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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

9. 9. 2013 - 17:40

Berlin Festival

Posen, geschwollene Eierstöcke und das "Lebensgefühl einer Generation"

Irgendwo habe ich gelesen, dass Casper, dem ich bis heute relativ indifferent gegenüberstand, das Lebensgefühl einer Generation auf den Punkt gebracht hat. Welcher Generation? Welcher Punkt? Gehöre ich da auch dazu? Das lässt mir zwei Wege zu Casper offen. Ich kann mir überlegen, warum der kommerzielle Erfolg eines MCs wie Casper bedeutet, dass es als Autor Sinn macht, mit monolithisch geschlossenen Blöcken wie einer Generation mit einem Lebensgefühl als sprachlichen Figuren zu arbeiten. Oder ich beginne mich für Casper selbst zu interessieren und auch alle in Zukunft niederzuargumentieren, die es wagen, Caspers mit Indierocksensibilität imprägnierte Alltagspoesie Banalitätsmittelstandsrap zu nennen, um mir zu beweisen, dass ich auch Teil einer Generation bin.

Das neue Casper-Album "Hinterland" wird Ende September erscheinen. Die Premiere neuer Songs ist für heute versprochen.

Die längste Schlange, die ich jemals auf einem Flughafen gesehen habe, ist beim Casper-Autogrammstand. Casper scheint auch supernett zu sein und macht mit jeder der jungen Damen das obligate Foto.

nataliebrunner

Das Östrogen, das da in der Luft liegt, ist zuviel für mich. Auch ich bin die nächsten fünf Minuten davon überzeugt, dass ich ein Kind, ein Küsschen, ein Interview oder doch nur ein Autogramm von Casper will. Ob es Typen auch so geht? Der Auftritt ist wie erwartet Pop-Rap Hit um Hit. Caspers Stimme ist rau und tapfer rappt er zwischendurch über die Beats von N***az in Paris und Mrs Jackson von Outcast.

Casper ist ein sehr schnuckliges Exemplar seiner Gattung und egal, was er so rappt, ich glaube, dass man ihn eigentlich nicht nicht mögen kann und eine Notfallskontroverse wegen zu wenig Konflikt anzetteln müsste.

Stephan Flad

Savages

Wir leben in einer Welt, die zuviel Ablenkung, zu viel Rauschen, zuviel Störgeräusche produziert, meinen die Savages. Unsere Eitelkeit hat uns zu Opfern des Kommunikationsimperativs gemacht, wir reden viel und sagen wenig, meinen die sich selbst als Postpunk ausweisenden Savages. Ihr Debütalbum trägt den Namen "Silence Yourself". Schneidige Gitarren, ein Gefahr verheißendes Grollen, kippende Noise-Exkurse, musikalische Übersetzungen von Entfremdung gibt es von den vier schwarz gewandeten Damen auf der Bühne zu hören.

My bloody Valentine

My bloody Valentine sind körperlich und entrückend zugleich.
Egal wie oft ich sie sehe und in welchem Zustand ich bin, sie schaffen es, das Raum-Zeit-Kontinuum, aus dem ich komme, zu brechen und ich fühle mich nach 15 Minuten Soft As Snow (but warm inside). Sie sind für mich das ideale Mischverhältnis von Harmonien und Noise. Die Verstärkerwand, die Kevin Shields hinter sich aufgebaut hat, beeindruckt mich jedes Mal schwer und ich muss ekstatisch grinsend und taumelnd aus dem Konzerthangar geführt werden.

Björk

Björk beginnt ihr Konzert ganz ohne Instrumente und klangerzeugende Wundermaschinen, die sie für ihr App-Album "Biophilia" gebaut hat. Sie vertraut auf die Kraft der Stimme und hat einen Frauenchor mitgebracht. Sie selbst hat sich als eine Mischung aus Discokugel und Weihnachtsstern verkleidet. Die erste Nummer, die nur von ihr und dem Chor performt wird, ist "Cosmogony". Es geht um große Schöpfungsmythen, Geburten von Welten und so. Ich kann mich in Björks Balanceakt zwischen Wissenschaft und Esoterik nicht einklinken, für mich klingt es nach einem Weihnachtslied. Ein Summen kündigt Hunter an und ich höre Beats, was mich kurz ruhig und glücklich stimmt. Bei der dritten Nummer, "Thunderbolt", schwebt ein riesiges Doomsday Device, ok, es ist eine Tesla-Spirale, von der Bühne herab und mein Aufmerksamkeitsreservoir ist ausgetrocknet.

Stephan Flad

Siehe auch: Start or Stop living in the past. Die Pet Shop Boys und Blur im Hier und Jetzt am Tempelhofer Flughafen.

Am nächsten Tag lese ich in der Zeitung, Björk sei das große Highlight gewesen, die unerwartete Überraschung des Festivals irgendwo zwischen elaborierter Klanginstallation und Popkonzert. Ich, die es ja nicht so habe mit Ausdruckstanz und Schöpfungsmythen, und wahrscheinlich haben meine Ovarien alles an bewusstseinsbeinflussenden Hormonen schon ausgeschüttet, als ich bei der Casper-Autogrammschlange vorbeikam, gehe raven.

Justice

Justice sind immer lustig, weil sie bei ihrem Auflegen die unbeteiligtsten Personen im Raum sind. Die Halle schreit und zuckt. Justice machen Gesichter, als wären sie in der Abflugschlange des Flughafen Berlin Tegel zu Ferienbeginn, eine Mischung aus genervt und scheintot. Ich liebe solche Posen und die Party funktioniert trotzdem.