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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

11. 9. 2013 - 16:13

Kaum Asyl in Griechenland

Trotz Reformen immer noch kein fairer Zugang zu Asyl. Griechenland setzt mit europäischer Hilfe mehr auf Grenzschutz, Internierung und Rückkehrprogramme als auf ein funktionierendes Schutzsystem für Flüchtlinge.

Seit Jahren wird Griechenland regelmäßig wegen der unmenschlichen Haftbedingungen, des nicht funktionierenden Asylsystems und des Mangels an Unterbringungsmöglichkeiten für Schutzsuchende vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Auch NGOs üben schon seit Jahren heftige Kritik an der Situation für Asylsuchende und Sans Papiers, also Papierlose, in Griechenland. Anfang Juni 2013 wurde nun in Athen eine neue Asylbehörde geöffnet. Zwei weitere Asylbüros sind vor Kurzem in Nordostgriechenland (in Alexandroupoli und Orestiada) nahe der türkischen Grenze eröffnet worden. Die Bilanz sieht dennoch traurig aus. Obwohl seit Inbetriebnahme mehr als 2.000 Asylanträge entgegengenommen wurden, haben die Zuständigen bis heute noch keine einzige Entscheidung gefällt. Wie auch im alten Asylsystem stauen sich erneut jeden Tag Hunderte Menschen vor dem Gebäude, in der Hoffnung, sich den Einlass zu erkämpfen. Zugang zu Asyl kann man das bis heute nicht nennen.

Menschenschlangen vor der alten Ausländerpolizei

Salinia Stroux

Menschenschlangen vor der alten Ausländerpolizei

Es ist früher Morgen in der Katechaki-Straße, einer der vielbefahrenen Hauptverkehrsadern Athens.Eine riesige Menschenschlange erstreckt sich über den schmalen Bürgersteig. Flüchtlinge aus Asien und Afrika warten hier. In ihren Vorstellungen war Griechenland das ersehnte Europa. Doch die Realität hat sie schnell eingeholt. Heute ist der Gang zum Asylinterview für viele der einzige Hoffnungsschimmer auf ein bisschen Schutz und auch diesen müssen sie sich schwer erkämpfen. Ein 12-jähriges Mädchen aus Syrien steht mit ihrem Vater und dem älteren Bruder ganz am Ende der unendlich lang erscheinenden Schlange. Seit mehr als zwei Jahren sind sie in Griechenland,erzählt sie in gebrochenem Griechisch. In der Hand hält sie die Aufenthaltsgenehmigungen der Familie, die schon lange abgelaufen sind. "Ιch habe nicht einmal Papiere, um zur Schule zu gehen", sagt das Mädchen mit trübem Blick.

Neue Asylbehörde

Griechische Asylbehörde

Menschenschlangen vor der neuen Asylbehörde

Am anderen Ende, ganz vorn, steht ein junger Mann von den Komoren. Er lebt ebenfalls seit mehr alszweieinhalb Jahren in Griechenland und besitzt keine Papiere. "Ich bin gestern Abend gegen 10 Uhr hier her gekommen, um mir einen Platz am Anfang der Schlange zu sichern. Die letzten zwei Wochen komme ich jeden Tag her. Ich hoffe, heute kriege ich die Möglichkeit Papiere zu beantragen." Der abgemagert und zermürbt erscheinende Mann ist erst vor Kurzem aus einem der großen Haftlager entlassen worden. Wie Hunderte von anderen Papierlosen wurde er monatelang unter unmenschlichen Bedingungenfestgehalten, nur weil seine Papiere abgelaufen waren.Laut griechischem Gesetz können Papierlose, aber auch Asylsuchende ohne gültige Papiere bis zu 18 Monate festgehalten werden. Diese Erfahrung will er nie wieder machen. "Ich war in diesem Haftlager anderthalb Jahre. Ich habe riesige Angst wieder ins Gefängnis zu gehen. Ich kann es dort keinen Tag länger ertragen. Ich würde sterben."

Auch Minderjährige werden in Griechenland inhaftiert.

Salinia Stroux

Auch Minderjährige werden in Griechenland inhaftiert.

Kurz nach sieben öffnet sich die Tür. Die Beamten lassen gruppenweise Menschen in den Hof der Asylbehörde, nachdem sie zunächst kontrolliert werden. Täglich werden etwa 35 bis 45 Asylanträge aufgenommen, heißt es, obwohl manchmal Hunderte Menschen vor dem Tor stehen. Manchmal sind es noch weniger Glückliche. "Ich habe mehrere Nächte dort verbracht, bis ich endlich eines Morgens zweiter in der Schlange war", erzählt ein junger Mann aus Afghanistan. "Meine Papiere waren nur noch für zwei Tage gültig. Ich stand unter großem Druck, aber ich war mir sicher, ich würde es diesmal schaffen. Als der Einlass begann, riefen sie den ersten rein. Dann war Schluss. Ich flehte die Zuständigen an, mich auch hinein zu lassen."Aber die Antwort der Beamten sei klar und hart gewesen: "Wenn Ihr Papier abläuft, dann passen Sie halt auf, nicht festgenommen zu werden!"

Die meisten der etwa 2.000 Neuanträge wurden von Menschen aus Afghanistan, Pakistan, Albanien, Georgien, Bangladesch und Syrien gestellt.Unter ihnen sind auch Migranten, die in einem Asylantrag die einzige Chance sehen, zumindest für ein paar Monate einen legalen Status zu bekommen, auch weil sie durch fast keinen anderen Weg Papiere bekommen können

Afghanische Flüchtlinge demonstrieren für ihr Recht auf Asyl und Unterbringung.

Salinia Stroux

Afghanische Flüchtlinge demonstrieren für ihr Recht auf Asyl und Unterbringung.

Bis Ende des Jahres sollen nach Athen, Alexandroupoli und Orestiada nun noch drei weitere regionale Asylbüros eröffnet werden - auf den Inseln Rhodos und Lesbos sowie in Thessaloniki. Diejenigen, die ihren Asylantrag vor der Eröffnung des neuen Asylbüros gestellt haben, müssen warten, bis ihr Antrag nach dem alten System durch die Polizei geprüft wird. In mehr als 25.000 Altfällen stehen die Entscheidungen noch aus. Woche für Woche quälen sich Asylbewerber zur Ausländerpolizei, um ihren vorläufigen Aufenthalt zu erneuern. Meist nur, um einen neuen Termin zu bekommen. Wer seit Inkrafttreten des neuen Asylsystems einen Asylantrag gestellt hat, bekommt mit dem sogenannten Asylbewerberscheineine Aufenthaltsgenehmigung für drei Monate.

Mit der Hilfe von Experten aus ganz Europa versucht man das griechische Asylsystem so zu reformieren, dass sich die Situation für Flüchtlinge in Griechenland deutlich verbessert, was sich andere EU-Länder wie Deutschland und Österreich erhoffen. Dann könnte die sogenannte Dublin-II-Verordnung für dieses Land wieder in Kraft treten, die seit 2011 in allen europäischen LändernfürFlüchtlinge, die aus Griechenland kommen, ausgesetzt ist.Diese Verordnung sieht vor, dass jenes EU-Land, welches ein Asylsuchenderals erstes betreten hat, für seinen Asylantrag zuständig ist.Die Flüchtlinge aus Griechenland wäre man dann wieder los. Derzeit kann man sie nicht einfach wieder zurückschicken nach Griechenland, das Tausende Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Somalia interniert oder sogar in ihre kriegsgebeutelten Heimatländer zurückschickt,statt ihnen Asyl zu gewähren.

Leben im Karton: Tausende Flüchtlinge leben obdachlos und schutzlos in Griechenland

Salinia Stroux

Leben im Karton: Tausende Flüchtlinge leben obdachlos und schutzlos in Griechenland.

Allein in den fünf neuen Massenhaftlagern, die Mitte 2012 in Amigdaleza, Korinth, Komotini, Xanthi und Drama entstanden sind, werden seit August 2012 ständig etwa 5.000 Papierlose bis zu 18 Monate lang festgehalten. Nicht mitgezählt sind die Hunderten bis Tausenden, die in ganz Griechenland in den kleinen Zellen der Polizei- und Grenzwachen eingesperrt sind. Erst zermürben und dann loswerden, heißt die Devise. Wer nicht abgeschoben werden kann, , hat keine andere Wahl als "freiwillig" auszureisen. Laut Angaben der Internationalen Organisation für Migration (ΙΟΜ) wurden im Zeitraum 2010-2012 22.034 Anträge für freiwillige Rückkehr gestellt. Im laufenden Jahr wurden 6.011 Menschen in ihre Heimat gebracht.

Von 20.464 Anträgen auf Rückführungen in die Türkei die auf ein bilaterales Abkommen zwischen beiden Länder beruhen, wurden im Jahr 2012 nur 113 realisiert (70 Iraker, 31 Iraner, 6 Georgier, 2 Syrer, jeweils 1 aus Afghanistan, Marokko, Palästina und Israel), weil die Türkei nicht kooperiert Im laufenden Jahr 2013 ist gar die Zahl der Anträge auf Rückführungen auf 114 gesunken wahrscheinlich aus der Befürchtung, dass sie nicht stattfinden werden (realisiert wurden 12: davon 7 Iraker, 3 Iraner und 2 aus Marokko). Das erscheint jedoch relativ belanglos für die Pläne der Behörden, so viele MigrantInnen wie möglich los zu werden. Neben der rasant gestiegenen Zahl "freiwilliger Rückkehrer" setzt man an der Grenze zur Türkei massiv auf "die Verhinderung des Grenzübertritts", wie es offiziell von Seiten der Regierung heißt und legitimiert wird.

Kritik prallt ab

Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International nennen das jedoch illegale push-backs, was nachts entlang des Evros-Flusses an der Landesgrenze und in der Ägäischen See nahe der griechischen Inseln praktiziert wird: Flüchtlingsboote werden aufs Wasser zurückgestoßen. Von lebensbedrohlichen Manövern und Misshandlungen ist in dem im Juni 2013 erschienen Bericht von AI die Rede. Auf Anfrage gibt die Europäische Grenzschutzagentur Frontex zu, von 2012 bis heute von acht Push-back-Fällen in Griechenland gehört zu haben und sagt, sie habe die griechischen Behörden darüber informiert:"Frontex schrieb drei strenge Briefe an die griechischen Behörden und forderte Informationen zu diesen Behauptungen. In ihrer Antwort schrieben die griechischen Behörden, dass keinerlei solcher Praktiken stattgefunden haben." Die griechische Polizei will davon nichts gewusst haben: "Bis heute wurde kein Push-back-Vorfall eines Ausländers, der versucht hat, illegal die griechisch-türkische Grenze zu überqueren von einem griechischen Polizisten oder einem Frontex-Offizier angezeigt."

Es sind jedenfalls, wie es scheint, nur wenige, die es überhaupt nach Griechenland schaffen, beziehungsweise noch weniger, die dann auch noch Asyl beantragen können, bevor sie erneut festgenommen werden. Auch Kriegsflüchtlinge aus Syrien sind betroffen. Laut Angaben des UNHCR wurden im Jahr 2012 ganze 150 Asylanträge von Syrern in erster Instanz abgelehnt, während nur in zwei Fällen Asyl gewährt wurde.

Wartende auf Bänken

Griechische Asylbehörde

Trotzdem warten in der Schlange der neuen Behörde auch heute wieder Syrer in der Hoffnung auf ein faires Asylverfahren. In kleinen Kiosken sitzen Dolmetscher, die ihnen die ersten Infos zum Verfahren geben sollen.Im Laufe des Morgens wird die Zahl der Wartenden langsam kleiner. Unter einem großen weißen Zelt im Hof sitzt Mustafa erschöpft zusammen mit seinen zwei kleinen Töchtern. Er ist vor sieben Monaten aus Afghanistan gekommen und lebt völlig mittellos in Athen. Seine Frau hat es endlich nach Deutschland geschafft. Nun wollen er und die Kinder im Rahmen einer Familienzusammenführung auch nach Deutschland und zur Mama. Doch die Bürokratie scheint kein Ende zu nehmen. "Seit sieben Monaten renne ich zusammen mit den Kindern von der einen Behörde zur anderen und ich bin mir nicht sicher, ob es am Ende überhaupt klappen wird. Wenn ich gewusst hätte, wie schwierig es hier in Griechenland ist, wäre ich nicht gekommen. Ich hätte es nicht mal versucht, über diesen Weg Schutz zu finden", so Mustafa.

Die Direktorin der neuen Asylbehörde, Maria Stavropoulou, hofft, dass bald auch andernorts Asylbüros eröffnet werden, damit Asylsuchende nicht immer nach Athen gehen müssen. Die neue Behörde wird zur Hälfte von staatlichen Geldern finanziert. Die andere Hälfte kommt aus europäischen Kassen. Das Geld reicht für die vorhandenen Bedürfnisse aber nicht aus, betont sie. "Der europäische Flüchtlingsfonds gibt sehr wenig Geld an Griechenland. Aus diesem Fonds bezieht die Asylbehörde aber ihre Mittel. Im Gegensatz dazubekommt Griechenland viel mehr Geld aus dem Rückkehrfonds. Aber die Zahl der Rückkehrer ist aus vielerlei Gründen nicht groß genug um das ganze Geld zu lukrieren“In dem sei immer noch Geld übrig, obwohl laut Angaben des Athener Büros der Internationalen Organisation für Migration (IOM) die Zahlen derjenigen, die einen Antrag auf"freiwillige Rückkehr" stellten, in den letzten drei Jahren enorm gestiegen sind. (IOM Statistik. 2010: 337; 2011: 760; 2012: 7.290; 2013: 6.011).

Frau steht an Schalter

Griechische Asylbehörde

Von diesem Geldüberschuss kann man andernorts nur träumen. Im Büro des Ökumenischen Flüchtlingsprogramms, im Stadtteil Ilisia, nur ein paar Straßen weiter von der neuen Asylbehörde, warten mehrere Flüchtlinge auf die juristische Beratung für ihr Asylverfahren. Diese NGO ist eine von gerade mal drei Organisationen in ganz Griechenland, die juristische Hilfe für Schutzsuchende kostenlos gewährleisten. Die Verantwortliche für das Programm, Eftalia Pappa, betont, dass die Ressourcen weitaus geringer sind als der Bedarf.

So investiert Europa mehr in die Abschottung an den Außengrenzen und in Rückkehrerprogramme und Abschiebungen als in ein Asylsystem. Denn trotz europäischer und griechischer Expertise scheint auch das neue nicht weit vom alten Elend entfernt zu sein. So schleppt sich das kleine syrische Mädchen am Ende des Tages erfolglos wieder nach Hause in der Hoffnung, dass ihre Familie nicht festgenommen wird, bis sie es endlich geschafft haben, einen Asylantrag zu stellen. Und ob sie dann Asyl bekommen, ist das nächste große Fragezeichen auf ihrem Schicksalsweg nach Europa.