu entdecken in Pula, es liegt nur wenige Autostunden von Österreich entfernt, es ist dort noch Sommer und auch in der Nacht braucht man keine Jacke. Es ist eine Erfahrung, die man sich gönnen sollte.

Dimensions Heimweg

Marc Sethi/Dimensions Festival

Täglicher Heimweg durch den Wald.