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Alex Wagner

Zwischen Pflicht und Kür

10. 9. 2013 - 14:48

Der Lebens-Präparator

David Sedaris konserviert pointenreich Gespräche, Begegnungen und Reiseerlebnisse. Zu lesen in seinem aktuellen Buch "Sprechen wir über Eulen - und Diabetes".

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Tiere haben es David Sedaris schon immer angetan, nicht erst seit dem Vorgänger-Buch und Bestiarium "Das Leben ist kein Streichelzoo". Diese Erhabenheit und irgendwo auch verklärte Romantik, ein wildes Tier in seinem natürlichen Habitat zufällig zu beobachten und vielleicht auch eine gewisse Verbundenheit mit ihm zu spüren, das hat etwas Magisches, etwas Unerklärbares. Für Städter wie David Sedaris, der sich zeitlebens eher in urbanen Gefilden, zwischen Betonmauern und Teerstraßen, beheimatet gefühlt hat ist das noch einen Tacken eindrucksvoller als für Landhasen.

Eule, Cover von "Sprechen wir über Eulen - und Diabetes" von David Sedaris

Karl Blessing Verlag

David Sedaris "Sprechen wir über Eulen - und Diabetes" ist von Georg Deggerich übersetzt worden und im Karl Blessing Verlag erschienen.

David Sedaris aktuelles Buch "Sprechen wir über Eulen - und Diabetes" ist eine Sammlung von 25 Kurzgeschichten und einem Hundegedicht mit dem Namen "Hundeleben". Letzteres wurde von Harry Rowohlt übersetzt und ist mit Geschichten des verstorbenen Titanic-Redakteurs, Essayisten und Zeichners Robert Gernhardt vergleichbar.

Die meisten Geschichten handeln von Sedaris Leben, wie er in Frankreich die Zähne gezogen bekommt, obwohl er den Zahnarzt nicht verstehen kann, wie er von seinem Vater als Kind gezwungen wurde, Baseballspiele im Stadion anzusehen und dem überhaupt nichts abgewinnen konnte (Grundlegende Begriffe wie Penalty erklärt einem als Kind keiner, dieses Wissen muss man bereits mit der Muttermilch aufsaugen, das wäre etwa das gleiche, wie wenn man fragen würde, wer Jesus war...) oder wie David Sedaris mit seinem Freund Hugh versucht, eine heruntergekommene Baracke in England zu restaurieren.

Zwischen diesen persönlichen Geschichten gibt es allerdings auch andere, die Sedaris als Essays für Teenager bei Vortragswettbewerben geschrieben hat. Ein Vortragswettbewerb ist eine Art Rhetorik-Kurs und Sprach-Battle für Jugendliche, in den USA weit verbreitet. Wer seine Argumente am überzeugendsten vortragen und die Jury für sich gewinnen kann, gewinnt. Dabei geht es häufig nicht um die eigene Weltanschauung, sondern um die Argumentation innerhalb eines Systems.

Der Inhalt dieser Essays wirkt hierbei wie ein Fremdkörper im Vergleich zum Rest des Buches. Plötzlich wird die Welt des humanen, weltoffenen David Sedaris verlassen und man befindet sich im Leben eines Republikaners, der wegen der zugelassenen Homo-Ehe den Glauben an den Sinn des Lebens und an den Anstand verliert und sich entschließt, seine Frau und seine Tochter zu erschießen, weil jetzt ohnehin alles erlaubt sei, wozu es einen gelüstet. Oder man steckt in der Haut einer fundamentalen Christin, die die Erlösung in einem rachsüchtigen Gott sucht und sich mit ihm in persona verbandeln will. Diese Essays, die sich unter die restlichen Kurzgeschichten im Buch mischen, konterkarieren und verstören und sind auch keinesfalls so humoristisch wie die biographisch angehauchten Texte von Sedaris. Aber sie beweisen, dass Sedaris auch außerhalb seines Universums ein guter Schreiber ist.

David Sedaris

Michael von Aulock

Lieber sind mir aber schon Kurzgeschichten wie "Eulen verstehen verstehen". Darin versucht Sedaris ein Valentinstagsgeschenk für Hugh zu finden, eine ausgestopfte Eule. In den USA und in vielen weiteren Ländern ist das Ausstopfen von Eulen allerdings verboten, stehen sie doch unter Artenschutz. In England wird Sedaris schließlich fündig, bei einem kleinen Tier-Präparator. Dieser scheint eine schier unglaubliche Menschenkenntnis zu besitzen, erkennt Sedaris' Interesse für Abstruses, Grausliches und Abartiges und zeigt ihm nicht nur die Eule, sondern auch die versteckten Schätze, die er zu bieten hat: einen "Pygmäen", wie Sedaris schreibt und auch einen menschlichen Oberarm. Und Sedaris gruselt es hinterher, dass er offenbar so einfach für andere zu lesen ist.

Dabei ist Sedaris selbst der eigentliche Präparator. Er schafft es, die vielen zufälligen Begegnungen mit Menschen, seine Beziehung zu Hugh und zu seiner Familie und seine Erlebnisse auf den unzähligen Reisen nach China, Japan, Frankreich, Deutschland, England und in die USA zu konservieren. Die Essenz dieser witzigen Begebenheiten wird wie in Formaldehyd haltbar gemacht, der pickige Sud großzügig auf das auszustopfende Objekt gestrichen und eben die Merkmale ausstaffiert, die besonders sind und uns erahnen lassen, wie es sich in Wirklichkeit hätte ereignen können.

Das genaue Beobachten, das seitenweise Hinschreiben auf eine Pointe, der Detailreichtum in seinen Beschreibungen, das macht Sedaris aus. Und davon kann man eigentlich nie genug bekommen, auch wenn man sich bei der ein oder anderen Kurzgeschichte denkt, das hat man doch so schon einmal irgendwo ähnlich gelesen.