Erstellt am: 11. 9. 2013 - 14:16 Uhr
Wer Wind sät, wird Sturm ernten
Rafi ist ein Englischlehrer in New York. Er kommt aus Bulgarien und unterrichtet Englisch hauptsächlich an Russen und Araber, die in den USA leben möchten. In Bulgarien war Rafi mal Universitätsprofessor. Er gewann die Green Card und machte sich auf dem Weg nach Amerika. "Man muss ja irgendwo anfangen", sagt Rafi. Lehrer im öffentlichen Schulsystem zu sein, ist in Amerika die niedrigste Stufe der Gesellschaftshierarchie. Ich frage ihn, ob die Anekdoten, dass in den öffentlichen amerikanischen Schulen auch nach der 8. Klasse nur das Einmaleins gelernt wird, tatsächlich stimmen. "Mit diesen Lehrern ist das kein Wunder", antwortet er mir lakonisch.
Ich erinnere mich an dieses Gespräch, als ich von den Protesten der österreichischen Lehrer erfahre. Nach den Änderungen des Dienstrechtes sollen sie mehr arbeiten und weniger verdienen. Oder zumindest wird das von den Gewerkschaften behauptet. Ich stelle mich auf die Seite der Lehrer. Ihr Beruf ist strategisch wichtig. Sie halten die Zukunft in ihren Händen. Sowohl die nahe, als auch die ferne Zukunft. Falls man ihre Löhne senkt, werden sich immer weniger qualifizierte Leute für diesen Beruf begeistern.
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Ich kenne das Problem aus meinem Heimatland Bulgarien. Dort sind die Lehrergehälter unter den niedrigsten des Landes. Sie wurden seit mehr als fünf Jahren nicht erhöht. Eigentlich seit dem letzten großen Lehrerstreik. Mit den Jahren blieben immer weniger gute Leute im Beruf. In Bulgarien wird der folgende Witz erzählt: "Wer nichts taugt, wird Lehrer, wer nicht mal das taugt, wird Sportlehrer." Ich habe an einer der besseren staatlichen Schulen in Sofia maturiert. Seit den letzten Monaten wird diese Schule von einem Skandal erschüttert.
Der Philosophielehrer aus dem deutschen Gymnasium in Sofia wird der Pädophilie beschuldigt. Einige Tageszeitungen und Fernsehkanäle berichteten über den Vorfall. Ich erinnere mich sehr gut an diesen Lehrer. Andererseits erinnert er sich sicherlich nicht an mich, er merkte sich nur die Mädchen. Seine dreckigen sexuellen Bemerkungen gegenüber meinen Mitschülerinnen gehörten genauso zu ihm wie sein 40-jähriger, weißer Moskvitsch. Außer über Sex hat mein Philosophielehrer eigentlich über nichts anderes gesprochen. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir irgendwann die "Kritik der reinen Vernunft" behandelt hätten. Ich betrachtete ihn immer mit Mitleid. Ein einsamer armer Mensch, der allein mit seiner 90-jährige Mutter lebte. Ich glaube nicht, dass er sich je getraut hätte, die Schülerinnen tatsächlich anzugreifen.
Jetzt wird er wahrscheinlich gefeuert. Das größere Problem ist, wer seiner Stelle nachfolgen wird. Da die Bezahlung im Lehrerberuf so niedrig ist, ist er unattraktiv für junge Leute. Kein einziger meiner Bekannten in Bulgarien hat in den letzten zehn Jahren den Wunsch geäußert, Lehrer zu werden. Die Lehrer werden deshalb immer älter. Das Niveau der Bildung in Bulgarien ist in den 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts stehen geblieben. In jener Zeit, wo die jetzigen Lehrer ihre Ausbildung bekommen haben. Deshalb stelle mich hiermit auf die Seite der österreichischen Lehrer. Es ist recht leicht, die Gelder für Bildung und Kultur zu kürzen. Das machen die Regierungen in Bulgarien schon immer. Aber: Wer Wind sät, wird Sturm ernten.