Erstellt am: 9. 9. 2013 - 14:43 Uhr
Allerhand sonderbare Speichermedien
Nicht in 80 Tagen, sondern in 30 Minuten führt der japanische Designer und Medienkünstler Yuri Suzuki um die Welt. Er zeigt in der Ausstellung "Total Recall" im Brucknerhaus eine schwarze glänzende Kugel aus Vinyl. Sieht man genauer hin, erkennt man auf der Oberfläche des Globus kleine Rillen und einen Tonabnehmer, der die Kugel von oben bis unten abfährt. Bei "The Sound of the Earth" handelt es sich um eine akustische Weltkarte, die abgehackte Klänge und Geräuschfetzen aussendet. Sehen kann man die Länder nicht, dafür aber hören, wenn die Nadel darüberfährt.
Anna Masoner
30 Minuten dauert es, bis die Nadel vom Nord- zum Südpol wandert. Die Ozeane bleiben dabei stumm. Mehr als 40 verschiedene Audiodateien hat er für seine Arbeit gesammelt. "In den vergangenen fünf Jahre bin ich viel gereist. Mich begleitet dabei immer mein Aufnahmegerät. Wichtiger als Fotos sind mir Sound- und Musikschnipsel als Erinnerungsstücke. Ich wollte meine gesamten Aufnahmen, meine persönlichen Erinnerungen in einem Stück sammeln." Vollständig ist die Weltkarte nicht, betont Yuri Suzuki. Die meisten Länder werden nur für den Bruchteil einer Sekunde angespielt. Fünf Jahre hat er gemeinsam mit Freunden an dem Projekt gearbeitet und dafür unter anderem einen eigenen Vinylcutter gebaut.
The Sound of the earth sound by Yurisuzuki on Mixcloud
Die älteste Platte der Welt
Zu hören ist in der Ausstellung auf der Ars Electronica auch die angeblich älteste Schallplatte der Welt. Der deutsch-amerikanische Grammophon-Erfinder Emile Berliner rezitiert darauf Schillers Ballade "Der Handschuh".
Entstanden ist die Aufnahme bereits 1889. Eigentlich ist der physische Tonträger längst kaputt. Doch der US-amerikanische Historiker und Sound-Archäologe Patrick Feaster hat die Schallplatte auf verblüffende Art wieder zum Leben erweckt. Dafür genügte ihm nichts weiter als ein Bild der Platte, das er in einem deutschen Magazin aus dem Jahre 1890 gefunden hatte. Er scannte die Aufnahme in hoher Auflösung und bearbeitet esie am Rechner mit einer speziellen Software. In der Library of Congress macht sich Feaster auf die Suche nach weiteren Schallplattenabbildungen um längst verloren Geglaubtes wiederzuerwecken.
Ästhetik von Tonbändern
Räumlich dominiert wird die Ausstellung von einer Hommage an das Tonband. Auf vier gut drei Meter hohen, leuchtenden Stelen hat der japanische Musiker und Medienkünstler Ei Wada vier Bandmaschinen gesetzt.
Anna Masoner
Leise wummernd spielen sie Tonbänder beinahe in Zeitlupe ab. Die abgespielten Bänder, die "Falling Records" wie die Arbeit heißt, sammeln sich am Boden der Leuchtkästen und bilden wunderschöne Schlaufen und Muster, bis sie zurückgespult werden und man hört, was sie gespeichert haben: den Donauwalzer. Irgendwann in ferner Zukunft, schreibt Ei Wada im Katalog, werden Angehörige einer unbekannten Kultur seine Installation ausgraben und sich an diesen seltsamen Maschinen erfreuen. Vielleicht graben sie ja auch die kugelförmigen Schallplatten aus und wundern sich über die seltsamen Speichermedien.
Buchscanner zum Selberbauen
Weitere Geschichten von der Ars Electronica auf fm4.orf.at/arselectronica13
Auf einem Tisch steht eine schwarze Holzkonstruktion. In einer Halterung ist ein aufgeklapptes Buch eingespannt. An einem angeschlossenen Computer macht sich der Belgier Mark Van den Borre zu schaffen. Er präsentiert den "DIY Bookscanner", ein Gerät, das man in ein paar Stunden und mit der Investition von ein paar hundert Euro selber bauen kann, etwas handwerkliches Geschick natürlich vorausgesetzt.
cc (by-nc-nd) von Ars Electronica
An die 1000 bis 1200 Seiten pro Minute schafft man damit, erzählt Mark Van den Borre, der in seinem Brotjob eigentlich klassische Gitarre unterrichtet. Doch seit Jahren ist er in der Free Culture und der freien Softwareszene aktiv. Mehrere hundert Bücher hat er schon eingescannt und auf die freien Portale Projekt Gutenberg und archive.org gestellt.
Der erste Prototyp des Scanners stammt vom US- Amerikaner Daniel Reetz, der davon träumt, dass so eine Maschine in jedem Hackerspace steht. Eine Demokratisierung der Technik hat er im Auge und zumindest eine symbolische Unabhängigkeitserklärung vom datenhungrigen Bücherscanner Google.
Androiden als Speichermedium
Ein Video zeigt einen älteren Japaner im Kimono, der gut gelaunt Geschichten erzählt. Meister Beicho Katsura III. ist eine Art japanisches Nationalheiligtum. Der 86-Jährige beherrscht die uralte Kunst des Geschichtenerzählens, die Rakugo, wie kein Zweiter. Er wackelt mit dem Kopf, schaut in die Runde und zückt dann und wann seinen Fächer. Seinen Platz verlassen, kann er allerdings nicht. Nicht weil er so alt und gebrechlich ist, sondern weil es sich gar nicht um den echten japanischen Meister handelt, sondern um eine Kopie.
cc (by-nc-nd) von Ars Electronica und Hiroshi Ishiguru
Sie ist das jüngste Werk des japanischen Robotikers Hiroshi Ishiguro. Vor Jahren begann er damit eine täuschend echt aussehende Kopie seiner selbst anzufertigen. Mittlerweile gibt es eine ganze Serie solcher Geminoids, wie er seine Androiden nennt. Der echte Rakugo Meister lebt zwar noch, doch die Auftritte vor Publikum sind für ihn mittlerweile zu anstrengend. Fotos oder Videos reichen Hiroshi Ishiguro nicht um Vergängliches festzuhalten. Lieber verleiht er Menschen, ewiges Leben, indem er sie nachbaut: Roboter als Speichermedien.