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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

7. 9. 2013 - 17:35

Berlin Festival

Start or Stop living in the past. Die Pet Shop Boys und Blur im Hier und Jetzt am Tempelhofer Flughafen.

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Dieses Jahr wird der Besuch des Berlin Festival eine Reise in meine Vergangenheit. Das war mir schon im Vorfeld dieser Tage auf dem ehemaligen Flughafen in Tempelhof klar. Die durch die Jahrzehnte schimmernde Strahlkraft von Namen wie My Bloody Valentine, Björk und Blur legt sich im Raster der Vorfreude über die Neugier, Musikerinnen wie The Savages, Pantha du Prince, John Talabot zu sehen.

Ich war mit meinem Freund D. vor ein paar Monaten (oder sind es schon Jahre?) bei einem Smashing Pumpkins Konzert, das er mir dann mit seiner scharfsinnigen Beobachtung versaut hat, dass der Saal voll ist mit Menschen die noch einmal so lebenshungrig und enthusiastisch sein wollen, wie zu dem Zeitpunkt als sie von zuhause ausgezogen sind. Wo also noch ganz viel Hoffnung und Erwartung vor ihnen lag. Und dass die ganze Veranstaltung deshalb nichts anderes wäre als ein Rollenspiel mit musikalischer Untermalung. Ein anderer Freund, der letzte Woche Slayer gesehen hat, erzählte mir ähnliches und meinte, dass es traurig sei, Bands und Publikum zu sehen die seit Jahren in einer Pose, einer Geste erstarrt sind, die nicht mehr mit dem Hier und Jetzt korrespondiert.

Hier und Jetzt

Das wird mir dieses Mal nicht passieren. Die beiden sind nicht hier und ich bin fest entschlossen nicht ein kleines, graues und struppiges Pony Namens Melancholie zu satteln, sondern zu erfahren wie die oben genannten Helden und Heldinnen in das Hier und Jetzt von Berlin 2013 passen.

Bei der Nachtschiene des Berlin Festivals mache ich mir solche Gedanken nicht. Die Gefahr dass die Ed Banger Posse um Justice und Labelmanager Busy P es uns anlässlich ihres zehnten Geburtstags zärtlich introspektiv und kopflastig besorgen werden besteht nicht. Auch glaube ich nicht, dass Berlin aufhört stage zu diven wenn Boys Noize an den Decks ist. Raserei und Tollwut kommt nicht in die Menopause.

Desweiteren bin ich sehr dankbar auf diesem Festival nicht mit Skrillex und ähnlichen der EDM-Banalitäshölle entstiegenen Figuren konfrontiert zu werden. Um ihr Werk in vollen Zügen genießen zu können habe ich entweder zu wenige Elektroschocks bekommen, bin als Kind nicht auf geheiß von staatlichen Autoritäten mit Psychopharmaka ruhig gestellt worden oder ich bin einfach eine alter Klugscheißerin, die die Radikalität des ganzen nicht sehen kann.

Gelassenheit im Angesicht von Giganten?

Wieviele meiner Freundinnen würden schon jetzt rotieren wenn sie wüssten, sie sehen in fünf Stunden Blur live. Ich verstehe selbst nicht so recht, warum ich gegenüber einer Band, die immer alles richtig macht, nur gelassene Sympathie hege. Ich weiß: Blur sind klug, reflektiert und im moralischen Sinne gut. Ich bin froh, dass sie so groß sind wie sie sind, und so viele Menschen sie lieben. Wenn Damon Albarn zu politischen oder sozialen Themen spricht, ist es eine Wohltat seine Stimme der Vernunft hören oder lesen zu dürfen. Und Honest Jon ist ein großartiges Label an dem Albarn beteiligt ist; und einer der besten Plattenläden die es gibt. Ich danke für jeden Release. Aber ich habe schon als "Song 2" der größte Hit der Welt war und Blur in Wien gespielt haben meine Karte verschenkt, weil meine Freundin an der Abendkasse keine mehr gekriegt hat. Ich hätte sie nie vor der Tür stehen lassen, und ich habe es bis heute nicht bereut. Wenn mich auch die fiebrige Vorfreude der Menschen in Tempelhof nicht ansteckt, lasse ich am Montag sofort meine Blutzuckerwerte testen, versprochen.

Check In

Ich mag das monumentale des Flughafen Tempelhof. Es ist ein großes Vergnügen in den Überresten des gescheiterten Größenwahns von Hitlers Haus- und Hof-Architekt Albert Speer zu feiern.

nataliebrunner

Zwei Musiker die ich am ersten Abend sehe thematisieren den Ort übrigens auch. Damon Albarn spricht sehr höflich und dezent von einer gelungenen Aneignung eines alten Gebäudes, und Mike Patton, der mit seiner Band Tomahawk spielt, macht Witzchen auf deutsch bei denen klar wird, dass er seine Sprachkenntnisse zum Großteil aus Zweiten Weltkriegsfilmen hat. Jawohl Schweinhund!

Auch dass Patton bei der letzten Show seiner Tour in einem von den Nazis gebauten Flughafen gegen die - oder sagen wir lieber zeitgleich mit den - Pet Shop Boy spielt, scheint ihm zu denken zu geben. Als ich es endlich schaffe bei der Bühne anzukommen fragt Mike Patton, in einem Outfit das auch einem Zweiten Weltkriegsfilm entstammen könnte (französischer Bauer der sich der Resistance angeschlossen hat) gerade einen Typen, den er als Hippy Jerk bezeichnet ob er sich in der Bühne geirrt hat. Die Pet Shop Boys wären weiter links zu finden.

Musikalisch bleibt Tomahawk das Highlight der Nacht. Hardcore, Country, Opern, Gekreische,... alles schaffen sie in ihrer komplexen Grammatik zu verbinden. Auch verehre ich Mike Patton für seine Showman-Qualitäten, die kleinen Tourette-Ausfälle gegen das Publikum (wohl um zu sehen ob wir noch am Leben und widerstandsfähig sind) gefallen mir sehr, und auch dass er in einem Anfall von Selbstironie West End Girls singt macht ihn nur noch verehrungswürdiger.

I only wanted something else to do but hang around!

Vielleicht sollte ich die Erwartungshaltung offenbaren mit der ich in diesen Abend gegangen bin:

Mein Haushalt ist in zwei Lager der Pet Shop Boys Verehrung gespalten.

Kandidat eins mag die Pet Shop Boys für ihre bombast-musicalhaften Abgesänge auf politische Blöcke und kollabierende Utopien, wenn sie die Vehemenz des Monumentalen westwärts schicken und bröckelnde Lenin-Statuen sich vor Miss Liberty verbeugen.

psb

Ich (also Kandidatin zwei) mag sie, wenn sie das Tragische und Politische mit feinen Seismographen aus dem Alltagsgeschehen der Nachbarschaft destillieren, Synthie Pop daraus machen und das wenn's geht noch in einem Outfit das aussieht als hätten sie es einem Gebrauchtwagenhändler aus dem Kleiderschrank entwendet.

psb

Also was kriegen wir zu sehen? Mikro- oder Makro-Politik? Frau Ondrusova, die neben mir steht, meint, dass diese Frage niemanden hier interessiert. Hits, geile Kostüme und der eine oder andere Laser wären nicht schlecht. Das gab es alles, aber ekstatisch wollte es nicht so richtig werden. Die Pet Shop Boys hatten auf der Bühne die größte Jalousie die ich jemals gesehen habe, und auf die wurden Tunnelfluchten, ihre Gesichter und schon oft gesehenes Zeugs das Anfang der 90er nach Zukunft ausgesehen hat projeziert. Sie selbst hatten schwarze Disco-Krähen-Outfits zum Eröffnen der Show gewählt. Ab der dritten Nummer waren Tänzer und Tänzerinnen mit Stiermasken auf der Bühne und wenn es um Let's make lots of Money ging, trugen sie die grauen Anzüge die man bei Brokern weltweit erwartet.

Stephan Flad

Nach zwanzig Minuten gab es digitale Hacker und es klang so als würde die CD stecken bleiben. Nach diesem unfreiwilligen Päuschen gaben uns die Pet Shop Boys Hit nach Hit. Eine ganz schöne Idee fand ich wie sie ihre Köpfe durch Löcher in einer weißen Bretterwand steckten und ihnen verschiedene Körper, verschiedene Identitäten auf den Leib projeziert wurden.

Blur – No Escapism

Es war genau die Zeitreise die ich erwartet habe aber die Euphorie blieb aus. Blur machten alles richtig, spielten nur Hits. Damon Albarns Bühnen Ansagen waren klug, richtig und wichtig. Das 2003 entstandene Out of Time widmete er den Schwestern und Brüdern in Syrien, die Geschichte des Orts wurde erwähnt. Trotzdem war das alles für mich und auch meine Umstehenden euphorie- und hysteriefrei.

Stephan Flad

Was auch etwas gutes hat. Vielleicht ist man doch am richtigen Ort, vielleicht ist doch das Hier und Jetzt nicht so ganz falsch, wenn man nicht das Bedürfnis hat, sich nicht mit größter Emotionalität in die Utopien der Jugend zurückzuversetzten.