Erstellt am: 8. 9. 2013 - 16:00 Uhr
Der Mann, der uns T.C. Boyle brachte
Werner Richter ist gebürtiger Berliner, der in Wien lebt und als Übersetzer arbeitet. Namen wie Patricia Highsmiths oder Graham Green finden sich in seinem Portfolio.
Als Anfang der 1980er Jahre ein Freund von ihm nach Amerika flog, gab er ihm ein Liste und einen klaren Auftrag mit: Diese Liste mit einiger seiner damaligen Lieblingsautoren wie Tom Robbins, William Kotzwinkle oder Charles Bukowski sollte er in einer Buchhandlung zeigen. Falls ein Händler die genannten Autoren gut findet, solle er sich von dem einige Bücher empfehlen lassen.
Der Freund brachte eine Handvoll Bücher mit nach Wien - unter anderem T.C. Boyles "Water Music".

rororo
Werner Richter war begeistert und setzte sich in den Kopf das Buch ins Deutsche übersetzen. Das tat er dann auch gleich mit den ersten Seiten und schickte diese mit einer kurzen Inhaltsangabe an mehrere Verlage. Eine Vorgangsweise, die heute übrigens nahezu undenkbar ist. Es dauerte zwei Jahre, bis endlich ein Verlag zusagte:
Rogner und Bernhard.
Gut sieben Monate saß Werner Richter 1984 dann in seiner Souterrainwohnung im vierten Bezirk und übersetzte "Water Music" in "Wassermusik".
Den ersten Brief, den er an T.C. Boyle schrieb, beantwortete dieser mit einem Aerogramm. Das waren hauchdünne Briefumschläge, deren Innenseite beschrieben wurde, um Gewicht und dadurch Porto zu sparen. Auf diese also kritzelte Boyle seine - nicht immer leicht lesbaren - Anmerkungen.
Üblicherweise kontaktiert Werner Richter die zu übersetzenden AutorInnen, sobald er gut die Hälfte des Buches übersetzt und einen Überblick über den Inhalt hat. Dann schickt er eine Liste mit Fragen an die jeweiligen AutorInnen – meistens handelt es sich um Doppel- oder Mehrdeutigkeiten oder Unschärfen in der Erzählung. "Weil grammatisch oder von den Bezügen her etwas nicht stimmt. Weil plötzlich Namen falsch geschrieben sind und so weiter."
Bei T.C. Boyle gab es nur selten etwas auszubessern. "Bei T.C. Boyle stimmen alle Bezüge, stimmen alle Teile der Geschichte, alle Elemente. Und es stimmt vor allem auch sprachlich."
Selbst das Lektorat war bei T.C Byole minimal. Als Werner Richter die Erzählung "Drop City" übersetzte, bekam er den Text elektronisch. Auf seine Frage, ob da noch etwas lektoriert werden würde antwortete Boyle: "There will only be the gun-changes."
Der Lektor musste sich um die Waffenbezeichnungen kümmern, weil T.C. Boyle eine Remington nicht von einer Winchester unterscheiden könne. "Alles andere stimmt. Ich habe noch nie etwas von ihm groß lektoriert gesehen."
Als Übersetzer taucht man in eine fremde Welt ein und muss sich in dieser erst auskennen. Ein großer Teil der Arbeit ist also Recherche. "Das fängt damit an, dass man die Landschaft, in der das beschrieben wird, sowohl von der Botanik als auch der Zoologie her kennen muss."
Der Roman "Drop City" etwa spielt in Alaska. Werner Richter musste also wissen, wie Blockhäuser gebaut werden und wie die diversen Teile im Deutschen bezeichnet werden. "Und wenn das ein geschichtliches Thema ist, was bei T.C. Boyle häufig ist, dann heißt es, sich auch mit dieser Figur auseinander zu setzen. Das zu lesen, was z. B. andere darüber geschrieben haben."

Tex Rubinowitz
Mittlerweile haben das Internet und etwa Google Earth diese Recherchearbeiten sehr vereinfacht. Dennoch hat Werner Richter immer, wenn er einen Text über eine Großstadt übersetzt, einen detaillierten Stadtplan in seinem Zimmer hängen, auf dem er seine Figuren "verfolgt".
Wenn im Roman "América" also Candido mit seiner Frau América ins San Fernando Valley lief, war Werner Richter auf seinem Stadtplan dabei - allerdings im vierten Bezirk.
Acht Romane und drei Erzählbände von T.C. Boyle hat Werner Richter ins Deutsche übersetzt.
"Wassermusik" ist derzeit nicht lieferbar.
Der Hanserverlag lässt den Roman neu übersetzen. Diesmal passiert das nicht mehr in Wien.
T.C. Boyle zu Gast bei FM4
Am Montag, 9. September, war T.C. Boyle eine Stunde im FM4 Update zu Gast, hat HörerInnenfragen beantwortet, mit Moderator Chris Cummins geplaudert und seine Lieblingsmusik gespielt.
Die Sendung mit T.C. Boyle gibt es ab sofort zum Nachhören, eine Woche lang, bis zum 16. September: